Foodwatch nahm Werbung für Kalorienbomben unter die Lupe. Die Bilanz fällt wenig bekömmlich aus

Foto: Imago

Wien – Junge Social-Media-Stars verzieren eine Torte von Coppenrath & Wiese mit Süßigkeiten. Sie präsentieren Keksteig zum Löffeln, verkosten süße Limonaden, lassen sich beim Pizza-Kauf im Supermarkt filmen, preisen Haribo-Gummitiere an und rufen zu Fastfood-Wettessen auf. Sie sind die Idole von Millionen Kindern, genießen hohe Glaubwürdigkeit und prägen ihre Vorlieben wie Kaufentscheidungen.

Doch vieles, was Influencer Teenagern online schmackhaft machen, ist nicht als bezahlte Werbung gekennzeichnet. Anderes schwimmt in einem Graubereich und dient als Vorleistung für potenzielle Zusammenarbeit mit der Industrie. Experten bezweifeln zudem, dass Zwölfjährige abschätzen können, wie sehr Marketing ihre Konsumgewohnheiten beeinflusst. Für Lebensmittelkonzerne ist die nicht endenwollende Flut an Videos auf YouTube, Tiktok und Instagram in jedem Fall ein gefundenes Fressen.

Die Konsumentenschutzorganisation Foodwatch hat über mehrere Wochen tausende Posts, Storys und Videos bekannter Social-Media-Accounts im Netz unter die Lupe genommen, darunter auch jene österreichischer YouTuberinnen mit zahlreichen Anhängern. Ihre Werbung rund um fettige und zuckersüße Snacks wurde dokumentiert und analysiert. Auch bei ihnen ist Foodwatch zufolge nicht alles klar als Werbung deklariert.

An den Eltern vorbei

Die Bilanz des Reports: Lebensmittelkonzerne wie McDonald's, Coca-Cola und Mondelez nutzten beliebte Influencer, um Limonaden, Junkfood und Süßigkeiten gezielt an Kinder zu bringen. "Die Industrie agiert mit Onlinemarketing an der elterlichen Aufsicht vorbei", resümiert Lisa Kernegger, Leiterin von Foodwatch Österreich. Dieses erlaube den direkten Zugang in die Kinderzimmer und auf die Handys der Teenager. Bemühungen der Eltern, dem Nachwuchs gesundes Essen nahezubringen, würden bewusst untergraben.

Gesetzlich sind den Youtubern wenig Schranken gesetzt. Untersagt sind ihnen lediglich extreme Formen des Kindermarketings. So dürfen sie ihre jungen Fans nicht direkt dazu auffordern, ein Produkt zu kaufen. Sie dürfen sie auch nicht dazu anhalten, auf Erwachsene einzuwirken, damit diese ihnen etwa Snacks schenken, die viel Zucker, Fett oder Salz enthalten.

Kaum Schranken

Anders als in Ländern wie Norwegen, Schweden und Großbritannien ist Werbung für unausgewogene Lebensmittel, die auf Minderjährige abzielt, in Österreich jedoch nicht verboten. Die Industrie hat sich hierzulande zum Schutz der Kinder bisher lediglich eine freiwillige Selbstverpflichtung auferlegt, die heuer auf soziale Medien ausgedehnt wurde.

"Diese funktioniert nicht, sie ist wirkungslos", sagt Heidi Porstner, Co-Leiterin von Foodwatch Österreich, im STANDARD-Gespräch. Unternehmen dazu anzuhalten, sich selbst die Regeln zu schreiben, sei absurd. Es sei weder klar, wie diese Regulative aussehen sollten, noch wer sie kontrolliere. "Hier wurden Chancen vertan."

Porstner fordert eine rasche gesetzliche Beschränkung des Marketings für Kinder und Minderjährige. Diese sollte sich streng an die Nährwertempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) halten.

Viele Grauzonen

Günter Thumser, Geschäftsführer des Markenartikelverbands und Vorstand des Werberats, räumt offen ein, dass es bei Werbung in sozialen Medien rechtliche Grauzonen gibt. Einen Grund, generell von freiwilliger Selbstverpflichtung abzurücken, sieht er jedoch nicht. Ihm seien keine Beschwerden rund um Marketing für Genussmittel bekannt, erzählt er. Und er warnt davor, beim Schutz von Jugendlichen übers Ziel zu schießen.

Hinter den Kulissen kämpfen Experten des Gesundheitsministeriums und der Arbeiterkammer nach wie vor um eine Verschärfung der Regeln. Für März sind weitere Gespräche mit der Branche anberaumt. Größter Konfliktherd ist der Entwurf eines österreichischen Nährwertprofils, dessen Grenzwerte aus Sicht der Industrie zu eng gefasst sind.

"Sämtliche Lebensmittel, die nicht ausdrücklich als gesundheitsfördernd gelten, aus der Werbung zu verbannen ist marktwirtschaftlicher Unsinn. Da bleiben nur Obst und Gemüse übrig. Das hat mit einem sozialen Auftrag nichts mehr zu tun", sagt Thumser.

Aus für Milka und Manner?

Er erinnert daran, dass davon nicht nur Energydrink-Riesen und Chips-Hersteller betroffen wären. "Vom Backhendl bis zum Obstknödel, von der Milka-Kuh bis zur Manner-Schnitte wäre die Werbung quasi tot." Denn das Medienverhalten von 18-Jährigen lasse sich kaum von jenem der Erwachsenen trennen. "Es wäre ein Kahlschlag in der Kommunikation zwischen Lebensmittelherstellern und deren Konsumenten."

Produzenten wären in weiterer Folge dazu gezwungen, Lebensmittel zu denaturieren, also etwa Fruchtzucker oder den natürlichen Fettgehalt zu reduzieren, meint Thumser. Abgesehen davon: Wer wolle Chips ohne Salz und Dragee-Kekse ohne Zucker? "Auch Schulmilch wäre sofort verboten." Wissenschaftliche Evidenz für einen Zusammenhang zwischen Lebensmittelwerbung und Übergewicht bei Kindern gebe es überdies keine.

Millionen für Werbung

In Deutschland investiert die Lebensmittelindustrie jährlich rund 900 Millionen Euro in Werbung für Süßwaren, zitiert Foodwatch Daten des deutschen Statistischen Bundesamts. Foodwatch verweist auf eine Studie des Unternehmensberaters JP Morgan aus dem Jahr 2006. Demnach ließen sich vor allem mit stark Gezuckertem und Fettreichem hohe Umsatzrenditen erzielen.

In Österreich liege der Anteil der Lebensmittelwerbung an der Gesamtwerbung, der Kinder ausgesetzt sind, zwischen 20 und 40 Prozent, geht aus Gesundheitsratgebern der Stadt Wien hervor. Fettreiches und süßes Essen werde dabei besonders stark angepriesen. Der Anteil gesunder Lebensmittel liege allein bei maximal zwei Prozent.

Übergewichtige Kinder

Eine Studie der Uni Wien und der Münze Wien aus dem Jahr 2018 zeigt, dass mehr als die Hälfte der Schüler ihr Taschengeld für Essen ausgeben. Gut 46 Prozent kauften sich dafür Süßes. Ein Bericht der WHO kam 2017 zu dem Schluss, dass in Österreich im Schnitt jeder dritte Bub und jedes vierte Mädchen im Alter von acht Jahren übergewichtig oder adipös ist. (Verena Kainrath, 17.2.2021)