Spannende Beziehung: Pianist Dave Brubeck und Paul Desmond.

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Das Altsaxofongenie mit den süßesten aller kühlen Töne, Paul Desmond, war auch ein Sir der selbstironischen Pointe: "Ich denke, ich hatte immer die Vision, zu klingen wie ein trockener Martini", scherzte der Freund hochprozentig befeuerter Exzesse. Auf der anderen Seite – zum großen Laster gehört immer auch große Disziplin! – war Paul Desmond das zentrale Markenzeichen einer der langlebigsten Jazzbands ever.

Als Teil des Dave Brubeck Quartet sorgte Desmond (1924–1977) nicht nur für jene entschleunigte Sanglichkeit, die als poetischer Gegenpart zu Pianisten Brubeck betörte. Auch der größte Hit der Band, Take Five, stammt aus der Feder dieses instrumentalen Orpheus, der später mit Take Ten ein nicht minder subtiles Beispiel melodischer Raffinesse nachlegte. Der Mann war also ein Muster an – bohemienhafter – Zuverlässigkeit.

Paul auf der Reeperbahn

Am 12. November 1967 allerdings, das Quartett tourte durch Europa, begab es sich, dass Brubeck in Wien mit Trio anreiste. Desmond war verschwunden. In Hamburg, wo man gespielt hatte, nutzte er einen konzertfreien Tag, um einen Freund aufzusuchen. Es gab wohl viel zu erzählen. Gefunden wurde Desmond schließlich in einem Lokal auf der Reeperbahn. Er war dabei, die Folgen ausgiebigen Feierns zu verarbeiten, und fühlte sich fluguntauglich.

Der verlassene Brubeck (1920–2012) war natürlich ein musikalischer Kapazunder. Als kultivierter, an der europäischen Klassik geschulter Improvisator hatte er zwar nur eine Unterrichtsstunde beim in die USA vor den Nazis geflüchteten Arnold Schönberg. Man lag ästhetisch doch weit auseinander.

Dachte orchestral

Ein wichtiger Einfluss wurde aber Komponist Darius Milhaud, dessen Spuren man – neben Jazzeinflüssen – in Brubecks Spiel entdecken konnte. Brubeck dachte als Pianist orchestral, entwickelte seine Ideen mittels kühl durchdachter Kontrapunktik. In einem langsamen Crescendo errichtete er dann gerne emphatisch imposante Gebäude aus Blockakkorden.

Wie auch immer. Jedenfalls soll Brubeck ziemlich wütend auf die Bühne des Wiener Konzerthauses geschritten sein. Mit Desmond fehlte schlicht die Hauptstimme, die Wut allerdings bewirkte Produktives. Was per Vinyl (Edition Ö1) zu hören ist: Brubeck nimmt die Mainstreamtradition zum Ausgangspunkt, um bisweilen explosiv an ihrer harmonischen Dehnung und Dekonstruktion zu arbeiten.

Ein Moment wie ein Jahr

In den heftigen, expressiven Momenten dominiert auch das Gefühl, hier drischt einer zwar Abstraktion in die Klaviertasten. Er meint aber womöglich eher den fehlenden Kollegen, dem die Töne ein "Paul, wie kannst du es wagen!" entgegenschleudern. Neben dem explosiven Zugriff (interessant One Moment Worth Years) wird dem Publikum auch aufgefallen sein, dass das Repertoire fast ausschließlich aus Standards bestand, die nicht von Brubeck oder Desmond stammten.

Bassist Wright und Schlagzeuger Morello bekamen Gelegenheit, ihren solistischen Charme zu versprühen. Weder jedoch wurde Take Five gespielt noch jene Klassiker, die Brubeck – mit exzentrischen Taktarten spielend – komponiert hatte. Also Unsquare Dance und Blue Rondo A La Turk. Paul Desmond stieß übrigens wieder zu Brubeck. Allerdings erst am 13. November in Paris, wo man die Tour im Salle Pleyel vollendete. Über die klärenden Gespräche ist nichts bekannt. (Ljubiša Tošić, 18.2.2021)