Für Einsteiger ist das Spiel nicht geeignet, auch wenn es mit einer tollen Atmosphäre belohnt.

Foto: Bandai Namco

Früher nannte man so etwas "Action-Adventure" – Spiele, in denen sich das Erleben einer spannenden Geschichte mit dem Lösen von Rätseln und Actionpassagen verband. Little Nightmares 2 lässt sich durch diesen Genrebegriff aus der Mottenkiste gut beschreiben; wie schon der Vorgänger oder die vergleichbaren, unverkennbaren Vorbilder Limbo und Inside des dänischen Indie-Studios Playdead nimmt das Horror-Abenteuer im unverkennbaren Stil seine Spielerschaft mit in eine albtraumhafte Welt. Diesmal ist man als stummer Junge Mono in einer beklemmenden entvölkerten Stadt unterwegs – meist allein, doch oft genug in Begleitung der Protagonistin aus Teil eins.

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Der Weg führt meist von links nach rechts, auch wenn hin und wieder in die Tiefe des Raums gegangen werden darf. Die Welt, die hier durchwandert wird, ist ebenso unheimlich wie surreal; ausgesprochenes Vorbild sind die Werke des französischen Regisseurs Jean-Pierre Jeunet, allen voran Die Stadt der verlorenen Kinder. Wie in diesem Fantasyfilm mit Horrorelementen gelten hier eigene Gesetze. Die bedrohlichste Gefahr geht dabei jeweils von einzelnen, im Vergleich zu den Protagonisten riesigen Albtraumfiguren aus, die genauer zu beschreiben schon zu viel verraten würde.

An den nacheinander durchquerten Schauplätzen – vom Wald des Prologs zu einer Schule und einem Spital sowie einer Abfolge verfallener Wohnhäuser – gilt es vor allem, einen Weg voran zu finden. Im simpelsten Fall bedeutet das großteils einfache Sprung- und Kletterpassagen, immer wieder müssen auch Schlüsselgegenstände gefunden und an den rechten Orten zum Einsatz gebracht werden; für die Rätseleinlagen kommt man meist nicht zu sehr ins Grübeln.

Aufregender wird es, wenn die erwähnten Bewohner der unheimlichen Stadt zugegen sind; die haben es nämlich auf den kleinen Helden abgesehen. Wieder und wieder gilt es, sich vor den grotesken Figuren zu verstecken oder im Schutz von Möbelstücken an ihnen vorbeizuschleichen; an gescripteten Stellen hilft nur die halsbrecherische Flucht. Gekämpft wird nur selten, und wenn, dann gegen kleinere Monster; auch bei denen reicht aber ein einziger Patzer und man findet sich am letzten, mal mehr, mal weniger gnädig gesetzten Checkpoint wieder. Der Weg ist dabei streng linear, wer jeden Winkel absucht, findet da und dort gut versteckte Hüte, die als rein kosmetische Items den Look des Helden verändern.

Nach etwa sechs Stunden ist man am Ende des Horrorabenteuers angelangt, das ganz ohne Worte auskommt. Achtung: Auch wenn es auf den ersten Blick danach aussehen mag, ist Little Nightmares 2 wegen verstörender Handlung und Horror-Spielelemente absolut kein Spiel für Kinder.

Sechs Stunden dauert das Abenteuer etwa.
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Was ist gelungen?

Wie der erste Teil ist auch Little Nightmares 2 ein wahres Kunstwerk: Von der Farbgebung über die Kulisse bis hin zu Animation, Sound und Atmosphäre ist dieses Spiel großartig gelungen. Selbst kleinste Details, an denen man nur wenige Momente vorbeiläuft, sind mit größter Liebe gestaltet, und oft genug möchte man sich Szenen als Screenshots beinahe einrahmen.

