Die ÖVP formiert sich rund um Finanzminister Gernot Blümel, gegen den nun ermittelt wird.

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Wo auch immer Sebastian Kurz war, war Gernot Blümel nicht weit. Im Abstand von nur zwei Monaten traten beide der JVP in der Wiener Innenstadt bei; dann folgte der gemeinsame Aufstieg auf der Karriereleiter. Kurz wurde Obmann der JVP Innere Stadt, Blümel wurde sein Vize. Kurz wurde Chef der gesamten Wiener JVP, Blümel wurde sein Vize – und so weiter und so fort. Nur einmal ließ Kurz seinem Vertrauten den Vortritt: Nach dem desaströsen Wahlergebnis bei den Wiener Landtagswahlen 2015 wehrte sich Kurz mit Nachdruck, die Landespartei zu übernehmen. Also opferte sich Blümel.

Im Winter 2017 gelangten Kurz und Blümel dann an den vorläufigen Zenit ihrer Macht. Die lang geheim in Kurz' Umfeld geplante "Operation Ballhausplatz" war erfolgreich absolviert worden. Mit der FPÖ hatte man den richtigen Koalitionspartner, hieß es doch schon in den internen Papieren, die "ÖVP neu" unter Kurz solle "FPÖ Themen, aber mit Zukunftsfokus" zu ihrem inhaltlichen Kern machen. Kurz wurde Bundeskanzler, Blümel Minister im Kanzleramt – nicht weit entfernt also. Und passend zum Verhältnis der beiden lautet auch Blümels Coleur-Name "Alkuin" – nach dem Berater Karl des Großen.

Aber auch zu anderen hochrangigen ÖVP-Politikern hat Blümel enge Verbindungen. Im Kabinett des einstigen Außenministers Michael Spindelegger saß er gemeinsam mit Alexander Schallenberg, heute selbst Außenminister, sowie Thomas Schmid, heute Chef der staatlichen Beteiligungsholding Öbag.

Die Einschläge rücken näher

Die Eingeschworenheit der türkisen Führungsspitze, deren Mitglieder einander fast blind vertrauen, galt lange als herausragender Vorteil gegenüber anderen Parteien. Nun könnte die enge Verbundenheit allerdings zur Gefahr werden, weil die Ermittler der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) immer mehr Einblick in den türkisen Machtzirkel bekommen und dort Verdächtiges entdeckt haben wollen.

All das hängt indirekt mit dem Ibiza-Video zusammen, das im Mai 2019 die türkis-blaue Koalition sprengte. Als Spiegel und SZ kurz vor der Veröffentlichung der Aufnahmen Medienanfragen nach Wien schickten, urlaubte Blümel gerade in Portugal. Kurz bat ihn, sofort wieder nach Wien zurückzukehren, wie der Krone-Journalist Klaus Knittelfelder in seinem Buch Inside Türkis nachzeichnet.

Als klar wurde, dass Kurz vom Nationalrat das Misstrauen ausgesprochen werden wird, schredderte ein Mitarbeiter des Kanzlers unter falschem Namen Festplatten aus dem Kanzleramt. Schon da wurde die WKStA hellhörig und nahm Ermittlungen auf. Auch weil sie nicht rekonstruieren konnte, was sich auf den Festplatten befindet, wird das Verfahren eingestellt. Die den Fall führende Staatsanwältin, nun aus der WKStA ausgeschieden, sprach vergangene Woche im U-Ausschuss von "politischem Störfeuer" bei den Ermittlungen.

Die "Casag-Frage"

Durch das Ibiza-Video wurden Verdachtsmomente rund um die Causa Casinos Austria AG (Casag) erhärtet: Dort war im März 2019 der einstige blaue Bezirksrat und Finanzmanager Peter Sidlo zum Finanzvorstand bestellt worden. Vorstandsvorsitzende wurde Bettina Glatz-Kremsner, einst ÖVP Vizeparteiobfrau.

Die Causa Casinos ist komplex, lässt sich aber vereinfacht herunterbrechen: Im Grunde ging es unter Türkis-Blau um die Frage, welcher der drei großen Eigentümer die Strategie der Casag bestimmen kann – die Republik Österreich über die staatliche Beteiligungsholding, die tschechische Sazka-Gruppe oder der Privatkonzern Novomatic.

