Zwei kolumbianische Kinder in einem Kindergarten in Medellín. Ein Szenario geht davon aus, dass sich Kinder künftig schon in den ersten Lebensjahren mit Sars-CoV-2 infizieren werden, um dann lebenslänglich einen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen zu besitzen.

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London/Wien – Wird es uns mittel- oder langfristig gelingen, wieder ein normales Leben ohne Corona zu führen? Während die Weltgesundheitsorganisation WHO diesbezüglich recht lange optimistisch war, zeigte sich Franz Allerberger, der Chef-Infektiologe der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, bereits im Sommer im Gespräch mit dem STANDARD skeptisch: "Meines Wissens haben wir als Gattung Mensch nur ein einziges Virus ausgerottet, nämlich das Pockenvirus. Warum das mit Sars-CoV-2 gelingen sollte, ist mir nicht klar. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt."

Ein halbes Jahr später haben wir Impfungen, die sehr gut gegen Covid-19 wirken. Wir kämpfen aber auch mit neuen Virusvarianten, die bereits neue Eigenschaften hervorgebracht haben. Werden wir das Virus dennoch besiegen können? Oder müssen wir uns darauf einstellen, in Zukunft mit ihm zu leben?

Unterschiedliche Prognosen

Die Antworten auf diese Fragen hängen sehr davon ab, welche Fachleute man befragt – weshalb die Wissenschaftszeitschrift "Nature" gleich 119 der weltweit führenden Expertinnen und Experten aus 23 Ländern noch im Jänner um ihre Einschätzungen bat.

Tatsächlich war die Spannbreite der von ihnen abgegebenen Prognosen groß. In einer Frage gibt es freilich weitgehenden Konsens, um gleich mit der schlechten Nachricht zu beginnen: Fast 90 Prozent der Fachleute halten es für wahrscheinlich, dass Sars-CoV-2 endemisch werden wird.

Mit anderen Worten: Das Virus wird in Zukunft weiterhin in Teilen der Weltbevölkerung zirkulieren und eben nicht ausgerottet werden können. Doch das – um zu der etwas besseren Nachricht zu kommen – bedeutet nicht, dass Tod, Krankheit oder soziale Isolation im bisherigen Ausmaß anhalten werden.

Eher wie Grippe...

Ein von den Forschern mehrfach genanntes Szenario könnte demnach sein, dass Corona zu einer Erkrankung ähnlich der Grippe wird, mit der wir ganz ohne Lockdowns leben (allerdings auch mit durchschnittlich rund 650.000 Toten jährlich). Corona würde also saisonal auftreten, und die Verläufe würden aufgrund der Immunität durch die Impfungen im Schnitt leichter ausfallen, als sie es jetzt sind.

...oder doch wie Masern?

In einem noch etwas besseren Szenario würde sich Sars-CoV-2 eher so wie die Masern entwickeln, vor denen uns die Impfung lebenslang schützt: Ein Wiederaufflammen durch Einschleppung aus anderen Regionen würde vor allem von der Durchimpfungsrate in der Bevölkerung abhängen.

Denkbar ist auch, dass die meisten Kleinkinder eine milde Infektion durchmachen und später besser gegen schwere Verläufe geschützt sind. So in etwa verhält es sich auch mit den vier bereits bekannten Coronaviren OC43, 229E, NL63 and HKU1, die zum Teil bereits seit Jahrhunderten unter Menschen zirkulieren.

Immunevasion als Treiber

Es gibt aber vor allem zwei große Unbekannte, mit denen die Prognosen stehen und fallen: Zum einen ist noch unklar, wie lange die Immunität nach Impfungen und Infektionen anhält. Zum anderen wissen wir nicht, wie gut es dem Virus gelingen wird, sich durch Mutationen vor dieser Immunität zu schützen.

Dementsprechend halten 71 Prozent der Befragten diese sogenannte Immunevasion für einen der Treiber dafür, dass aus der Pandemie eine Endemie wird. Und für uns könnte die Immunevasion bedeuten, dass wir regelmäßig wie bei der Grippe eine angepasste Auffrischungsimpfung bekommen.

Die Frage der Varianten

Ähnlich äußerte sich die Mikrobiologin Sharon Peacock, die das britische Programm zur Sequenzierung von Coronavirus-Proben leitet, kürzlich in einem BBC-Interview. Sie geht davon aus, dass sich zunächst einmal die britische Variante B.1.1.7 global durchsetzen wird. Ihre gute Nachricht: "Sobald wir das Virus unter Kontrolle haben oder es selbst so mutiert, dass es nicht mehr virulent ist und Krankheit hervorruft, können wir aufhören, uns zu sorgen."

Und die nicht so gute: Peacock prognostiziert, dass Varianten von Sars-CoV-2 auch in zehn Jahren sequenziert werden müssen und die Welt noch Anfang der 2030er-Jahre beschäftigen werden. (Klaus Taschwer, 18.2.2021)