Die Erfolge der Deutschen sind auch eine Folge österreichischer Entwicklungshilfe und beleben das Geschäft.

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Cortina d'Ampezzo – Wie es eben so ist, irgendwann beginnt der kleine Bruder aufzumucken, schlägt auch zurück. Und bisweilen landet er auch einen schmerzlichen Treffer, schließlich hat er irgendwann die Demütigungen satt. Im Fall des im Allgemeinen großen Bruders Deutschland, in der alpinen Skifahrt freilich der kleine Bruder, ist das Aufbegehren in den Speeddisziplinen gerade noch einmal schadlos an der Skination vorbeigegangen, wenn auch mit einer Portion Fortune. Nicht auszudenken, was los gewesen wäre, wenn sie brüskiert worden wäre.

Weiterer Schritt

Sportdirektor Anton Giger imponierte die Performance von Kriechmayr, der in Cortina zum Doppelweltmeister avancierte, zumal er als Favorit im Super-G schon nichts anbrennen ließ, auch wenn "Großereignisse ihre eigenen Gesetze haben und Favoriten der Erwartungshaltung oft nicht ganz gerecht werden. Es gibt eher wenige, die das schaffen." Grundsätzlich sei der Oberösterreicher ein harter Arbeiter, "und Talent hat er sowieso. Mit forciertem Riesentorlauftraining hat er technisch noch einmal einen Schritt gemacht." Das Quäntchen Glück brauche man freilich auch, sagt Giger, der das Herrenteam nun befreit sieht. "Wenn es nicht läuft, dann baut sich eine nicht gerade hilfreiche Spannung auf." Die "gewisse Lockerheit" sei eine gute Basis für die nächsten Rennen.

Österreichs Sportdirektor Giger ist nach den Erfolgen entspannt.
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Und die Verhältnisse blieben im traditionellen Rahmen. Deutschland fungiert im Fußball mit einer positiven Länderspielbilanz ebenso als großer Bruder wie etwa auch im Biathlon, wenngleich die Nachbarn bei der WM in Pokljuka nach fünf von zwölf Bewerben noch ohne Medaillen dastehen, während Österreich nicht zuletzt durch die famose Lisa Hauser mit zwei Silbernen bereits eine vortreffliche Ernte eingefahren hat.

In alpinen Angelegenheiten sah es in der Bundesrepublik lange Zeit eher mau aus, die Rücktritte von Viktoria Rebensburg und Felix Neureuther wurden aber insofern abgefedert, als Thomas Dreßen (fünffacher Weltcupsieger in Abfahrten) sowie Josef Ferstl (zweifacher Super-G-Sieger) in die Bresche sprangen. Und nun holte neben Romed Baumann und Andreas Sander auch Kira Weidle überraschend Silber. Dem nicht genug, schließlich ist dem großen, kleinen Bruder auch in den technischen Disziplinen noch etwas zuzutrauen. Linus Straßer etwa hat mit seinem Sieg in Zagreb und Platz zwei in Adelboden Potenzial bewiesen.

Hohe Erwartungshaltung

Wie in Österreich ist auch in Deutschland die Erwartungshaltung enorm. Das Soll sind stets mehrere Medaillen. DSV-Sportdirektor Wolfgang Maier könnte ein Lied davon singen. Nach lediglich einer Silbermedaille in Are 2019 (Rebensburg im Riesentorlauf) hat man sich nach Silber von Baumann von Druck befreit. "Ich konnte zu meinen Sportlern sagen, wir fahren auf jeden Fall mit einem positiven Ergebnis nach Hause, egal was kommt." Es wirke total entspannend, wenn man nicht immer einem Ergebnis hinterherlaufen müsse. Mit der Leichtigkeit würden auch die Ergebnisse kommen. Bei den Österreicherinnen sei zu beobachten gewesen, dass sich nach guten Trainingsergebnissen kleine Fehler einschlichen. Das passiere, "wenn man muss, unbedingt will".

Deutschlands Sportdirektor Maier ist nach den Erfolgen entspannt.
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Damit etwas weitergeht, hat die deutsche Skifahrt mit österreichischem Know-how aufgerüstet, der frühere Herrencheftrainer im ÖSV, Mathias Berthold, hat durch sein Engagement als DSV-Bundestrainer von 2014 bis 2019 seinen Teil zum Erfolg beigetragen, danach übernahm der Saalfeldener Christian Schwaiger. Als Herren-Speedtrainer wurde Andreas Evers verpflichtet, der viele Jahre als ÖSV-Herrentrainer arbeitete. Zudem verfügt man über ein Technologiezentrum, wenn auch ein kleineres als in Österreich. "Mit Evers haben wir einen außergewöhnlich guten Trainer gefunden", sagt Maier. Im Endeffekt mache es aber die Kombination aus vielen Menschen aus, die von den Läufern "extrem positiv" angenommen werde. "Evers ist einer der weltbesten Abfahrtstrainer. Er hat großen Anteil an beiden Medaillen", sagt Giger, den Baumann beeindruckt hat: "Von allen abgeschrieben, ist er aus der Mannschaft gefallen und stand ziemlich allein da. Das musst du es erst einmal durchdrücken. Er hat an sich geglaubt, es geschafft, und das freut mich sehr für ihn."

Win-win-Situation

Dass das deutsche Team reüssiert, sei enorm wichtig für den Skisport. "Man muss es auch wirtschaftlich sehen", sagt Giger und zieht einen Vergleich mit Biathlon. "Durch die Power des deutschen Teams hat Biathlon einen enormen Stellenwert in der Sportwelt bekommen." Man verstehe sich gut mit dem Nachbarn. "Wir nehmen sie oft mit zu Trainings. Die wirtschaftliche Position, die sich dadurch ergebe, sei sehr positiv. Oft sind die Schläge des Bruders eben leichter zu ertragen als von Außenstehenden. (Thomas Hirner, 15.2.2021)