Anfang 2001 erschien die erste öffentlich verfügbare Version des VLC-Players.

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Die frühen 2000er-Jahre brachten nicht nur dem MP3-Format und damit letztlich auch dem digitalen Musikvertrieb den Durchbruch. Steigende Bandbreiten ließen auch Videos in digitaler Form in der Akzeptanz steigen, was auch ein Nebeneffekt des nicht immer ganz legalen Filesharings war, gegen das die Musik- und Filmindustrie alsbald Sturm laufen sollte.

Es war in diesem Kontext auch das Zeitalter der Formatkriege. Neben dem einigermaßen universell genutzten und von Microsoft entwickelten AVI-Container preschten andere Anbieter mit ihren eigenen Süppchen vor. Apple setzte etwa auf Quicktime (MOV, QT), Real Media, die Macher des berühmt-berüchtigten Real Players, warben massiv für ihr eigenes RM-Format, und Microsoft selbst machte sich mit Windows Media Video (WMV) noch einmal selbst Konkurrenz. Nicht selten waren auf Rechnern deswegen mehrere Videoplayer nebst diversen Zusatzcodecs installiert.

Aus der Not geboren

Schließlich sollte es ein Open-Source-Projekt – der Videolan Player – sein, das maßgeblich zur Beendigung dieses Zustands beitrug. Die Formatkriege entschieden sich zwar mit der Zeit von selber, doch dank des "VLC" mussten sich die Nutzer mit dem Formatdschungel immer weniger befassen.

Die Wurzeln des Projekts, das seit 2001 rund 3,5 Milliarden Downloads verzeichnen konnte, liegen aber eigentlich woanders, wie "Protocol" dokumentiert. An der Ecole Centrale in Paris waren die Studenten Mitte der 1990er immer unzufriedener mit ihrem Token-Ring-Netzwerk. Es hatte lange gereicht für E-Mails und Newsgroups, erwies sich aber für moderne Anwendungen wie Internetzugriff und Dateidownload als Krücke. Auch Videogames im Netzwerk zu spielen war damit unmöglich. Also wollte man ein Upgrade, um gegeneinander den damals populären Shooter Duke Nukem 3D zocken zu können.

Doch die Uni konnte keine Mittel bereitstellen, weswegen man einen Sponsor suchte. Man fand ihn 1996 in einem Fernsehunternehmen, das die Übertragung von TV über Computernetzwerke erproben wollte. Statt dass jedes Zimmer mit einem eigenen Receiver bestückt wird, sollten die Studenten nach einem Weg suchen, das Fernsehsignal über ein TCP/IP-Netzwerk zu streamen – also das Satellitensignal zu enkodieren, zu verteilen und auf den Computern der Nutzer wieder zu dekodieren. Dazu schrieb man eine Server- und eine Clientsoftware unter dem Namen Videolan.

Schnelle Begeisterung

Spätere Generationen der Studenten entwickelten das Projekt weiter, ehe man die Entscheidung traf, den Quellcode allgemein zugänglich zu machen. Die erste Ausgabe des Players wurde am 1. Februar 2001 für Linux und BeOS veröffentlicht. Ein niederländischer Entwickler lieferte alsbald eine Portierung für macOS, die auch schnell für viel Interesse sorgte, da Apples Betriebssystem damals noch keinen Player für DVDs mitbrachte. Ein Brite brachte den VLC auf Windows.

Seine Linux-Basis, so "Protocol", ist ein entscheidender Grund für den Erfolg des Players. Weil das System keine eigene Codec-Bibliothek hat (ein Codec teilt einem Programm im Prinzip mit, wie es Dateiformate zu kodieren und zu enkodieren hat), wurden diese mit dem Player selbst gebündelt. So kamen auch Windows-Nutzer zum Vorteil, nicht nur einen netzwerkfähigen Player zu haben, sondern auch einen, der wesentlich mehr Formate wiedergeben konnte als seine Konkurrenten.

