Fast ein Jahr lang diente Schweden vielen Corona-müden Europäern und Europäerinnen als Sehnsuchtsort: keine strikten Verbote, sondern Empfehlungen, kaum Masken im Straßenbild, dafür offene Cafés. Und das trotz der – Stand Donnerstag – bisher mehr als 12.500 Corona-Toten. Etwas mehr als 4.000 Neuinfektionen registriert das Zehn-Millionen-Einwohner-Land im hohen Norden derzeit pro Tag, Ende Dezember waren es noch mehr als doppelt so viele.

Im Winter steht Schweden an einem Scheideweg: Reichen "Empfehlungen", oder braucht es doch Verbote?
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Trotzdem könnte der schwedische "Sonderweg" ausgerechnet jetzt in einer Sackgasse enden: Die rot-grüne Minderheitsregierung denkt erstmals laut über einen Lockdown nach. Schuld daran: die Mutationen des Coronavirus, die auch in Schweden die Angst vor einer dritten Welle schüren. In der Region Gävleborg nahe Stockholm lässt jeder fünfte positive Test auf eine Infektion mit der britischen Mutante schließen.

Erstmals Lockdown-Gedanken

Die Regierung, die bisher nur zaghaft auf die sich verändernde Infektionslage reagiert hatte, plant nun die Zügel anzuziehen: "Es kann notwendig sein, Teile Schwedens abzuriegeln", sagte Gesundheitsministerin Lena Hallengren am Mittwoch. Konkret: Restaurants und Geschäfte könnten nun doch bald auch in Schweden schließen. Wann, ist aber noch unklar.

Weil der Regierung von Ministerpräsident Stefan Löfven bisher die rechtliche Handhabe für herbe Einschnitte in das öffentliche Leben gefehlt hatte, verabschiedete der Reichstag im Jänner ein neues Pandemiegesetz, das ihr etwa das Einstellen des öffentlichen Verkehrs sowie die Schließung von Handels- und Gastronomiebetrieben ermöglicht.

Am Donnerstag erneuerte Löfven in einer Pressekonferenz seine Empfehlung, Fitnesscenter, Schwimmbäder und Museen vorerst geschlossen zu halten: "Wir müssen die Gefahr einer dritten Welle sehr ernst nehmen."

Anders Tegnell ist nicht mehr so unumstritten wie zu Beginn der Pandemie.
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Sinkendes Vertrauen

Das Vertrauen der Schwedinnen und Schweden in ihre Regierung ist aber auch ohne den drohenden härteren Kurs angeschlagen. Nur noch 26 Prozent finden, Löfven habe die Krise bisher gut im Griff. Anders Tegnell, Schwedens Staatsepidemiologe und Architekt des "Sonderwegs", erhielt inzwischen ebenso Polizeischutz wie andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde. (flon, 18.2.2021)