Lange vehement dagegen, will die ÖVP nun doch einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt einsetzen. Dazu soll zuerst mit Richtern, Anwälten und dem Parlament diskutiert werden.

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Und sie bewegt sich doch – und das mitten in der Causa rund um ihren Finanzminister Gernot Blümel: Seit Wochenbeginn fordert die Kanzlerpartei ÖVP plötzlich einen Bundesstaatsanwalt, allen voran Klubchef August Wöginger, obwohl seine Partei jahrzehntelang dieses Ansinnen blockiert hat.

Selbst der grüne Koalitionspartner konnte sich da die eine oder andere Stichelei nicht verkneifen, die rot-blau-pinke Opposition sowieso. Auf Anfrage, wie er zu dem ÖVP-Vorstoß stehe, erklärte Vizekanzler Werner Kogler, derzeit Justizminister: "Es ist sehr erfreulich, dass die ÖVP dem grünen Druck nun endlich nachgibt und eine entpolitisierte oberste Staatsanwaltschaft schaffen will."

In Verhandlungen blockiert

Doch bereits 2001 habe sich die damalige Grünen-Justizsprecherin dafür ausgesprochen, und: "In den Regierungsverhandlungen hat die ÖVP dieses Anliegen noch vehement blockiert", hält Kogler fest. Dennoch sei eine unabhängige oberste Staatsanwaltschaft "ein wichtiger Schritt zur weiteren Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz". Das Justizressort werde dieses Vorhaben also so rasch wie möglich "in Angriff nehmen". Auch die grüne Klubchefin Sigrid Maurer schlug via Twitter in dieselbe Kerbe: "Offenbar hat es erst eine Hausdurchsuchung fürs Umdenken gebraucht", stichelte sie in Richtung ÖVP.

Doch was kann ein Bundesstaatsanwalt angesichts clamoroser Fälle, in die Politiker und Promis involviert sind, mehr leisten als die herkömmlichen Staatsanwälte? Fakt ist, dass die Ankläger bei solchen Verfahren seit Jahrzehnten selbst oft in Verruf geraten. Da ist von vorauseilendem Gehorsam die Rede anstatt von ihrer formal garantierten Unabhängigkeit – weil es ihnen gegenüber bis heute das umstrittene Weisungsrecht gibt.

Plädiert ein Staatsanwalt in Politfällen für eine Anklage, heißt es, er habe wohl politischen Druck bekommen. Stellt ein Ankläger eine brisante Causa hingegen ein, wirft man ihm und seinesgleichen mitunter vor, die schützende Hand über den Politiker zu halten. Fällt ein Staatsanwalt wiederum aus Bedacht nicht sofort einen Entscheid, sagt man ihm nach, er verschleppe das Verfahren. Kurz zusammengefasst: Egal wie die Staatsanwälte, die ihren Chefs und vorgesetzten Behörden über Ermittlungs- und Verfahrensschritte zu berichten haben, agieren – sie können es nie allen Lagern recht machen.

Neuer Stoff für Gemunkel

Zwar hat Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) 2015 einen Weisungsrat eingesetzt, der als Kontrollorgan über Weisungen wacht, doch das Gemunkel über Einflussnahmen riss nie ab – und die jüngsten Aussagen einer ehemaligen Staatsanwältin zur Schredderaffäre im Ibiza-U-Ausschuss lassen erst recht wieder erahnen, mit welchen Problemen diese Zunft in brisanten Causen zu kämpfen hat.

Auf einen Chefankläger der Republik hingegen müssten sich wohl zuerst alle Parlamentsparteien einigen, und: Ein solcher würde weit über eine Legislaturperiode hinaus bestellt, sodass er auf Druck der jeweils Regierenden kaum abberufen werden könnte.

Auch die SPÖ verwies am Montag darauf, dass sie seit über zwei Jahrzehnten auf einen Bundesstaatsanwalt dränge. Für die FPÖ zeigt sich angesichts des türkisen Sinneswandels, "dass der ÖVP das Wasser bis zum Hals steht". Und für die Neos will die Kanzlerpartei mit ihrem Kurswechsel von den laufenden Ermittlungen gegen Blümel "ablenken".

Besprechung angesetzt

In der Causa rund um Blümel schwelen im Hintergrund erneut Konflikte. Daher soll es demnächst eine Besprechung im Justizressort geben. Ob ein unabhängiger Richter die Hausdurchsuchung und Befragung von Blümel hätte durchführen müssen, wie Ex-Innenminister Wolfgang Peschorn in der ORF-Sendung "Im Zentrum" erklärte, ist unklar. De facto handelt es sich bei der Bestimmung, die er zitierte, um totes Recht, sie ist nur einmal im Fall Kampusch angewandt worden.

Die Staatsanwälte plädieren jedenfalls bereits dafür, dass nicht das Parlament, sondern eine vom Bundespräsidenten ernannte Kommission den Bundesstaatsanwalt einsetzt. (Renate Graber, Fabian Schmid, Nina Weißensteiner, 15.2.2021)