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Stellen Sie sich vor, es ist Hochsommer, gerade bringt Ihnen ein gutaussehender, braungebrannter junger Mann einen Drink an die Liege am Pool." Fast hätte ich aus Versehen das Parfum gekauft, irgendetwas immens Teures von Tom Ford mit besseren geruchlichen Sonnenöl-Ambitionen, einfach nur weil die augenfunkelnde ältere Verkäuferin so verdammt gut in ihrem Job war, nämlich jenem, mir eine Geschichte zu verkaufen.

Denn das tun Parfums: Sie nehmen uns mit in berauschende Nächte, zumindest dem Namen nach, oder einfach nur unter den Feigenbaum am Meer. Sie helfen uns dabei, kurz jemand anderer zu werden, sei’s einfach nur "frischgeduscht", "Erbtante nach Mitternacht in einem verrauchten Lokal" oder "graumelierter Italiener 50 plus beim Unterschreiben eines Vertrages, circa 1970". Man muss keine Yacht besitzen, aber man kann ambitioniert so riechen, als hätte man eine. Aber: Greift man daneben, riecht man schnell einmal präpotent.

Das Image von Düften hat sich gewandelt.
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Das Lexikon der Düfte

Aber Achtung: Was mondän oder präpotent riecht, übrigens auch, was frischgeduscht und was nicht, ist spannenderweise weniger eine Frage der Inhaltsstoffe als des jeweiligen Jahrzehnts und seiner diesbezüglichen Vorstellung davon. Wer an alten Parfums schnuppert, erfährt also auch viel über Moden und Weltanschauungen. Und auch wenn das nach "Abzugeben im Konvolut"-Setzkästen auf Willhaben klingt: Eine Reise durch die Parfumgeschichte ist gar nicht so schwierig, kaum bewegt man sich ein wenig abseits der schicken Präsentationsflächen von Neuvorstellungen in Parfümerieketten. Denn da warten sie dann, in den unteren Fächern, die Eaux de Cologne von Königinnen, die französischen Verführer aus den 1970ern, die eleganten Kettenraucherinnen im Nerz aus den 1950ern, krawallige Geliebte aus den 1980ern, in schicken Flakons und schauen unschuldig, bis man sie ausprobiert.

Wer sich mit Parfums befasst, landet unweigerlich bei ihnen: Luca Turin und Tania Sanchez haben in ihrem legendären regelmäßig neu aufgelegten Parfumführer Perfumes. The A–Z Guide ein ungemein informiertes wie unterhaltsames alphabetisches Verzeichnis aus etwa 100 Jahren Parfumgeschichte angelegt. Begeisterung und Nicht-so-Mögen sorgen beim Lesen für gleichermaßen viel Bruha, da steht schon einmal bei einem Klassiker: "macht Pferde scheu". Andererseits, so beschließt man bei der Lektüre rasch: Pferde scheu zu machen kann ja auch einmal ein guter Vorsatz für den Tag sein.

Emotionale Zeitreise

Turin selbst ist als Professor für Biophysik an der Universität von Buckingham gleich doppelter Geruchsexperte. Die Liebe zum Parfum kam zuerst, die wissenschaftliche Auseinandersetzung damit, wie Riechen funktioniert, später. Das Paar vertritt eine grunddemokratische Haltung, wenn es um Parfums geht: Denn so sehr natürliche Düfte auch en vogue sind, erst seitdem man Duftnoten künstlich reproduzieren kann, sind sie als Freude für die Massen überhaupt möglich. Tatsache ist, der Mensch ist keine Biene – der Geruch von Maiglöckchen ist Parfum gewordener Nachbau einer Idee, kein Service für Insekten.

Es gibt kaum ein anderes Beautyprodukt, das so emotional aufgeladen ist. Allein der Hauch eines bestimmten Parfums kann weit effizienter als Fotos Erinnerungen an große Lieben, andere Lebensalter oder sogar Tote zurückholen, unzählige Einträge in Parfumforen über "das Parfum, das meine Mutter trug, bevor sie abends ausging", bezeugen das genauso wie Hassreaktionen – oder freundlich erinnerndes Grinsen – auf das Parfum von Exen.

