Am Dienstag vor einer Woche fand in Wuhan die Pressekonferenz jenes hochkarätig besetzten WHO-Expertenteams statt, das in China vier Wochen lang nach möglichen Ursprüngen von Sars-CoV-2 gesucht, aber freilich fast die Hälfte der Zeit in Quarantäne im Hotelzimmer verbracht hatte. Der Neuigkeitswert der vor Ort gewonnenen Erkenntnisse hielt sich wie befürchtet in engen Grenzen.

Der Leiter des Teams, der Däne Peter Ben Embarek, vertrat bei der mit chinesischen Kollegen gemeinsam abgehaltenen Pressekonferenz einmal mehr jene Theorie, die seit langem als die wahrscheinlichste gilt: Das Virus sei vermutlich von einer Fledermausart ausgegangen und über einen tierischen Zwischenwirt auf den Menschen übergesprungen.

Chinesische PR-Veranstaltung

Die Pressekonferenz wie auch die Mission wurden zu einem PR-Sieg für China: So hat man die propagandistische These einer Einschleppung des Virus mittels Tiefkühlkost nicht verworfen. Dagegen schätzten die WHO-Experten einen Laborunfall in Wuhan als Ursache als "extrem unwahrscheinlich" ein. (Bei beiden Aussagen ruderte Embarek, der WHO-Fachexperte für Zoonosen, erst nach Rückkunft in Europa zurück – etwa in einem aufschlussreichen Interview für das Fachblatt "Science".)

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Peter Ben Embarek (Mitte) bei der Pressekonferenz am 9. Februar in Wuhan mit chinesischen Kollegen und dem WHO-Teammitglied Marion Koopmans (rechts).
Foto: AP / Ng Han Guan

Der von den Chinesen geschickt vereinnahmte Auftritt in Wuhan war auch WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus etwas peinlich: Am Freitag vor einer Woche ließ er verlauten, "dass alle Hypothesen weiter bestehen". Es sollten also sehr wohl auch weitere Recherchen in der Frage angestellt werden, ob das Coronavirus Sars-CoV-2 aus einem Labor in der chinesischen Stadt Wuhan entwichen sein könnte.

Aufregung im Boulevard

Ziemlich genau eine Woche später scheint nun ein deutscher Wissenschafter genau diese Annahme zu bestätigen, wie der deutschsprachige Boulevard am Donnerstagabend aufgeregt berichtete: "Hamburger Professor sicher: Corona kam doch aus Labor in Wuhan!", titelte bild.de. Und auf krone.at hieß es fast gleichlautend, nur ohne Rufzeichen: "Forscher: Coronavirus kam aus Labor in Wuhan".

Wer aber ist dieser deutsche Forscher, der anscheinend mehr weiß als die zehnköpfige WHO-Expertentruppe? Worauf stützt er seine These? Und wie seriös ist seine "wissenschaftliche Studie", von der in den Zeitungsberichten die Rede ist?

Der Autor und seine "Untersuchung"

Beginnen wir mit dem Forscher, einem Professor an der Uni Hamburg, der in seinem Fachgebiet fraglos renommiert ist: Roland Wiesendanger hat zahlreiche Preise gewonnen, drei Advanced-ERC-Grants erhalten und weist bei Google Scholar mehr als 36.000 Zitierungen auf. Allerdings ist sein Fachgebiet nicht die Virologie, sondern die Physik, genauer: die Nanowissenschaft mit Schwerpunkt Rastertunnelmikroskopie.

Seine 105-seitige Arbeit nennt sich "Studie zum Ursprung der Corona-Pandemie". Sie ist entsprechend seine erste Arbeit über Viren und wurde auf Deutsch verfasst, was sie für einen Gutteil der Fachwelt irrelevant macht. Und sie wurde vor drei Tagen auf der Plattform researchgate.net hochgeladen, wo Wissenschafter ihre Texte – egal ob in Zeitschriften publiziert oder nicht – gratis veröffentlichen können.

Mit anderen Worten: Die "Studie" entspricht nicht einmal den Kriterien eines unbegutachteten Preprints auf einer der einschlägigen Plattformen wie MedRxiv. Und Plagiatsjäger Stefan Weber hätte seine Freude, weil der Text im Wesentlichen ein Fleckerlteppich von kopierten Originaltextauszügen aus Fachzeitschriften, Zeitungsartikeln und Webseiten ist.

All das heißt natürlich noch nicht, dass die Ergebnisse dieser Recherchen Humbug sein müssen. Schließlich hat sich die Öffentlichkeitsabteilung der Uni Hamburg sogar zu einer ausführlichen Presseaussendung hinreißen lassen, durch die Wiesendangers Textsammlung publik wurde. Was aber sind die Belege, dass Sars-CoV-2 doch aus dem Institut für Virologie (in) Wuhan stammt?

Das Institut für Virologie Wuhan während des Besuchs der WHO-Delegation, bewacht von chinesischen Polizisten.

