Ein grünes Prestigeprojekt ist die Abschaffung des Amtsgeheimnisses. Bis zur Informationsfreiheit wird es aber wohl noch bis 2023 dauern.

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In den vergangenen Wochen ging die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer verbal auf intensiven Konfrontationskurs mit der ÖVP. Deren Innenminister Karl Nehammer warf sie nach Kinderabschiebungen "unmenschliches" Verhalten vor. Hinter den türkisen Attacken auf die gegen Finanzminister Gernot Blümel ermittelnde Korruptionsstaatsanwaltschaft vermutete sie ein "gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat". Bei Abstimmungen bleibt Maurers grüner Klub stets auf Koalitionskurs.

STANDARD: Ihr Parteikollege David Stögmüller meint, die ÖVP reagiere so nervös auf die Ermittlungen gegen Blümel, weil an den Vorwürfen wohl einiges dran sei. Teilen Sie die Einschätzung?

Maurer: Ich bin nicht Mitglied im U-Ausschuss (im Unterschied zu Stögmüller, Anm.) und habe auch sonst keinen Aktenzugang. Daher möchte ich das nicht weiter kommentieren und vertraue auf die Staatsanwaltschaft.

STANDARD: Sie haben erklärt, dass Blümel aus grüner Sicht gehen muss, sofern es zu einer Anklage kommt oder sich der Verdacht gegen ihn "erhärtet". Was bedeutet Letzteres konkret, was müsste sich zeigen?

Maurer: Das wäre jetzt Spekulation. Man könnte das nur beurteilen, wenn neue Fakten auf dem Tisch liegen. Ich habe aber momentan keinen Grund, davon auszugehen, dass da noch etwas kommt.

STANDARD: Der Finanzminister hat die Aufsicht über Glücksspielunternehmen, zugleich wird in einer Causa mit Novomatic-Bezug gegen ihn ermittelt. Kritiker werten das als unvereinbar. Wäre das nicht eine Gelegenheit, einen grünen Staatssekretär zur Kontrolle ins Finanzministerium zu reklamieren?

Maurer: Das Problem besteht darin, dass die Glücksspielagenden beim Finanzminister gebündelt sind. Das würde auch ein Staatssekretariat nicht ändern. Wir wollen das Problem so angehen, dass wir die Glücksspielagenden entflechten.

STANDARD: Aber wie lange dauert das noch? Die Causa Blümel ist ja aktuell.

Maurer: Ich gehe davon aus, dass das noch in diesem Halbjahr im Parlament beschlossen wird, wir sind hier in guten Gesprächen mit der ÖVP.

STANDARD: Sie betonen oft, dass Sie Druck auf die ÖVP machen wollen. Aber wie gut sind Ihre Druckmittel tatsächlich? Sie brauchen die Koalition für die Umsetzung der geplanten Klimaprojekte, außerdem sind die grünen Umfragewerte derzeit schwach.

Maurer: Wir haben in der letzten Woche gesehen, wie notwendig es ist, das Vertrauen in die Politik wieder zu stärken. Der Eindruck, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht, muss vermieden werden. Saubere Politik ist ein Eckpfeiler grüner Politik und steht im Regierungsprogramm, diese Projekte werden jetzt umgesetzt. Das betrifft die Abschaffung des Amtsgeheimnisses und die verschärften Regeln bei der Parteienfinanzierung. Wir haben der ÖVP kommuniziert, dass das jetzt rasch notwendig ist, und sie ist unseren Argumenten gefolgt.

STANDARD: Das Informationsfreiheitsgesetz war von Türkis-Grün schon für letzten Sommer angekündigt, und jetzt verkaufen Sie einen baldigen Entwurf als Erfolg?

Maurer: Wir haben im Sommer auch noch das Paket gegen Hass im Netz verhandelt. Da ist es zu einer gewissen Verzögerung bei der ÖVP gekommen, die wir jetzt aber auflösen konnten.

STANDARD: Damit sich die Behörden vom Amtsgeheimnis auf das neue System Informationsfreiheit umstellen können, wird es eine Übergangsphase brauchen. Wie lange wird sich die ziehen?

Maurer: Das wird mindestens ein Jahr sein ab dem Beschluss im Parlament.

STANDARD: Anfang 2023 wäre also ein Richtwert?

Maurer: Ja.

STANDARD: Paktiert ist auch, dass Parteien und parteinahe Vereine transparenter werden sollen. Das ÖVP-affine, aber laut Eigendefinition unabhängige Alois-Mock-Institut stand zuletzt im Fokus – wird es mit dem künftigen Gesetz als parteinaher Verein gelten müssen?

Maurer: Das ist juristisch nicht so leicht zu lösen, weil die Definition weder zu schwammig noch zu eng sein darf. Es wird wichtiger sein, dass man bei den Parteien selbst die Transparenzregeln so verschärft, dass der Rechnungshof sich die Zahlungsflüsse an die Parteien anschauen und problematische Dinge so entdecken kann.

STANDARD: Etwas grundsätzlicher: Wenn Bürgerinnen und Bürger unzufrieden damit sind, dass eine Partei undurchsichtig agiert, müssen sie diese ja nicht wählen und können sich für eine transparentere entscheiden. Warum muss der Staat gleiche Transparenz für alle vorgeben?

Maurer: Es geht essenziell darum, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie zu stärken. Es muss verhindert werden, dass Parteien käuflich sind oder auch nur der Anschein entstehen kann, dass sie käuflich sind. Um das zu gewährleisten, müssen sich alle an dieselben Regeln halten. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass die Politik sich an den Interessen bestimmter Spender ausrichtet.

STANDARD: Hat es für Sie den Anschein, die ÖVP sei käuflich?

Maurer: Heinz-Christian Strache hat auf Ibiza gesagt: "Die Novomatic zahlt alle." Der U-Ausschuss geht nun der Frage nach, was an diesem Satz dran ist.

STANDARD: Konsens besteht plötzlich darüber, dass ein Generalstaatsanwalt statt des Justizministers an der Weisungsspitze stehen soll. Welches Modell zur Bestellung dieses Postens schwebt den Grünen vor?

Maurer: Die Standesvertretung der Staatsanwälte hat bereits ein Modell vorgeschlagen: Der Bundespräsident würde ihm zufolge den Generalstaatsanwalt auf Vorschlag einer Kommission der Justiz ernennen. Dieses Modell finde ich interessant. Es darf jedenfalls nicht der Eindruck entstehen, dass die Bestellung politisch erfolgt.

STANDARD: Also Sind Sie dagegen, dass etwa eine Zweidrittelmehrheit im Parlament für die Bestellung erforderlich ist?

Maurer: Ob das Parlament eingebunden wird und wie genau, ist noch Gegenstand von Diskussionen.

STANDARD: Die Regierung hat eine Novelle des Uni-Gesetzes samt verpflichtender Mindeststudienleistung beschlossen. Als ÖH-Chefin hätten Sie das wohl als neoliberale Reform zulasten der Studierenden bezeichnet. Wie urteilen Sie heute?

Maurer: Die Mindeststudienleistung war nicht unser Wunsch, sondern der des Koalitionspartners. Die ursprüngliche Forderung war aber wesentlich höher als die jetzt vereinbarten 16 ECTS-Punkte in den ersten beiden Studienjahren. Ich halte diese Anzahl durchaus für vertretbar, egal in welcher Situation sich die Studierenden befinden. Es ist auch für Berufstätige machbar. Zudem gibt es ja auch Verbesserungen in Form von "Learning Agreements" zum Studienabschluss, das hilft gerade berufstätigen Studierenden. (Theo Anders, 18.2.2021)