Emmanuel Macron führt seine Sahel-Besprechung.

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Tennisspieler kennen das Phänomen, dass ein Ball mit einem derartigen Spin versehen ist, dass er nach dem Aufprall rückwärts fliegt. Politiker scheren sich um den Effekt nicht, wenn sie der Wahrheit in ihren Reden einen Drehimpuls verpassen: wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der während des am Mittwoch zu Ende gegangenen Gipfeltreffens der afrikanischen Sahelstaaten eine Reduzierung französischer Truppen in der Krisenregion mit der Bemerkung zurückwies: "Es wäre doch paradox, unsere Mittel ausgerechnet dann zu schwächen, wenn unsere politische und militärische Ausrichtung der Verwirklichung unserer Ziele günstig gesonnen ist."

Wenn das heißen sollte, dass die Bekämpfung der Islamisten in der Sahelzone dermaßen erfolgreich verlaufe, dass an eine Änderung der Strategie gar nicht gedacht werden müsse, hat Macron den Ball wohl überrissen. Im vergangenen Jahr starben in den drei Sahelstaaten Mali, Burkina Faso und dem Niger weit mehr als 4.000 Menschen – so viele wie noch nie in der seit sechs Jahren von Extremisten erschütterten Region. Und dabei hatte Frankreich seine Truppenstärke im vergangenen Jahr sogar noch um 600 weitere Soldaten auf 5.100 erhöht.

Die Legionäre sollen zurück

Paris lässt sich seine militärische Präsenz in der Sahelzone jährlich fast eine Milliarde Euro kosten: Kürzlich wurde im dortigen Einsatzgebiet der 57. französische Soldat getötet. Mehr als der Hälfte der Franzosen ist die militärische Mission in jeder Hinsicht zu teuer. Was Macron nicht sagt, aber hinter den Kulissen sucht, ist eine Gelegenheit, die Legionäre wieder nach Hause zu holen. Nur wann und wie ist noch die Frage.

Unabhängige Analyseinstitute wie die Internationale Krisengruppe (ICG) in Brüssel fordern schon seit längerem eine Neuausrichtung der französischen Strategie: Sie müsse auf politische und soziale statt auf militärische Ziele ausgerichtet werden. Selbst wenn den französischen Spezialeinheiten bei der Verfolgung der entweder mit Al-Kaida oder dem "Islamischen Staat" verbündeten Terrorgruppen einige taktische Erfolge gelangen: Der Plan, die Extremisten mit gezielten Schlägen zur Aufgabe zu zwingen, ist gescheitert.

Statt zur Befriedung der Region tragen die Fremdenlegionäre eher zu ihrer Destabilisierung bei: In Mali forderten Demonstranten lautstark ihren Abzug, auch in Burkina Faso und im Niger nimmt der Unmut über die Präsenz der französischen Truppen zu. Daraus wissen die Extremisten Kapital zu schlagen: Sie stellen die Soldaten der einstigen Kolonialmacht als Erfüllungsgehilfen westlicher Interessen und Beschützer der korrupten Eliten in den zerbröselnden Staaten dar.

Unzugängliche Landstriche

Deshalb fällt es den Jihadisten leicht, Rekruten zu finden: Vor allem in ländlichen Gebieten wird der Unmut über den Kollaps sämtlicher staatlicher Dienste immer größer. In Burkina Faso und Mali sind ganze Landstriche für Polizisten oder Beamte unzugänglich: Die dortige Bevölkerung ist völlig auf sich selbst gestellt. Die Regierungen der Sahelstaaten wissen, dass sie einen anderen Weg einschlagen müssen, wenn sie dem Verlust immer größerer Teile ihrer Länder nicht tatenlos zusehen wollen: Sie müssen Gespräche mit den Extremisten aufnehmen.

Der Kursänderung steht ausgerechnet Frankreich im Weg. "Wir verhandeln nicht mit Terroristen, wir bekämpfen sie", gelobte Außenminister Jean-Yves Le Drian vor wenigen Jahren: Bis heute wird in Paris zumindest nicht öffentlich über die Aufnahme von Verhandlungen mit Extremisten gesprochen – auch wenn die vorige US-Regierung in Afghanistan vorexerziert hat, dass das möglich ist. Langsam setze sich auch am Quai d'Orsay die Überzeugung durch, dass den Konflikten in der Sahelzone nicht mit militärischen Mitteln beizukommen sei, meint ein Diplomat in Bamako: "Aber es ist ein langsamer Prozess, und er ist noch immer nicht offiziell."

Gespräch mit Terrorverantwortlichen

Burkina Fasos Regierungschef Christophe Dabiré wagte sich kürzlich auf neues Terrain: "Wir müssen Gespräche mit den Terrorverantwortlichen aufnehmen, sonst finden wir hier niemals Frieden." Angeblich soll zumindest die regionale Al-Kaida-Branche "Jama'at Nusrat al Islam wal Muslimin" (JNIM) Verhandlungsbereitschaft signalisiert haben. Voraussetzung sei allerdings, dass Frankreich seine Truppen abziehe. Damit dürfte aus diesem Weg vorerst nichts werden.

Allerdings bleibt den Dialogbereiten noch ein weiterer Weg offen. Zunächst einmal müssten auf lokaler Ebene Friedensinitiativen gestartet werden, meint die Internationale Krisengruppe: Damit werde dem wachsenden Einfluss der islamistischen Brandstifter am besten begegnet, sie könnten gegebenenfalls auch einbezogen werden. Emmanuel Macron hätte die Chance gehabt, diesen Kurs auf dem Gipfeltreffen der Sahelstaaten öffentlich einzuschlagen. Stattdessen verharrte der Präsident auf dem ausgetretenen Kriegspfad und wollte sogar noch die deutschen Nachbarn zu einer martialischeren Beteiligung bewegen. Doch Deutschlands Außenminister Heiko Maas schüttelte den Kopf. In diesem Fall völlig zu Recht. (Johannes Dieterich, 18.2.2021)