Aufräumen und die Wettbewerbsfähigkeit erhalten lautete die Devise für Voest-Chef Herbert Eibensteiner im ersten Jahr an der Spitze der Voest.

Foto: APA / Helmut Fohringer

Wien – Als Herbert Eibensteiner im Juli 2019 an die Spitze des Stahl- und Verarbeitungskonzerns Voestalpine kam, war Aufräumen angesagt. Die Automobilkonjunktur war bereits auf Talfahrt, dann kamen die Covid-19-Krise und mit ihr enorme Verwerfungen in Stahl-, Öl- und Flugzeugindustrie. Mehr als 10.000 "Voestler" mussten in Kurzarbeit. Jetzt stehen die Zeichen auf Stabilisierung, aber Baustellen gibt es noch einige.

STANDARD: Deutschland bleibt im Lockdown, und erste Konjunkturindikatoren zeigen nach unten. Wie riskant ist das für die größte Volkswirtschaft der EU und für Europas Industrie?

Eibensteiner: In der Industrie spiegelt sich das noch nicht negativ wider, das Umfeld hat sich deutlich verbessert. Die Auftragseingänge werden besser, in manchen Bereichen sind sie bereits auf gutem Level. Im Moment ist keiner der Indikatoren negativ. Es gab eine Erholung aus einem ganz tiefen Tief. Aber Unsicherheiten bleiben natürlich, wenn gewisse Bereiche geschlossen bleiben und die Leute nicht konsumieren können. In der für uns wichtigen Automobilindustrie sehen wir da und dort Verschiebungen – auch wegen der Elektronikbauteile-Problematik.

STANDARD:Woher nehmen Sie diesen Optimismus? Das Wifo sieht eine anhaltend träge Dynamik, das Konsumentenvertrauen ist gering. Ist die Autoindustrie dabei, sich von der Industriekonjunktur abzukoppeln, oder hält sie sich mit Rabatten über Wasser?

Eibensteiner: Die Pkw-Zulassungen gehen im Lockdown teilweise zurück, das hat man in einzelnen Ländern gesehen. Aber die produzierten Autos sind bestellt, und die werden auch abgeholt, wenn sie fertig sind. Es wird ja nicht auf Lager produziert. Bei Hausgeräten sehen wir eine gute Nachfrage, die Auftragseingänge sind in Ordnung. Sollten aber wieder Verwerfungen kommen, kann es natürlich Verschiebungen geben.

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STANDARD: Die Lieferketten sind wieder intakt?

Eibensteiner: Wir bekommen aus der ganzen Welt Rohstoffe und Material, die Lieferketten sind stabil, aber die Frachtraten steigen und werden teurer. Aktuell gibt es aus unserer Sicht keine besonderen Störungen.

STANDARD: Zu Beginn der Covid-Krise hieß es, die Lieferprobleme mit China könnten für den Wirtschaftsstandort Europa und seine Industrie eine Chance sein. Nützt der EU-Binnenmarkt die Chancen?

Eibensteiner: Nicht aus diesem Titel. Denn die internationale Vernetzung der Wirtschaft, die Lieferketten und Geschäftsmodelle sind sehr robust. Die lösen sich nicht kurzfristig auf. Wenn sich Handelsströme verlagern, dann aufgrund der Handelsrestriktionen. Globale Lieferströme haben sich etabliert, und das hatte ja gute Gründe.

STANDARD: Das heißt, eine allfällige Rückverlagerung von Produktion, wie es sie bei Masken und Medizinprodukten gab, ist schon allein aus Kostengründen nicht zu erwarten?

Eibensteiner: Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit, und da hat sich die Weltwirtschaft sehr stark vernetzt, das hat ja auch unsere Strategie sehr verändert in Richtung "multi-domestic": Wir gehen dorthin, wo unsere Kunden sind. Europa ist unser wichtigster Markt, gefolgt von Amerika inklusive Südamerika. Wenn wir in China Weichen bauen, machen wir das mit lokalen Partnern.

STANDARD: Öl, Gas, Luftfahrt – das schaut nicht nach schneller Erholung aus ... Mit zwei bis drei Jahren ist da wohl zu rechnen, bis sich die Flugzeughersteller wieder in die Luft schwingen. Was heißt das für die Edelstahlsparte?

Eibensteiner: Die ersten Erholungsschritte erwarten wir Ende 2021. Aber es wird dauern, bis wir auf die ursprünglichen Bauraten kommen und wieder mehr Flugzeuge gebaut werden. Denn die Supply-Chain ist lang.

STANDARD: Da muss Ihnen die Verzögerung bei den Anlagenteilen für das neue Edelstahlwerk in Kapfenberg gerade recht kommen. Heißt das jetzt Kurzarbeit ad infinitum?

