Zeus verwandelte sich in einen Stier, um sich unerkannt der phönizischen Königstochter Europa nähern zu können und sie nach Kreta zu entführen. Die Maskerade diente dem Göttervater insbesondere, um der Aufmerksamkeit seiner höchst eifersüchtigen Frau und Schwester Hera zu entgehen.

Nach dem Willen der Europäischen Kommission soll Hera nun Europa helfen, um die Impfstoffversorgung in der Coronakrise in den Griff zu bekommen: Am Mittwoch stellte Kommissionschefin Ursula von der Leyen in Brüssel die Pläne für die künftige EU-Behörde für Biovorsorge Hera (Health and Emergency Preparedness and Response Agency) vor. Die Basis der neuen Behörde soll mit dem sofortigen Start des Fünf-Punkte-Programms "Hera-Inkubator" gelegt werden. Von der Leyen erklärte, dass damit künftig besser auf neue Mutationen des Coronavirus reagiert werden soll.

Intensive Sequenzierung

Neue Varianten sollen dank intensivierter Sequenzierung schneller erkannt werden. Konkret sollen fünf Prozent der Proben sequenziert werden statt bisher nur eines – dafür werden 75 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Doppelt so viel gibt es für die Forschung, um bereits zugelassene Impfstoffe rasch an neue Mutationen anzupassen, auch die Verträge mit den Herstellern sollen laufend adaptiert werden.

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Mit Hilfe des von 21 Staaten organisierten neuen Netzwerks "Vaccelerate" sollen rascher valide Daten verfügbar sein, klinische Studien auch für die Gruppe der Kinder und Jugendlichen stattfinden. Weiters müsse die europäische Arzneimittelagentur Ema die Regulierungsprozesse für Impfstoffe beschleunigen und die Marktzulassung für verbesserte Vakzine vorantreiben, und schließlich müsse die Produktion der Hersteller angekurbelt werden, erklärte von der Leyen. Beim US-Hersteller Moderna wurden außerdem weitere 300 Millionen Impfdosen bestellt.

Kritik an Patentschutz

Dem Thema der Versorgungssicherheit mit Impfstoffen widmeten sich im Zuge eines Mediengesprächs Experten aus sozialmedizinischer und ökonomischer Sicht. Claudia Wild vom Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA), betonte zwar die Geschwindigkeit, mit der im Zuge der Pandemie öffentliche Gelder zur Verfügung gestellt wurden, erinnert aber, dass die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe seit zehn bis 15 Jahren im Zuge der Krebsforschung vorangetrieben wurde. "Sie kam nicht von irgendwoher", sagt sie.

Die öffentliche Hand habe aber auch noch nie so viel Geld in die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gesteckt. Bei einer internationalen Geber-Konferenz im Mai kamen von 50 Ländern 7,6 Milliarden Euro zusammen. Österreich sagte dabei 31 Millionen zu.

"Gravierende Systemfehler"

Gleichzeitig kritisieren die Experten aber auch, dass die Staaten den Großteil der Entwicklung bezahlten, nur um die Seren dann teuer zu kaufen und auf ausreichende Lieferung zu warten. "Diese Krise führt uns vor Augen, welche gravierenden Systemfehler wir in den vergangenen Jahrzehnten zugelassen haben", betont Wild.

Von den Geldern bekamen die Hersteller der bereits zugelassenen Impfstoffe Astra Zeneca 7,6 Milliarden Euro, Biontech/Pfizer 420 Millionen und Moderna 680 Millionen. Johnson & Johnson hat am Montag bei der Ema die Zulassung beantragt und erhielt 700 Millionen.

Durch vorab betroffene Kaufvereinbarungen hätte man die Risiken der Hersteller minimiert, sagt Wild. Außerdem seien schon zuvor hohe Summen in Grundlagenforschung geflossen, auf die die Firmen aufbauten. Laut Studien stammen zwei Drittel der Forschungs- und Entwicklungsgelder aus öffentlicher Hand. Der Gewinn sei aber fast ausschließlich privatisiert.

Paradigmenwechsel

Die Pandemie beschleunigt jedenfalls einen Paradigmenwechsel. Die EU diskutiert schon länger eine Flexibilisierung des Patentschutzes in Krisen. Kurzfristig könne man so Lieferengpässe bekämpfen. Langfristig muss man Förderungen an Konditionen knüpfen, sagt Wild. Wenn der Staat zahlt, sollen Patente auch dem Staat gehören.

Jan Grumiller, Ökonom an der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung, sieht eine Debatte um medizinische Versorgungssicherheit auf Europa zukommen. Man müsse sich die Frage stellen, was man in Europa produzieren will und welche Ressourcen man dafür aufwenden will.

Europa ist nach Indien der größte Impfstoffproduzent der Welt, Generika und insbesondere auch billige Schutzausrüstung importiert die EU jedoch aus ärmeren Ländern. Wenn die Nachfrage nach Schutzartikeln weltweit stark steigt, kann es zu Lieferengpässen kommen – wie vergangenes Frühjahr bei Schutzmasken deutlich wurde.

EU-Kommission präsentiert Fünf-Punkte-Plan, um die Versorgung mit Corona-Impfstoffen in den Griff zu bekommen und rasch auf Mutationen reagieren zu können. Die neue Behörde Hera soll sich künftig um Biovorsorge kümmern. (Julia Palmai, Michael Vosatka, Aloysius Widmann, 17.2.2021)