Postapokalyptisches Gespann: Nico Link und Katrija Lehmann in der 360°-Film-Version von "Krasnojarsk".

Johanna Lamprecht

Virtual-Reality-Brille, die nach dem Ticketkauf an die Wohnadresse zugestellt wird.

Johanna Lamprecht

Es ist Zeit, neue Begriffe kennenzulernen: Touch Controller, Beschleunigungssensor, Fast-Switch-Display. Das Theater hat einen Technologieschub erfahren. Zumindest einige Bühnen trotzen dergestalt den Schließungen. Das Schauspielhaus Graz streamt nun eine Produktion nicht einfach, sondern liefert diese dem Publikum als 360°-Film in einer Virtual-Reality-Brille nach Hause.

Diesen Apparat, sonst eher auf Festivals oder in Ausstellungen im Einsatz, nützt nun erstmals ein Stadttheater zur Aufrechterhaltung seines Spielplans. Dabei sollte man die eingangs erwähnten hochtrabenden Technikbegriffe gleich wieder vergessen und sich auf das schöne Wort "Brille" konzentrieren. Man setzt sich das Theater einfach auf die Nase und drückt auf der in einem allen hygienischen Standards entsprechenden Etui mitgeschickten Fernbedienung auf Start. Es geht los, mitten hinein in Krasnojarsk. Eine Endzeitreise in 360°.

Steppenlandschaft

Die deutschsprachige Erstaufführung in der Regie von Tom Feichtinger (Deutsch: Elke Ranzinger) basiert auf einem Stück des Norwegers Johan Harstad aus 2008, das die menschenleere Welt nach einer globalen Katastrophe ins Auge fasst. Lediglich ein Bruchteil der eurasischen Platte ist erhalten, auf ihr haben sich letzte Forscher in der infrastrukturell einigermaßen intakten sibirischen Stadt Krasnojarsk zusammengefunden. Ein Anthropologe wurde losgeschickt, um nach Leben zu suchen.

Man blickt in eine unendlich weite Steppenlandschaft, in der dieser Mann (Nico Link) mit Leiterwagen und Solarpanel Funkkontakt sucht (gedreht wurde u. a. am Neusiedler See). Er muss schon jahrelang allein unterwegs sein. Er wird auf einen zweiten Menschen treffen, eine Frau (Katrija Lehmann), die einen wertvollen Fund mit sich führt: handschriftliche Berichte. Sie werden verfolgt werden.

Mittendrin-Erfahrung

Die 360°-Sicht und Dolby-Surround-Ton erzeugen Suspense. Das Gras, die muffige Luft in verlassenen Scheunen reichen bis zur eigenen Nasenspitze heran. Die Bilder überlagern sich: Zeiten, Fantasien legen sich wie Vorstellungen über die Szenen – analog zu dem aus monologischen Modulen bestehenden Text. Klug oktroyiert ist dabei auch die Perspektive. Einmal hockt man plötzlich unten am Scheunenboden und blickt zu den herangenahten Verfolgern hinauf. (Margarete Affenzeller, 12.2.2021)