Die ebenso einzigartigen wie unheimlichen Horrorgestalten, die einem hier das Fürchten lehren, sind umwerfend gestaltet, und manche Szenen, in denen man nur mit dem Licht der Taschenlampe groteske Monster im Zaum halten muss, gehören zu den effektivsten im gesamten Horrorgenre. Die Handlung bleibt albtraumhaft verrätselt und entwickelt dennoch bis zum Ende eine faszinierende Dynamik. In Sachen Atmosphäre steht der zweite Teil dem diesbezüglich ebenso beeindruckenden Erstling nicht nach.

Inszenatorisch handelt es sich bei dem Spiel um ein wahres Kunstwerk.
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Was ist weniger gelungen?

Wie der erste kommt aber auch Teil zwei mit einem ganzen Rucksack an schlechten Angewohnheiten daher, die ärgerlicherweise den Genuss dieses außergewöhnlichen Kunstwerks erschweren und bisweilen sogar zunichtemachen. Dass diese Spiele nicht nur Erlebnis, sondern auch Herausforderung sein müssen, sabotiert nämlich die dichte Atmosphäre vor allem an jenen Stellen, die man wegen des allzu sehr auf Versuch und Irrtum setzenden Gameplays wieder und wieder und wieder in Angriff nehmen muss.

Wer zum wiederholten Mal an derselben Schleich- oder Kampfsequenz scheitert, wird nachhaltig aus der dichten Atmosphäre und dem Fluss der Erzählung gerissen. Dass haarige Fluchtszenen aus dramaturgischen Gründen jedes einzelne Mal maximal millimeterknapp ausgehen müssen, bringt ebenso jede Menge Frust wie unpräzise Steuerung sowie Todesfallen oder Gegneranimationen, die intuitiv nicht erkennbar sind, sondern durch jede Menge Sterben erst mühsam erlernt werden müssen. In anderen Actionspielen ist dieser Lernaufwand gerechtfertigt, weil man die erworbene Meisterschaft weiterhin braucht; in Little Nightmares kämpft man jedoch meist ausschließlich ums Überleben genau einer einzelnen Situation.

Das Problem ist somit nicht, dass Little Nightmares 2 objektiv betrachtet "zu schwer" wäre, obwohl der Schwierigkeitsgrad durchaus hoch genug ist, dass man dieses Spiel mit Bedauern weniger geübten Spieler*innen nicht wirklich empfehlen kann. Das Problem ist vielmehr, dass das gelegentliche Zuviel an "Trial and Error" die Atmosphäre und den Erzählfluss des Spiels selbst sabotiert, weil es dadurch sein beeindruckend inszeniertes Erzählen wieder und wieder zerstückelt und auf stumpfe Reaktionstests herabbricht.

Leider ist das Spiel gelegentlich unfair und frustrierend.
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Fazit

Was für ein Jammer: Genau so sähe ein Spiel aus, das man wegen seiner unbestreitbaren Meisterschaft in Sachen Atmosphäre, Design und Schauwerten am liebsten jedem ans Herz legen möchte – auch jenen, die sonst nicht spielen. Diese Zielgruppe bleibt vollständig außen vor, doch Little Nightmares 2 mutet auch seiner erfahreneren und leidenswilligen Spielerschaft etwas zu viel Instadeath zu. Der daraus entstehende Zwang, sich an wenigen, aber dafür nervigen Szenen wieder und wieder versuchen zu müssen, haut nämlich zu oft den Erzählfluss eines ansonsten hinreißenden Abenteuers mit stupider Wiederholung gründlich zu Klump.

Wie es anders geht, haben verwandte Spiele wie etwa das große Inside bewiesen: Das war beileibe kein Spaziergang, hat aber den Spagat zwischen Erlebnis und Prüfung bei weitem souveräner bewältigt. Die Fans wird's nicht stören, alle anderen seien gewarnt: Little Nightmares 2 sieht umwerfend aus, wiederholt allerdings Gamedesignsünden aus den 90er-Jahren. (Rainer Sigl, 21.2.2021)