Die wichtigsten Behauptungen

Um es vorwegzuschicken: Konkrete Beweise oder neue Fakten liefert der Physiker nicht, aber immerhin eine Sammlung der wichtigsten Indizien – beginnend mit dem bisherigen Scheitern, einen tierischen Zwischenwirt zu identifizieren, der die Übertragung von Sars-CoV-2-Erregern von Fledermäusen auf den Menschen ermöglicht haben könnte. Bei ähnlichen Zoonosen wie Sars oder Mers sei das hingegen relativ schnell gelungen, so Wiesendangers erstes Argument.

Zweitens wurden Fledermäuse nicht auf dem in Verdacht geratenen Fischmarkt im Zentrum der Stadt Wuhan angeboten. Im Institut für Virologie Wuhan gibt es jedoch eine der weltweit größten Sammlungen von Fledermauserregern, welche von weit entfernten Höhlen in südchinesischen Provinzen stammen.

Drittens habe eine Forschungsgruppe an diesem Institut über viele Jahre hinweg gentechnische Manipulationen an Coronaviren vorgenommen. Viertens können die neuen Coronaviren erstaunlich gut an menschliche Zellrezeptoren ankoppeln, was durch spezielle Zellrezeptor-Bindungsdomänen sowie mit einer speziellen (Furin-)Spaltstelle des Stachelproteins möglich wird. Diese beiden Eigenschaften würden auf einen nichtnatürlichen Ursprung des Erregers hinweisen.

Und schließlich gebe es Hinweise, dass sich angeblich eine junge Wissenschafterin des Instituts in Wuhan als Erste infiziert hat und das Institut von chinesischen Behörden im Oktober untersucht worden sei.

Kursorische Einschätzungen

Was ist von diesen zum Teil bereits seit langem diskutierten Behauptungen zu halten? Dass man den Zwischenwirt noch nicht entdeckt hat, ist in der Tat aufklärungsbedürftig – auch als Schutz vor weiteren Ausbrüchen. Verdächtigt wird aber vor allem das Schuppentier. Eines seiner Coronaviren weist gerade beim Stacheleiweiß erhebliche Ähnlichkeiten mit Sars-CoV-2 auf.

Dass Fledermäuse am Markt nicht gehandelt wurden, dürfte zwar stimmen. In den Fokus der WHO-Mission gerieten auch Tiere wie Sonnendachs und Bambusratten, die sehr wohl am Markt feilgeboten wurden – und die sich auch mit Sars-CoV-2 anstecken können. Haben sie das Virus zum Markt gebracht?

Dass am Institut über Coronaviren geforscht wurde, bestätigte auch das WHO-Team, konnte aber keinen klaren Konnex finden. Die virologische These, dass Sars-CoV-2 Eigenschaften aufweise, die auf einen Laborursprung hindeuten, stützt der Nanowissenschafter vor allem auf einen sehr umstrittenen, aber oft angeklickten Aufsatz der in die USA geflüchteten chinesischen Virologin Li-Meng Yan. Der Text erschien im September auf der Plattform Zenodo ebenfalls ohne Fachbegutachtung. Er sorgte für einiges Aufsehen, erhielt aber harsche Kritik von Experten, worüber zuletzt auch die "Washington Post" ausführlich berichtete.

Ein nichtzitierter Fachartikel

Einen der ganz wenigen Fachartikel, der immerhin in einer wissenschaftlichen Zeitschrift als eine Art "Preprint" erschien und die Laborthese aufgrund der Struktur des Stachelproteins von Sars-CoV-2 zumindest nicht ausschließt, hat Wiesendanger übrigens nicht zitiert, was einiges über die Qualität seines Machwerks aussagt.

Dieser Text stammt von der an der Uni Innsbruck als Laborassistentin beschäftigten Mikrobiologin Rossana Segreto und dem in Kanada tätigen Biotech-Unternehmer Yuri Deigin und erschien im November in einer Onlineversion des Fachblatts "Bio Essays". Aber auch erst nachdem er zuvor anscheinend von sieben anderen Zeitschriften abgelehnt worden war.

In Interviews kritisierte Segreto – die nicht ganz so viel mediale Aufmerksamkeit wie der Hobbyvirologe (oder doch: Hobbykriminologe) Wiesendanger erhielt –, dass die Möglichkeit einer Labormanipulation als Ursprung der Pandemie zu früh ausgeschlossen wurde. Zumindest in dem Punkt haben sie und Wiesendanger nun recht bekommen. Denn selbst der WHO-Chef hat vor einer Woche eingeräumt, dass diese Hypothese weiter untersucht werden soll.

Ob sie stimmt, ist wieder eine andere Frage. Die diesbezüglichen Indizien, die in der "Studie" des Nanowissenschafters zusammengetragen wurden, liefern jedenfalls noch keine Beweise. (Klaus Taschwer, 19.2.2021)