Langsam verduftet

Parfums sind veränderlich, das liegt auch an neuen Rezepturen, die durch fehlende Ingredienzen oder EU-Regulierungen notwendig waren. Die Vorstellung, früher hätten alle schwere, muffige Parfums getragen, stimmt jedenfalls nicht, sondern hat mit der Oxidation in einmal geöffneten Flaschen zu tun. Also nein, der fast leere Flakon der alten Tante riecht nicht mehr so, wie der Duft einmal gedacht war. "Zuerst rauchen die Kopfnoten aus, dann werden die Basisnoten tiefer, manchmal wird das Parfum einfach schlecht. Tatsache ist, es haben früher nicht alle nach Keller gerochen", beruhigt Tania Sanchez.

Wer eine alte Abfüllung in tadellosem Zustand aufstellt, kann sein blaues Wunder erleben, sie erzählt von einer Flasche von Lanvins "My Sin" aus den 1920ern, "hergestellt aus Blumen, die zwischen den Kriegen geblüht hatten", und gerät ins Schwärmen: "Das hätte von gestern sein können, frisch und prickelnd, nur der Moschus ist inzwischen verboten." Auch "Shalimar" in der Version der 1950er-Jahre roch anders, "so frisch, dass man blind wurde, wie Eiszapfen, großartig, wunderschön, frostig". Parfum also als Schleichweg in die Vergangenheit? Ja. Aber eben mit Überraschungen. "Es ist wie beim Film, wenn man glaubt, dass in den 1920ern alle etwas gelblich waren", "oder in den 1890ern alle schnell gelaufen sind", fügt Turin lachend hinzu.

"Bibergeil, Zibet – früher hatten alle Parfums einen Tropfen von etwas Dreckigem drin. Heute ist das verpönt." Parfumexperte Luca Turin

Die Einkaufsliste

Warum nun riechen Düfte von beispielsweise 1930 oder 1950 gar so anders als jene späterer Generationen? Es liegt an ihrer Bauweise. "Die Hälfte der Arbeit von klassischen Parfums haben vorproduzierte Basismischungen gemacht, beispielsweise von de Laire verwendet und Antoine Chiris und Co, das waren hochkomplexe Kompositionen, die meisten davon sind völlig verschwunden, auch ihre Parfümeure unbekannt", erklärt Turin. Das Verschwinden dieser Basisparfums und ihrer Rezepturen (und Ingredienzien) macht auch den Nachbau von alten Parfums schwierig.

Die Frage ist: Wie kauft man Parfums eigentlich "richtig"? Wer Altes sucht, ist online und auf Flohmärkten richtig, mit dem Risiko, dass die angeblich "unangebrochene" Flasche nicht mehr taufrisch ist oder das, was man darüber gelesen hat, auf der eigenen Haut halt so gar nicht zutrifft, große Summen zu investieren lohnt selten.

Bei neuen Düften gilt wie bei allen Glückseligkeiten von Sex bis Schnaps: Wer kein Vokabular für die eigenen Präferenzen hat, verliert. Und: Es braucht Expertise. Die älteste Person im Verkaufsraum bietet dank Erfahrung meist die beste Navigation durchs duftende Dickicht – und da sind wir auch schon beim Problem: "In vielen Kaufhäusern ist die älteste Person 22 Jahre alt und hat keine Ahnung, kann auch keine haben", so Turin.

Was also tun? Erstens: Sagen, was man mag, wer keine Duftnoten kennt, nennt einfach Lieblingsparfums. Sanchez empfiehlt: Proben bestellen, das ist bei vielen Nischenparfums online möglich. Kleine Parfümerien aufsuchen, deren Besitzerinnen und Besitzer wissen, was sie im Programm haben und warum.

Fesselnder Jasmin

Ansonsten gelten die Basics: auf Papierstreifen testen und ausschließlich die Düfte, die man wirklich kennenlernen will, auf der Haut ausprobieren. Schnelligkeit wird beim Parfumkauf meist bestraft. Draufsprühen und einmal um den Block gehen ist die Mindestdauer auch für einen Impulskauf, tatsächlich sollte man ein paar Stunden länger warten. Die Materialien für den "Drydown", den stundenlangen krönenden Abschluss des Parfums nach Kopf- und Herznote, sind chemisch so gebaut, dass sie eng an Proteinen klebenbleiben und einen auch lange verfolgen, wenn man grob danebengriffen hat – wir alle kennen das, wenn wir erfolglos versuchen, einen unerträglichen "Duft" von der Haut zu schrubben.