Im Rahmen ihrer Bemühungen um netzwerkbasiertes Videostreaming entwickelten die VLC-Macher auch den x264-Enkoder für den bis heute weit verbreiteten H.264-Codec. Dieser ermöglicht eine Übertragung von Videos in guter Qualität bei geringem Bandbreitenaufwand. Heute wird der Enkoder von so ziemlich allen wichtigen Plattformen genutzt, die Videos anbieten – von Youtube über Netflix bis Facebook.

Patentklagen und Betrüger

Der Funktionsumfang und die Beliebtheit des VLC wuchsen in den Folgejahren kräftig weiter. 2009 verzeichnete man den 100 Millionsten Download. Die Popularität rief aber auch Trittbrettfahrer auf den Plan. Cyberkriminelle verbreiteten VLC-Installationspakete mit gefährlicher Beifracht, Betrüger versuchten, das Programm unter anderem Namen zu verkaufen. Und Anwälte gingen gegen das Projekt wegen angeblicher Patentverletzungen vor.

Sämtliche Klagen entbehrten jedoch einer Grundlage. Mal ging es um US-Patente, die sich in Europa nicht einfach so anwenden lassen. Oder es wurden Patente für Technologien angeführt, die der VLC bereits implementiert hatte, bevor sie überhaupt zum Patent angemeldet worden waren. "Mafiös", nennt Jean-Baptiste Kempf solche Vorgangsweise. Er landete 2005 beim Projekt und ist heute Präsident der Videolan-Stiftung.

Rettung durch Entkoppelung

Kempf war auch federführend bei dem Schritt, die VLC-Entwicklung von der Universität zu entkoppeln und als eigene Organisation zu etablieren. Denn wenngleich Patentklagen der Entwicklung nichts anhaben konnten, konnte es doch der organisatorische Aufwand. Mitglieder kamen und gingen wieder mit dem Ende ihrer Uni-Laufbahn. 2007 bestand das Kernteam aus nur drei Personen, die Entwicklung stand über lange Strecken praktisch still. Doch wenngleich man über kommerzielle Unterstützung nachdachte, schlug man mehrere Angebote von Firmen aus, die gegen Bezahlung Browser-Erweiterungen und andere Software mit dem VLC-Installationspaket bündeln wollten.

Es wurde ein anderes Modell. Kempf gründete das Unternehmen Videolabs, das nicht zur Organisation hinter dem VLC gehört, aber eng mit ihr kooperiert. Hier sind mehrere wichtige VLC-Entwickler angestellt, die Firma leistet kostenpflichtige Entwicklung und Beratung für Firmen wie Samsung, Cisco, Microsoft oder Fernsehbetreiber, auf deren Settop-Boxen eine angepasste Ausgabe des Players läuft. Das sichert ihnen ein stabiles Einkommen, reduziert aber die Zeit, die sie in die Entwicklung des Open-Source-Projektes stecken können.

VLC 4.0 und Mondkapsel

Dennoch hat man einiges vor. Heuer noch soll der VLC in Version 4.0 erscheinen und dabei auch ein aufgefrischtes, moderneres Interface erhalten. In Arbeit ist außerdem eine browserbasierte Version. Und man will sich auch weiter einbringen in die Entwicklung der nächsten Generation von Videocodecs. Als Geburtstagsgeschenk sammelt man außerdem Videos von Nutzern, die man in einer "Zeitkapsel" im Rahmen des ersten kommerziellen Mondflugs auf den Erdtrabanten befördern möchte.

Die Idee sei zwar "komplett idiotisch", aber dafür umso lustiger, zumal die Videolan-Community fasziniert vom Weltraum sei. Dazu folge man damit auch dem eigenen Prinzip, Dinge nicht nur zu tun, wenn sie Geld bringen, sondern auch um Freude damit zu haben. So wie auch der Player selbst einst nicht aus Eigeninteresse veröffentlicht wurde, sondern um auch für andere Menschen nützlich zu sein. (gpi, 16.2.2021)