Smart-City-Projekte wie das Eko Atlantic Project in Lagos, Nigeria, stehen immer wieder in der Kritik, nur den reichen Bevölkerungsgruppen zu nützen.

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Wer hineinwill, muss sich anmelden, muss dem Wärter hinter dem Schranken Name und Kontaktperson nennen, muss warten, bis der Besuch von einem der Bewohner der Anlage genehmigt wird. Darf erst dann über die fein-säuberliche und begrünte Straße zum geräumigen Wohnhaus gehen und eintreten in eine kleine geschützte Welt, die sich abschottet von den von Kriminalität geplagten Straßen und Vororten "unerwünschter" Stadtbewohner.

Geschlossene Wohnanlagen sind in Metropolen wie Mexiko-Stadt keine Seltenheit. Für gutverdienende Familien sind sie der verheißene Weg zu mehr Sicherheit, guter Anbindung und "gleichgesinnten" Nachbarn. Für viele andere Stadtbewohner müssen sie wie undurchdringbare Festungen in entfernten Welten wirken.

"Intelligente" Stadtplanung

Dabei sind die Wohnanlagen nur einer von vielen Auswüchsen ungleicher Stadtentwicklungen. Wie Städte geplant und gebaut sind, hat einen Einfluss darauf, welche Chancen und Möglichkeiten die darin wohnenden Menschen haben. Das hat eine kürzlich erschienene Studie internationaler Wissenschafter einmal mehr aufgezeigt. In Städten, in denen Straßen, Mauern und abgegrenzte Wohnanlagen Bewohner trennen und in denen wenig Austausch stattfindet, ist meist auch die Ungleichheit hoch.

Angesichts des rasanten Städtewachstums fragen sich viele Stadtentwickler: Geht das nicht besser? Die sogenannte "Smart City", also "schlaue Stadt", verspricht, genau das zu erreichen: Mithilfe von Daten, künstlicher Intelligenz und neuester Technologie sollen Bewohner vernetzt, Transportwege beschleunigt und die Umwelt verbessert werden. Das soll am Ende allen Bewohnern helfen. Aber die digitalen Technologien könnte genauso gut die Ungleichheiten in den Städten verstärken, sagen Kritiker. Wer von ihnen hat recht?

Sensoren und Daten

"Smart" ist in Städten meist, wo Technologie und Digitalisierung drinsteckt. Sensoren, die in den Straßen eingebaut sind und Bewohnern anzeigen sollen, welche Parkplätze frei sind, Straßenlaternen, die sich bei Bewegungen einschalten, Abfalleimer, die anzeigen, wenn sie zu entleeren sind, Ampeln, die sich vernetzen, um den Verkehr zu beschleunigen, und mobile Apps, über die Bewohner Dienstleistungen der Stadtregierung anfordern können.

Für IT-Unternehmen versprechen die neuen Technologien, sich perfekt an die Bedürfnisse der Stadtbewohner anzupassen – ihre Bedürfnisse vielleicht schon zu kennen, bevor es die Bewohner selbst tun. Alles und jeder könnte miteinander verbunden sein, in der Cloud und im realen Stadtleben, Verkehr und Infrastruktur sollen mehr Menschen effizienter an ihr Ziel bringen und gleichzeitig überall CO2-Emissionen einsparen.

Hilfe für ärmere Gruppen

Laut Befürwortern ist es eine Entwicklung, die auch ärmeren Stadtbewohnern helfen kann. In Kalkutta, Indien, stellte ein Start-up mithilfe von Geocodierung, bei der Adressen mit GPS ermittelt werden, 120.000 Slumbewohnern Postadressen zur Verfügung. Diese konnten die Bewohner anschließend verwenden, um Bankkonten zu eröffnen, wählen zu gehen und Personalausweise zu beantragen.

In New York wiederum soll eine Datenbank dabei helfen, Bewohner auszumachen, die spezielle finanzielle Unterstützung benötigen könnten und die anschließend von Sozialarbeitern besucht werden. Und in Santa Clara, Kalifornien, soll ein Algorithmus Daten über obdachlose Menschen auswerten und vorschlagen, welchen Menschen als Erstes Wohnungen zur Verfügung gestellt werden sollen. Unzählige weitere Vorschläge haben Stadtplaner und Smart-City-Entwickler bereits vorgestellt, um die neuen Technologien allen Bewohner zugutekommen zu lassen.

Geldgetriebene Immobilienprojekte?

Aber die Stadtentwickler und deren Technologien stehen auch in der Kritik, vor allem den wohlhabenden Bewohnern zu dienen. Wenn Services nur mehr im Internet zur Verfügung stehen, werden jene abgehängt, die offline sind, so die Kritik. In jenen Städten, in denen Bewohnern der Zugang zu sauberem Trinkwasser fehlt, nütze jedes noch so intelligent vernetzte Trinkwassersystem nichts, so Entwicklungsexperten.

Auch der Bau der Smart-City-Projekte steht immer wieder in der Kritik und führt häufig zu Protesten lokaler Bevölkerungsgruppen, die für den Bau umgesiedelt werden müssen. Zentral geplante "intelligente" Städte in Ländern wie Indien, Nigeria oder Saudi-Arabien werden von Kritikern immer wieder als geldgetriebene Immobilienprojekte bezeichnet, in denen Einkaufszentren und teure Wohnanlagen den Entwicklern Vermögen einbringen sollen, während das Geld für die ärmeren Bevölkerungsgruppen fehle.

Intelligent ist nicht gleich intelligent

Auch deshalb ist für viele Experten "smart" nicht gleich "smart". Je häufiger das Wort in den Projektplänen vorkommt und je mehr Marketing die Regierungen zu den Projekten betreiben, desto skeptischer scheinen viele Bevölkerungsgruppen und Kritiker zu werden. Die Erkenntnis, dass beteiligte Gruppen in die Stadtentwicklung miteinbezogen werden sollen, wird mittlerweile von den meisten Entwicklern und Unternehmensberatern als erfolgversprechende Strategie angepriesen. Nicht smarte, sondern smarte und partizipative Städte treffen die besten Entscheidungen, so der Gedanke.

Technologie könne laut Experten durchaus dabei behilflich sein – indem sie den sozialen Zusammenhalt in den Städten stärkt, benachteiligten Gruppen neue Möglichkeiten zur Problemlösung gibt und Plätze zugänglicher gestaltet. Am Ende, so sagen es viele Experten, gehe es bei der intelligenten Stadt aber nicht um die Möglichkeiten ihrer Technologie, sondern um jene ihrer Bewohner. (Jakob Pallinger, 22.2.2021)