Eine Person mit Covid-19 wird ins Royal London Hospital eingeliefert, vor dem sich Rettungswägen stauen. Die Variante B.1.1.7 hat das britische Gesundheitssystem an seine Belastungsgrenzen gebracht.

APA / AFP / Justin Tallis

Der harte Lockdown hat die dramatische Lage in Großbritannien erst in den letzten Tagen minimal erleichtert. Rund um den Jahreswechsel gab es Spitzenwerte von rund 60.000 gemeldeten Neuansteckungen täglich, nun sind es "nur mehr" rund 10.000, und der Höhepunkt von über zwei Millionen aktiven Ansteckungsfällen Ende Jänner ist auch überschritten.

Doch die Zwischenbilanz der zweiten beziehungsweise dritten Welle ist absolut verheerend: Rund die Hälfte der bis jetzt insgesamt 117.000 Covid-19-Toten im Vereinigten Königreich starb seit Ende November. Damit zählt Großbritannien weltweit zu den Ländern mit den meisten Pandemieopfern im Vergleich zur Bevölkerungsgröße.

Harte britische Lehren

Die große Frage, die auch alle anderen Länder interessiert: Welche Anteile an der katastrophalen Entwicklung der letzten zweieinhalb Monate hat die ansteckendere britische Virusmutante B.1.1.7, die sich mittlerweile in 82 Ländern ausgebreitet hat? Durch viele Studien ist mittlerweile bestätigt, dass B.1.1.7 – in Großbritannien nach ihrem ersten Verbreitungsort meist als "Kent-Variante" bezeichnet – sehr viel ansteckender ist als das "herkömmliche" Sars-CoV-2-Virus.

Die jüngsten Schätzungen gehen von einer um mindestens 43 Prozent erhöhten Infektiosität der britischen Mutante aus. Und diese Zahlen sind schlimm genug, weil sie im Durchrechnungszeitraum eines Monats die Fallzahlen je nach Berechnung zumindest um das Sechsfache erhöhen könnten, wenn nichts dagegen unternommen wird. Doch was ist mit der höheren Sterblichkeit durch B.1.1.7, von der die britische Regierung bereits am 22. Jänner warnte? War das vorschnell, oder ist tatsächlich etwas dran?

Seit vergangenen Freitag gibt es die bisher neueste Einschätzung. Das dazugehörige Dokument wurde am Freitag auf einer Website der britischen Regierung veröffentlicht, von dieser aber nicht mehr weiter öffentlich kommentiert.

Erhöhtes Sterberisiko

Unter dem Strich weisen die Zahlen auf eine Erhöhung des Risikos für Krankenhausaufenthalte und Sterbefälle um 40 bis 60 Prozent hin, erklärte am Samstag der Epidemiologe Neil Ferguson (Imperial College London), der auch die britische Regierung berät.

Weitere Daten liefert eine neue, noch nicht fachbegutachtete Studie der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Die Forscher nahmen dafür 3.382 Todesfälle unter die Lupe – davon waren 1.722 Opfer mit der Variante infiziert. Die Untersuchung kam zum Schluss, dass die Mortalität bei den durch die Variante verursachten Fällen um 58 Prozent höher war. Für Männer im Alter von 55 bis 69 Jahren etwa erhöhte sich dadurch das Sterberisiko von 0,6 Prozent auf 0,9 Prozent, für Frauen in dieser Altersgruppe von 0,2 Prozent auf 0,3 Prozent.

Es gibt freilich nach wie vor erhebliche Unklarheiten und Unsicherheiten, obwohl die britischen Epidemiologen zu den besten der Welt zählen und die neue Variante genauestens untersuchen. Entsprechend wird im Dokument der Regierung die Wahrscheinlichkeit eines höheren Sterberisikos zum einen "nur" auf 55 bis 75 Prozent beziffert. Zum anderen sind die Gründe für die vermutlich erhöhte Todesrate unklar, was unter den britischen Experten zuletzt zu einigen Diskussionen führte.

Zwei unterschiedliche Erklärungen

Einige Hinweise deuten darauf hin, dass Menschen, die mit der Variante infiziert sind, eine höhere Viruslast haben. Das dürfte nicht nur das Virus ansteckender machen, sondern auch dazu führen, dass die Therapien bei den erkrankten Personen schlechter wirken. Diese Erklärungen würden tatsächlich nahelegen, dass die höhere Sterblichkeitsrate unmittelbar mit der neuen Variante und ihren Eigenschaften verbunden ist.

Es gibt aber noch eine alternative Erklärung: Die neue Variante erhöhe deshalb das Sterberisiko, weil sie sich aufgrund der höheren Infektiosität besonders leicht in Pflegeheimen und an anderen Orten ausbreitet, wo die Menschen ohnehin ein größeres Risiko tragen, schwer an Covid-19 zu erkranken und daran zu sterben. Zumindest in dem Punkt aber sind sich alle Forscher einig: Die größte Gefahr der neuen Variante bleibt die deutlich erhöhte Ansteckungsrate.

Wenige Aufschlüsse in Österreich

In Österreich tappt man weiter etwas im Dunkeln, wie sehr sich B.1.1.7 hier schon ausgebreitet hat. Das letzte Mal wurden die Daten von der Ages am Montagabend aktualisiert. Zurzeit sind 1.096 Fälle bestätigt, vor sechs Tagen waren es nur 580, die hauptsächlich in Ostösterreich auftraten. Der Trend ist also recht eindeutig, und es wird vor allem auch von diesen Fallzahlen abhängen, wie lange mit weiteren Lockerungen des Lockdowns – angesichts der Entwicklungen in Großbritannien – nicht wirklich zu rechnen sein wird. (Klaus Taschwer, 16.2.2021)