Eibensteiner: Nein. In Kapfenberg wird ja nicht nur für Aerospace produziert. Aber bei Aerospace und in den Bereichen für Öl und Gas haben wir den Personalstand bereits angepasst, um 350 Stellen reduziert. Grundsätzlich schließe ich eine neuerliche Verlängerung der Kurzarbeit in Teilen des Konzerns nicht aus. Aber die große Bandbreite bei der Kurzarbeitszeit werden wir nicht mehr brauchen. Insgesamt haben wir die Kurzarbeit von 10.300 auf aktuell 1100 Mitarbeiter reduziert.

STANDARD: Womit müssen die Stahlarbeiter in Kapfenberg rechnen?

Eibensteiner: Der Auftragsstand reicht bereits wieder für mehrere Wochen. In Kapfenberg produzieren wir ja noch im alten Werk. Das neue Werk wird deutliche Verbesserungen in Automatisierung und Digitalisierung bringen.

STANDARD: Die Leute haben Angst um ihre Jobs, wer kann, kürzt seine Ausgaben. Würgt das die Konjunktur nicht erst recht ab?

Eibensteiner: Wir sperren die Industrie ja nicht zu! Und die Sparraten sind gestiegen.

STANDARD: Genau das ist doch gefährlich?

Eibensteiner: Ich denke, das in der Krise bei Urlaubsreisen Ersparte werden die Menschen danach zusätzlich ausgeben. Das wird die Wirtschaft erst recht ankurbeln.

STANDARD: Ende Februar sollten Impfungen von Mitarbeitern in der kritischen Infrastruktur beginnen. Jetzt gibt es keinen Impfstoff, und die Pläne wurden gekübelt. Stört Sie das?

Eibensteiner: Es ist sehr, sehr positiv, dass mehrere Impfstoffe da sind. Die Erwartung, dass jetzt rasch alle geimpft werden, hat sich nicht erfüllt. Leider ist das so. Es können nicht alle weltweit gleichzeitig geimpft werden.

STANDARD: Unternehmen werden vertröstet, hören von den Ministerien "Wir melden uns". Hat sich bei Ihnen schon jemand mit den Daten des neuen Impfplans gemeldet?

Eibensteiner: Es ist, wie es ist. Die verfügbare Menge an Impfdosen wird ab März hoffentlich steigen, und wir haben einen Impfplan, und den können wir jederzeit hochfahren.

STANDARD: Zurück zu einer Dauerbaustelle: das Werk in Texas. Die Rohstoffkosten steigen, Schrott ist billiger als Erz – wird sich das Roheisenwerk in Corpus Christi jemals rechnen?

Eibensteiner: Texas schmerzt, keine Frage. Und es bleibt schwierig, denn das zugrundeliegende und für uns so wichtige Verhältnis von Schrott- und Erzpreisen hat sich zuungunsten von Corpus Christi verschoben. Die Liefermengen waren geringer, weil die Nachfrage nachgelassen hatte. Jetzt ist es wieder etwas besser, aber es bleibt herausfordernd. Deshalb haben wir die zukünftigen Erwartungen angepasst, und das hat ja auch zu den erheblichen Sonderabschreibungen geführt.

STANDARD: Zuletzt war das Roheisenwerk in Texas mit 448 Millionen in den Büchern – das ist weniger als die Hälfte der Errichtungskosten ...

Eibensteiner: Mit den normalen Abschreibungen stehen wir jetzt bei 400 Millionen Euro.

STANDARD: Würden Sie dieses Roheisenwerk heute genauso bauen und vor allem dort?

Eibensteiner: Diese Frage stelle ich mir als Manager gar nicht. Unsere Aufgabe ist es, diese HBI-Produktionsanlage gut zu betreiben. Die Voraussetzungen und das Umfeld haben sich geändert. Aber Texas wird bei der Dekarbonisierung der Stahlproduktion noch eine wichtige Rolle spielen.

STANDARD: Stichwort Dekarbonisierung: Ist schon absehbar, was die Verschärfung der EU-Klimaziele für die Stahlindustrie bedeutet?

Eibensteiner: Wir gehen davon aus, dass das Emissionshandelssystem bis 2030 bleibt. Für die Zeit danach fehlen allerdings noch einige Details. Die Zeit bis 2030 ist herausfordernd genug. Wir wollen unsere Emissionen um rund ein Drittel reduzieren, das heißt drei bis vier Millionen Tonnen CO2 weniger pro Jahr.

STANDARD: Sie haben der Politik einen lustigen Brief geschrieben, in dem Sie Unterstützung etwa bei Grünstrom und die Einrichtung eines Innovationsfonds einfordern, um die Umstellung auf neue Technologien zu forcieren. Haben Sie je eine Antwort bekommen?

Eibensteiner: Wir haben beim EU-ETS-Innovationsfonds unser Dekarbonisierungsprojekt "Greentec Steel" eingereicht. Wir sind da im harten Wettbewerb, es wurden Projekte im Volumen von 20 Milliarden eingereicht, ausgelobt ist eine Milliarde Euro. Dieses Projekt hat die Unterstützung der Regierung – insofern haben wir auf unseren Brief eine Antwort bekommen. (Luise Ungerboeck, 14.2.2021)