Eigentlich hatten sich Novomatic und Sazka miteinander verbündet, wodurch die Republik bei "ihrer" Casag außen vor war. Deshalb war die Neuaufstellung der Casag im Hintergrund ein ständiges Thema.

Vizekanzler Heinz-Christian Strache, Klubobmann Johann Gudenus (beide FPÖ), Finanzminister Hartwig Löger und dessen Kabinettschef und Generalsekretär Thomas Schmid (beide ÖVP): Sie alle involvierten sich in der "Casag"-Frage – und sie sind heute alle Beschuldigte in den Ermittlungen der WKStA, es gilt die Unschuldsvermutung.

Den Ausgangspunkt in den Ermittlungen lieferte eine anonyme Anzeige, in der behauptet wurde, die Novomatic wäre mit der FPÖ einen Deal eingegangen. Sidlos Krönung zum Casag-Vorstand mithilfe der Novomatic sowie finanzielle Unterstützung für FPÖ-nahe Vereine sollten von der FPÖ mit neuer Glücksspielgesetzgebung und Casinos-Lizenzen "bezahlt" werden – die Beteiligten bestreiten das. Deshalb wurden im Sommer 2019 Hausdurchsuchungen bei Strache und Gudenus durchgeführt und Smartphones beschlagnahmt.

Nach und nach fragte sich die WKStA, welche Rolle die ÖVP bei dem vermuteten Deal gespielt haben könnte. Einerseits wurde die einstige Vizeparteiobfrau und langjährige Casinos-Managerin Glatz-Kremsner zur Casag-Chefin; andererseits erreichte auch Finanzkabinettschef Thomas Schmid neue Karrierehöhen. Denn zeitgleich zur Neubestellung des Casinos-Vorstands wurde auch die österreichische Beteiligungsholding umgebaut: Aus der Öbib wurde die Öbag, als deren neuer Alleinvorstand Schmid fungierte. Im Herbst 2019 setzte es deshalb die nächste Runde an Ermittlungsschritten: Die WKStA führte Hausdurchsuchungen bei Löger und Schmid durch. Letzterer hatte zu diesem Zeitpunkt sein Smartphone neu aufgesetzt. Doch über ein Back-up konnten Ermittler Chats wiederherstellen. Seitdem gerät auch die ÖVP immer mehr in den Sog der Casinos-Affäre.

Erinnerungslücken im U-Ausschuss

Bei den Nationalratswahlen im September 2019 konnte die ÖVP reüssieren: Die FPÖ stürzte wegen der Ibiza-Affäre und weiteren Skandalen auf 16 Prozent ab; während die Kanzlerpartei auf 37,5 Prozent kletterte. Auch die Grünen feierten einen Erfolg, sie zogen mit fast 14 Prozent wieder in den Nationalrat ein. Rasch kristallisierte sich heraus, dass Kurz nun auf eine türkis-grüne Koalition setzen würde. Der neue Regierungspartner stand für Antikorruption, Transparenz und Sauberkeit; Kurz konnte damit den ehemaligen Ibiza-Koalitionspartner vergessen machen.

Regieren würde aus Sicht der ÖVP zwar nicht so unkompliziert werden wie mit der inhaltlich ähnlich eingestellten FPÖ; im Unterschied zu Türkis-Blau, den zwei fast gleich großen Koalitionsparteien, gab es nun aber eine klare dominierende ÖVP mit einem Juniorpartner. Das zeigte sich auch im Regierungsprogramm, wo vor allem in Asyl- und Migrationsfragen eine klar türkise Handschrift vorherrschte. Da die Volkspartei unbedingt wieder den Innenminister stellen wollte, war klar, dass die Grünen das Justizressort besetzen sollten. Die Casinos-Ermittlungen sollten somit unter grüner Aufsicht weiterlaufen. Was das heißt, spürte Justizministerin Alma Zadić (Grüne) nach wenigen Wochen im Amt. Schon im Jänner 2020 griff Kanzler Kurz in einem Hintergrundgespräch vor Journalisten die WKStA scharf an. In einigen Medien lancierte die ÖVP Berichte über "rote Netzwerke" in der Justiz und beklagte die lange Verfahrensdauer bei Korruptionsermittlungen.

