Der Künstler Ralo Mayer aktualisiert in dieser Collage eine Raumfahrtillustration von 1975, die eine rotierende Raumstation darstellt, mit einer Ansicht der Stadt San Francisco.

Collage: Ralo Mayer

Anfang der 1990er-Jahre überraschten acht Mitglieder einer US-amerikanischen Theatergruppe mit einem weltraumrelevanten Großprojekt: Für das Experiment "Biosphäre 2" verbrachten sie zwei Jahre in einem künstlich angelegten und möglichst abgeschlossenen Ökosystem in Arizona.

Die US-Weltraumbehörde Nasa beobachtete das Unterfangen, zumal ein Habitat außerhalb der Erde lebens- und menschenfreundliche Bedingungen schaffen und im Idealfall autark funktionieren muss.

Kritik am Projekt blieb nicht aus: Es stellte sich heraus, dass das System Mängel in Sachen Gasaustausch hatte. Außerdem hatten die meisten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer keinen Universitätsabschluss. Daher wurde das Unterfangen oftmals als unwissenschaftlich dargestellt, obwohl namhafte Forscher und Institutionen an der Organisation beteiligt waren und das Konzept lobten.

Ökologie und Weltraum

Menschliches Leben im Weltraum und das Storytelling rundherum – diese Themen beschäftigen den Künstler Ralo Mayer. Für "Space Un·Settlements", seine Dissertation im Bereich der künstlerischen Forschung an der Wiener Universität für angewandte Kunst, geht er etwa der Frage nach: Wie stellte man sich ab den 1960er-Jahren und früher das Leben auf Raumstationen, Mond und Mars vor?

Der 44-Jährige besuchte selbst das heute universitär genutzte Gelände der Biosphäre 2 und setzt sich damit in einer Publikation auseinander. Verbindungen zwischen Ökologie und Weltraum spielen bei derartigen Simulationen eine wichtige Rolle, aber auch in Kinofilmen wie "E.T." oder "Der Marsianer".

Die künstlichen Biosphären zeigen: Ökologie sollte nicht nur auf den Planeten Erde, ja nicht einmal nur auf Natur beschränkt betrachtet werden. Mayer verarbeitet diese Konzepte in seinem 43-minütigen filmischen Essay "Extra-Terrestrial Ecologies", der im Rahmen verschiedener Filmfestivals gezeigt worden ist.

Spurensuche in Wien

Noch weiter zurück in der Vergangenheit führte den Künstler eine wissenschaftshistorische Spurensuche in Wien. Die Idee einer rotierenden Weltraumstation, wie sie zum Beispiel im Film "2001: Odyssee im Weltraum" zu sehen ist, wird gemeinhin dem Raketeningenieur Wernher von Braun zugeschrieben. Ihr Aufbau ist ringförmig, und durch das Drehen um die eigene Achse entsteht eine künstliche Schwerkraft.

Tatsächlich wurde dieses Prinzip schon früher beschrieben, unter anderem vom Ingenieur und hochrangigen Offizier Herman Potočnik. Der Visionär lebte in den 1920er-Jahren in Wien. An Tuberkulose erkrankt wurde er in den Ruhestand versetzt. 1928 veröffentlichte er unter dem Pseudonym Hermann Noordung sein einziges Buch, "Das Problem der Befahrung des Weltraums". Kurz darauf verstarb er, 36-jährig und verarmt.

Inspiration im Prater

"Biografisch weiß man wenig von Potočnik/Noordung – was für ein Mensch er war und wie er zu seinen Ideen gekommen ist", sagt Mayer.

Im Gespräch mit der Weltraumarchäologin Alice Gorman kam die Überlegung auf, ob der Ingenieur vom Wiener Prater inspiriert wurde: "Der Wurstelprater war damals schon ein technologischer Zirkus – selbst wenn es noch nicht so viele Attraktionen wie heute gab, die künstliche Gravitationszustände herstellen. Dafür könnte sich Noordung interessiert haben."

"Vielleicht hat ihn das Riesenrad zu seiner Idee der rotierenden Raumstation beeinflusst, die er ‚Wohnrad‘ nannte. Dieser Gedanke wirft aber die Frage auf: Wie sehr darf man in der künstlerischen Forschung spekulieren?"

Auch Begrifflichkeiten spielen eine große Rolle im Projekt – allein durch den Titel "Space Un·Settlements". Ralo Mayer wählte bewusst den Terminus der "Siedlung im All" anstelle des der "Kolonie".

Linguistik im All

Darüber hinaus kritisiert er die unzeitgemäße "bemannte" Raumfahrt, mit der nicht-robotische Missionen beschrieben werden: "Bei der Nasa ist schon seit längerer Zeit die ‚crewed mission‘ gang und gäbe. Im Deutschen ließe sich das vielleicht mit ‚menschlicher Raumfahrt‘ umsetzen."

"Space Un·Settlements" enthält zudem das Wort "unsettling": "Das ist eine gute Übersetzung für ‚das Unheimliche‘, das im Englischen klassischerweise mit ‚uncanny‘ übersetzt wird. Dabei findet sich darin weder das ‚Heim‘ noch das ‚Heimliche‘. Wenn man vom Planeten Erde als unserem Heim ausgeht, ist der Weltraum vielleicht das Un-Heimliche an sich."

Ein englischer Begriff für das "Ausgraben" steht ebenfalls in einem solchen kosmischen Zusammenhang, nämlich "unearthing", quasi ein "ent-erden". Mayer spinnt das Wort weiter: "Man kann sich vorstellen: Wenn ich die Erde verlasse und plane, auf dem Mars zu leben, ist auch ein Prozess des ‚un·earthing‘ im Gange. Dabei verändert sich ein Mensch."

Ein passenderes Zitat lieferte die politische Theoretikerin Hannah Arendt bereits Ende der 1950er-Jahre: "Die radikalste Veränderung in der menschlichen Bedingtheit, die wir uns vorstellen können, wäre eine Abwanderung auf einen anderen Planeten", weil Menschen ihr Leben dadurch "gänzlich unter Bedingungen stellen, die sie selbst geschaffen haben". (Julia Sica, 1.3.2021)