Der grünen Klubobfrau Sigrid Maurer war die Wut anzusehen, als sie am Dienstag vor Journalisten trat. Es folgte eine Abrechnung mit der ÖVP: Diese habe ein "gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat", interveniere in Ermittlungen und betreibe durchsichtige Attacken gegen die Justiz. Die Hausdurchsuchung bei Finanzminister Gernot Blümel sei "absolut gerechtfertigt und sogar notwendig" gewesen. Kurz hatte man den Eindruck, Maurer würde gleich das Ende der Koalition verkünden. Aber dann lenkte die grüne Klubobfrau ein, fast von sich selbst enttäuscht: Den Misstrauensantrag gegen Blümel werde man nicht unterstützen, gab Maurer bekannt.

Die Klubobfrau der Grünen, Sigrid Maurer.
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Die Grünen bleiben somit bei ihrer bekannten Strategie: Mit hoher Leidensfähigkeit und langem Atem soll die Republik langsam zum Besseren verändert werden. Man sprengt die Regierung nicht, weil im türkisen Innenministerium "eklatante Mängel" dazu führen, dass ein Terroranschlag mit Todesopfern nicht verhindert werden kann, sondern versucht, notwendige Reformen im Verfassungsschutz umzusetzen. Man sprengt die Regierung auch nicht, weil in Österreich geborene Schülerinnen abgeschoben werden, sondern will mit einer Kommission für eine Stärkung der Kinderrechte sorgen.

Dieses Muster kommt wieder bei der Causa Blümel zum Einsatz: Nun soll ein Antikorruptionspaket dafür sorgen, dass die Grünen einigermaßen gesichtswahrend in der Koalition bleiben können. Eine stärkere Kontrolle der Parteifinanzen, Informationsfreiheit und mehr Unabhängigkeit für die Justiz sind immerhin grüne Kernforderungen, die man jetzt umsetzen kann.

Normalisierungseffekt

Diese Strategie ist mit gutem Willen nachvollziehbar, hat aber einen Haken. Werden die Reformideen tatsächlich umgesetzt, kann die Regierungsbeteiligung der Grünen eine bleibende Veränderung in diesem Land bewirkt haben.

Allerdings ist dieser Ansatz einigermaßen riskant, nicht nur für die Grünen selbst. Denn nun bleibt eine Partei, die besonders laut für Transparenz, Sauberkeit und Kindeswohl gekämpft hat, an der Seite jener Partei, die diese Werte in den Augen grüner Wählerinnen und Wähler mit Füßen tritt.

Damit könnte ein Normalisierungseffekt einsetzen: So schlimm kann es ja nicht sein, sonst wären die Grünen wohl nicht mehr in der Regierung. Aber die Vorgänge sind nicht normal: Es war die erste Hausdurchsuchung bei einem amtierenden Finanzminister. Ungewöhnlich enge Naheverhältnisse zwischen Politikern und Konzernchefs können ebenso wenig Standard sein wie Attacken auf die Justiz nicht zum guten Ton einer Kanzlerpartei gehören.

Dazu kommt, dass auch die Grünen ihre neu erlangte Macht immer mehr genießen. Die ersten Verträge mit parteinahen Unternehmern und Beratern wurden von der Regierung und staatsnahen Firmen schon abgeschlossen, die ersten Umfärbungen durchgeführt.

Je mehr die ÖVP in Bedrängnis ist, desto mehr Zuckerln werden dem Juniorpartner serviert werden. Was im schlimmsten Fall für Wählerinnen und Wähler bleibt, ist der Eindruck, dass "die da oben" alle so seien. Dann spielen Korruptionsvorwürfe keine Rolle mehr, weil saubere Politik ohnehin unmöglich scheint. Oder, ebenso riskant für die Grünen: Sie werden als Teil der Elite verstanden, die mauschelt – und ihre Unterstützer wenden sich massenhaft einer neuen Kraft von links zu. (Fabian Schmid, 16.2.2021)