Die türkise Vereinswelt

Die Corona-Pandemie, die im März 2020 Österreich erreichte, fror diesen Konflikt ein. Doch spätestens mit dem Ibiza-Untersuchungsausschuss, der im Sommer 2020 seine Arbeit aufnahm, begann der Streit wieder zu schwelen. Rasch wurde klar, dass der Ausschussvorsitzende Wolfgang Sobotka (ÖVP) selbst enge Verbindungen zur Novomatic hat: Der Glücksspielkonzern unterstützte Sobotkas Thinktank, das Alois-Mock-Institut, seit vielen Jahren. Insgesamt erreichte die Unterstützung einen Geldwert von über 100.000 Euro. Auch die grünen Abgeordneten begannen, Sobotkas Vorsitzführung zu kritisieren und seinen Rückzug zu fordern.

Langsam fokussierte sich der Ausschuss auf die ÖVP: Auf ihre Spender samt deren Einzug in Aufsichtsräte und Vorstände staatsnaher Vereine; sowie auf Gesetzesänderungen, die jahrelang von diesen Unternehmern gefordert worden waren. Besonders mokierte sich die Opposition über die Erinnerungslücken, die türkise Spitzenpolitiker im U-Ausschuss erlitten. 86-mal konnte Gernot Blümel keine klare Auskunft geben. Befragt, ob Spenden ein Thema waren, meinte Blümel kryptisch, er könne für sich ausschließen, sich erinnern zu können, dass das ein Thema war.

"Erstens Spende"

Bis Blümel ins Visier der Ermittler geriet, verging aber noch einige Zeit. Im Dezember 2020 landeten die Datenauswerter der WKStA dann aber einen "Zufallsfund", als sie das Smartphone des einstigen Novomatic-Chefs Harald Neumann weiter durchsuchte. Sie fand dort eine Nachricht, die der Novomatic-CEO im Sommer 2017 an Blümel geschickt hatte. Darin bat Neumann um einen Termin beim damaligen Außenminister Sebastian Kurz wegen "erstens Spende, zweitens eines Problemes (sic), das wir in Italien haben!". Blümel kontaktierte Schmid im Finanzministerium, der dann mit Neumann telefonierte.

Gemeinsam mit anderen Indizien war das für die WKStA genug, um eine Hausdurchsuchung bei Blümel zu beantragen. Schon am 23. Dezember 2020 bewilligte das eine unabhängige Richterin. Ein erster Zugriff Anfang Februar kam wegen des Lockdowns nicht zustande – vergangene Woche leakte dann Blümels Beschuldigtenstatus, die Hausdurchsuchung wurde "dringlich".

Nun ist klar: Die WKStA ist direkt ins Zentrum der ÖVP vorgestoßen. Der Name von Sebastian Kurz wird in der Durchsuchungsanordnung öfter als der des Beschuldigten Blümel genannt, wenngleich keine Verdachtsmomente gegen den Kanzler bestehen. Nach einer Schrecksekunde ging die ÖVP dann in die Offensive: Blümel gab Pressestatements und Interviews, in denen er versprach, die "falschen Vorwürfe" ließen sich "rasch aufklären". Außerdem legte er eine eidesstattliche Erklärung ab, selbst keine Spende für eine Gegenleistung angenommen zu haben.

Im Hintergrund nahmen die Attacken gegen die WKStA an Fahrt auf; die türkise Justizsprecherin Michaela Steinacker will gar bemerkt haben, dass die Staatsanwälte die "Diktion" von SPÖ und FPÖ benutzen, wenn sie von "Kurz' Machtübernahme" in der ÖVP schreiben. Sowohl Blümel als auch das Kanzleramt drohten mit Klagen, wenn Korruption unterstellt würde. Die Grünen stellten sich hingegen schützend vor die Justiz. Die WKStA solle sogar mehr Unabhängigkeit erlangen, sagte Vizekanzler Werner Kogler, der Zadić in ihrer Babypause vertritt. Am Dienstag könnten deshalb in einer Sondersitzung des Nationalrats auch die beiden Koalitionspartner aufeinanderprallen. Für Kurz geht es nun um viel, womöglich sogar um alles – für die WKStA aber ebenso. (Fabian Schmid, 14.2.2021)