Die neu entdeckte Spezies Garra sharq.
Foto: NHM Wien

Beim Oman denkt man an ausgedehnte Wüstenlandschaften und karge, trockene Hochgebirgsketten, aber kaum an eine Fülle von Süßwasserfischarten – und doch haben nun Forscher vom Naturhistorischen Museum Wien festgestellt, dass die Fisch-Vielfalt in dem Wüstenstaat im Südosten der arabischen Halbinsel bisher unterschätzt wurde.

Heimat der Fische in dieser lebensfeindlichen Landschaft ist ein Netz aus oberirdischen Wasserläufen und unterirdischen Wasserverbindungen, die sich entlang des Hajar-Gebirges über den Norden des Oman erstrecken. Diese Region wird von diversen Süßwasserorganismen als Rückzugsgebiet und Verbreitungsweg genutzt.

Einer der Bewohner, eine blinde unpigmentierte Höhlenform des Barben-ähnlichen Fisches Garra barreimiae, ist ausschließlich aus den unterirdischen Seen eines Höhlensystems bekannt. Das Team um Sandra Kirchner und Robert Illek vom NHM Wien wurde während der Arbeiten zur Erfassung der Fauna der Al Hoota Höhle auf das Tier aufmerksam. Erste DNA-Untersuchungen zeigten, dass die Fische aus der Höhle sich genetisch isoliert von ihren sehenden Verwandten aus den Oberflächengewässern unterscheiden.

Auch dieser Fisch wurde als neue Art eingestuft und erhielt die Bezeichnung Garra shamal.
Foto: NHM Wien

Schwierige Unterscheidung

Zusätzlich fand man heraus, dass sich die äußerlich sehr ähnlich erscheinenden, aber pigmentierten Oberflächenfische aus verschiedenen Gewässern, genetisch noch stärker voneinander unterscheiden. In weiterer Folge wurden viele dieser Populationen morphologisch und mittels DNA-Analyse im Detail untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass sich die Fische verschiedener Populationen genetisch so stark unterscheiden, wie man es zwischen Arten erwarten würde.

Diese genetische Differenzierung spiegelte sich jedoch nicht in körperlichen Unterschieden wider. Zwar sind die Populationen in ihrem äußeren Erscheinungsbild recht vielfältig, doch es gibt keine klaren Merkmale, anhand derer man die Populationen unterscheiden könnte.

Durch die Analyse mehrerer Gene konnte Kirchner nachweisen, dass die Art Garra barreimiae tatsächlich eigentlich vier verschiedene Arten repräsentiert. Derartige genetisch klar abgesicherte Arten, die sich in den äußeren Merkmalen nicht augenscheinlich voneinander unterscheiden, werden als "kryptische Arten" oder "Zwillingsarten" bezeichnet. Denn nicht alle Arten entwickeln im Laufe der Evolution auch zwangsläufig äußerlich sichtbare Unterschiede.

Sandra Kirchner und Robert Illek, beide vom Naturhistorischen Museum Wien, beim Fangen von Wüstenfischen im Oman.
Foto: NHM Wien

Neue Arten entstehen

Grundsätzlich beeinflussen Umweltbedingungen die Ausprägung von Merkmalen. Durch Auslese (Selektion) setzen sich erfolgreiche Merkmalsausprägungen bzw. Merkmalskombinationen im Laufe der Zeit durch. Im beschränkten Verbreitungsgebiet dieser fünf Arten herrschen allerdings durchwegs ähnliche Umweltbedingungen, die extremen Schwankungen unterliegen. Dies lässt wenig Spielraum für Abweichungen gut angepasster Merkmale. Durch längere geografische Isolation können sich so Populationen in Arten aufspalten.

"Basierend auf dem heutigen Wissensstand können wir davon ausgehen, dass viele 'kryptische Arten' existieren, die aussterben bevor sie überhaupt entdeckt werden", so die Forscherin. Große Regionen auf der Weltkarte sind noch nicht genügend erforscht, um eine zuverlässige Einschätzung der Artenvielfalt zu gewährleisten. Anhand der neu entdeckten, kryptischen Fischarten der Gattung Garra im Norden des Oman konnte gezeigt werden, wie die Biodiversität in vielen Regionen unterschätzt und vielfach deshalb auch kaum geschützt wird: Die Verbreitungsgebiete der Garra-Arten sind klein und meist isoliert, was sie gegenüber Umweltveränderungen besonders verwundbar macht. (red, 19.2.2021)