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Die Unterteilung in Herren- und Damendüfte existiert erst seit circa 100 Jahren, man kann sie sich getrost schenken.
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Meine parfumsammelnde Freundin kennt allerdings auch hier keine Grenzen: Was auf der eigenen Haut nicht funktioniert, aber trotzdem geliebt wird, wird einfach nur auf die Kleidung gesprüht.

Gute Parfümerien empfehlen einander übrigens und wissen, wer was im Programm hat. Sich Geschichten erzählen zu lassen lohnt immer (auch wenn es manchmal Geld kostet). "Wissen Sie das nicht? Jasmin sprüht man sich abends vorm Schlafengehen auf die Fesseln!", erzählte mir die elegante Dame in der Parfümerie in Triest. Nein, wusste ich nicht. Natürlich brauchte ich auf der Stelle einen Jasminduft.

Der Schwindel

Zurück zum Frischgeduschten: Parfummarketing schwindelt, erstens. Zweitens: Die Welt um die Parfums herum verändert sich. Nach den heftigen Duftwolken der 1980er-Jahre kamen die ersten stillen Düfte der 1990er-Jahre. Wer sich durch die unteren Fächer einer Bahnhofsparfümerie vergleichsriecht, merkt allerdings: Neben heutigen flüchtigen Zitrusdüften sind sie laut. "Ein Grund, warum diese Parfums, die angeblich ‚frisch‘ sein sollten, so erfolgreich waren, war, dass sie tatsächlich unglaublich kräftig sind. Das ist das Geheimnis von ‚CK One‘, das ist kein nettes, ruhiges kleines Ding. Man riecht es kilometerweit", erklärt Turin.

Aber grundsätzlich ist einem Produkt, das auch einmal behauptet, "für richtige Männer" zu sein ("Pitralon"!), sowieso nicht zu trauen. Die Unterteilung in Herren- und Damendüfte existiert erst seit circa 100 Jahren, man kann sie sich getrost schenken. Warum sollen Frauen nicht nach Tankstelle oder Tabak riechen? Männer nicht nach Frühling in Italien? Alle nach allem, was ihnen lustig ist?

Ein Tropfen Dreck, bitte!

Was hat sich noch verändert? "Früher hat man all diese animalischen Bestandteile verwendet, Bibergeil, Zibet, inzwischen ist das Unsaubere verpönt. Früher hat das den Menschen gefallen, alle Parfums hatten einen Tropfen von etwas Dreckigem drin", so Sanchez. Das Konzept Wohlgeruch allein schon ist eine Frage der moralischen Haltung: "Sogar in Frankreich galt es lange Zeit als vulgär, Parfums zu tragen. Bessere Leute der Generation meiner Großmutter hätten sich nie in einem Guerlain-Shop sehen lassen, das war etwas für Mätressen", erzählt Turin.

Gibt es sonst noch Missverständnisse, die ausgeräumt werden müssen? "Die Vorstellungen, die Männer von Parfum haben, sind ganz besonders grotesk", holt Turin aus. "Niemand wird unwiderstehlich, nur weil er sich etwas raufgesprüht hat, und alle, die wollen, dass ein Parfum eine Woche lang hält statt bis zur nächsten Dusche, sollten sich Gedanken über ihre Hygiene machen." Noch eine Warnung? "Nur weil ein Duft teuer ist, ist er nicht gut", so Sanchez. Und: "Nicht alle Nischenparfums sind interessant, nur weil die Flasche schick aussieht", fügt Turin hinzu.

Werden uns Parfums durch die Pandemie bringen? "Im Lockdown ist der richtige Zeitpunkt, all deine penetrantesten Parfums so oft zu tragen, wie du willst", witzelt Sanchez. "Tatsache ist, sie warnen uns auch. Wenn wir unseren Geruchssinn verlieren, ist das eines der ersten Zeichen der Krankheit", so Turin.

Parfums aus Gesundheitsvorsorge, na gut, ich nehme jede Ausrede mit Handkuss.

(Julia Pühringer, 13.2.2021)