Schon im Early Access begeistert das Spiel die Community.

Foto: Coffee Stain

2021 scheint das Jahr von Early Access zu werden: Eben noch hat der smarte Factorio-Epigone Dyson Sphere Program mit der beeindruckenden Zahl von 200.000 Steam-Verkäufen in nur einer Woche ab Release Schlagzeilen gemacht, da kommt schon das nächste Phänomen: Die Survival-Sandbox Valheim meldet eine Woche nach Early-Access-Launch eine Million Downloads – für ein Spiel ganz ohne fettes Marketingbudget, noch dazu im unfertigen Zustand, ist das sensationell.

Coffee Stain

Lust auf Wikinger

Gründe für diesen Erfolg und die beim Verfassen des Artikels 23.000 hymnischen Rezensionen gibt es wohl so einige: Die Lust auf Wikinger-Abenteuer dürfte vom aktuellen Blockbuster Assassin's Creed: Valhalla nicht vollständig gestillt sein, doch vor allem liegen Survival-Sandboxspiele aktuell voll im Trend. Daran beteiligt ist Twitch: Genre-Dauerbrenner wie Rust erleben dank großer Streamer gerade einen zweiten Frühling, von dem auch Valheim profitiert. Der Hauptgrund für den Verkaufserfolg ist aber wohl noch simpler: Valheim ist einfach ein sehr gutes Spiel – schon jetzt.

Dabei macht die Wikinger-Sandbox nichts Revolutionäres, im Gegenteil, die Genrestandards kommen hier recht konservativ zum Einsatz. Als frisch verstorbener Wikinger (oder Wikingerfrau) landet man im titelgebenden Jenseits der nordischen Mythologie und hat sich selbst zu beschäftigen – allein oder in Begleitung von bis zu neun weiteren Koop-Freunden. Genrefans finden sich gleich zurecht: Durch Sammeln, Jagen und Crafting wächst das Arsenal an Werkzeug, Waffen und Ausrüstung, Uprades schalten neue Möglichkeiten frei. Der Baumodus, in dem man gesammelte Materialien überraschend flexibel und frei zu beliebigen Konstruktionen zusammenfügen kann, lässt zunächst einfache Hütten entstehen, die dann, je nach Ambition und Neigung, zu riesigen Burgen oder anderen beliebigen Konstruktionen erblühen.

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Sich sein gemütliches Heim in dieser Welt zu erschaffen, die jenseits der Grenzen des sehr friedlichen Startgebiets gefährlich wird, ist aber nicht die einzige Beschäftigung in Valheim. Neun finstere Dämonenwesen, die jeweils über die recht unterschiedlich gestalteten Biome wie Gebirge, Sumpf oder Wälder herrschen, soll man hier in Odins Auftrag bezwingen. Diese Bosse wollen an bestimmten Altaren mit wechselnden Trophäen beschworen werden; wer diese Herausforderung annimmt, tut also gut daran, sich möglichst umfangreich vorzubereiten. Auch im Kampf mit herumwandernden Monstern, etwa baumlangen blauen Trollen oder Grabmäler bewachenden Skelettkriegern, ist Action angesagt.

Die riesige Spielwelt ist dabei prozedural generiert, wo genau sich Ressourcen, Gefahren und einzelne Landschaften finden, ist also beim Spielstart ungewiss. Solo zu spielen ist problemlos möglich, auch wenn dadurch die Herausforderung größer wird; Koop-Fans dürfen auf dedizierten Servern ihre eigene Sandkiste beackern.

Was ist gelungen?

Auch wenn das auf unbewegten Bildern weniger zur Geltung kommt: Valheim sieht trotz pixeliger Texturen und relativ kantiger Polygonmodelle teils spektakulär aus. Das ist nicht nur hochmodernen Beleuchtungs- und Partikeleffekten zu verdanken, sondern auch der Tatsache, dass sich diese Welt dynamisch bewegt und verändert: Bäume und Steppengräser schwanken im Wind, Gewitter peitschen die Meere auf, und morgendlicher Dunst macht den lichten Laubwald bei Sonnenaufgang zum mystisch leuchtenden Naturspektakel.

Abgesehen von der tollen Atmosphäre überzeugen auch die inneren Werte: Die Lern- und Progressionskurven sind angenehm gestaltet, das Spieltempo und persönliche Ziele bleiben einem selbst überlassen. Vor allem in den ersten Spielstunden ist die Balance zwischen Entdecken, Jagen und Sammeln, ersten Kämpfen und Bauprojekten absolut gelungen; es herrschen weder Zwang zum Grind noch übermäßige Härte. Der Baumodus erlaubt durch relativ freie Setzung der Elemente überraschend kreative und durchaus anspruchsvolle Konstruktionen. Bis man zum aktuell noch recht offenen Endgame kommt, in dem sozusagen alles erforscht, gebaut und besiegt ist, vergehen dutzende Stunden, in denen man sein ganz eigenes Abenteuer erleben darf – eine wohlbekannte Stärke des Genres.

Bei den Gegnern orientiert man sich nicht an der Realität.
Foto: Coffee Stain

Was ist weniger gelungen?

Als Early-Access-Titel ist Valheim schon jetzt erstaunlich umfangreich und stabil, die gerechtfertigten Kritikpunkte betreffen vor allem Details, die das schwedische Indie-Studio bereits jetzt, kurz nach dem Launch, in Hotpatches zu adressieren versucht. Das Handling des Schubkarrens, der für den Transport größerer Materialmengen nötig ist, braucht definitiv noch Feinschliff, und auch dem eigentlich recht mächtigen Baumodus würden einige kleinere Komfortfunktionen guttun. Auch der Serverbrowser ist etwas wackelig.

Ein grundlegender Kritikpunkt betrifft allerdings die Progressionsstruktur: Im Prinzip zwingt Valheim seine Spieler*innen momentan dazu, streng linear den jeweils nächsten Boss zu erledigen, um die nächsten Stufen von Materialien und Technologien freizuschalten. Die Open-World-Struktur und auch die Zufallsgenerierung der Welt verschleiern so gesehen, dass man hier prinzipiell in jeder Partie ziemlich linear unterwegs ist. Vor allem für Einzelspieler sind dadurch Ausflüge abseits der vorgesehenen Progression von Biom zu Biom nach dem ersten Dutzend Spielstunden ein bisschen zu tödlich.

Das Spiel mit anderen Menschen wird essenzieller Bestandteil.
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Fazit

Valheim ist noch nicht fertig und verträgt noch hier und da Feinschliff, doch nicht nur für ein Early-Access-Spiel wird man hier schon jetzt viele Stunden lang großartig unterhalten. In einem Jahr soll der finale Release erfolgen; Genre-Veteranen, aber auch Einsteiger ins Survival-Sandbox-Genre erwartet aber schon jetzt ein höchst atmosphärisches, sehr solides und für viele Stunden motivierendes Spiel, das besonders im Koop glänzt.

Valheim ist im Early Access für Windows und Linux um 16,79 Euro erschienen. (Rainer Sigl, 14.2.2021)