Man kommt in Österreich auch voran, ohne ständig Verkehrspolizisten oder Baubehörden bestechen zu müssen. Dennoch spielt Korruption eine Rolle.

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Österreich hat diesbezüglich schon viel gesehen. Schmiergeldzahlungen beim Bau des Allgemeinen Krankenhauses in Wien – der AKH-Skandal. Politische Verwicklungen in einen mörderischen Versicherungsbetrug mit einem absichtlich versenkten Schiff und sechs Toten – die Lucona-Affäre. Fragwürdiges Lobbying rund um die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge – die Causa Eurofighter.

Möglicherweise persönliche Bereicherung bei der Privatisierung tausender Bundeswohnungen – der Fall Buwog. Gerichtsmitarbeiter, die Nachlässe zu ihren Gunsten fälschen – die Testamentsaffäre. Ein Europa-Abgeordneter, der als Lobbyisten getarnten Journalisten politische Gefallen gegen Geld verspricht – Cash for Laws. Justizmitarbeiter, die sensible Daten an eine Kreditauskunftei verkaufen – der Justizdatenskandal. Zwei Politiker, die einem Lockvogel das Blaue vom Himmel versprechen, sollten sie bald ein Regierungsamt innehaben – das Ibiza-Video.

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Und nun erwecken sichergestellte SMS-Nachrichten den Anschein, als hätte ein Glücksspielunternehmen eine Parteispende für Hilfsdienste durch ein Ministerium verknüpft – die Causa Blümel. Die österreichische Politik bietet also jede Menge plastische Beispiele für Korruption oder zumindest Vorgänge, die ausschauen wie Korruption – es gilt die Unschuldsvermutung. Die Protagonisten verhalten sich meist entweder besonders dreist oder besonders patschert.

Das Land scheint sich von Skandal zu Affäre zu Posse zu hanteln. Aber stimmt der Eindruck? Hat Österreich ein Korruptionsproblem?

Das ist gar nicht so leicht feststellbar, weil wir so wenig über Korruption wissen: Bricht jemand in eine Wohnung ein, wird der Fall registriert. Auch wenn die Täter vielleicht nie gefunden werden, wissen wir, wie viele Einbrüche im Land stattgefunden haben.

Ein dunkles Feld

Doch Korruption hat es an sich, dass sich eine Gruppe von Personen ausmacht, gemeinsam die Regeln zu ihrem Vorteil zu brechen. Zum Beispiel: Einer zahlt Geld, ein anderer beeinflusst dadurch ein Amtsgeschäft. Niemand außer den Beteiligten weiß davon – und keiner von ihnen hat Interesse daran, über ihre Tat zu plaudern.

Wir wissen deshalb nur, dass im Jahr 2019 genau 216 Personen wegen Korruptionsdelikten verurteilt wurden – aber wir haben keine Ahnung, wie viele sich darüber hinaus schlicht nicht erwischen haben lassen.

Korruption lässt sich also nicht exakt messen. Aber man kann sich dem Ausmaß annähern. Die Organisation Transparency International etwa veröffentlicht jedes Jahr einen Antikorruptionsindex, der auf Umfragen unter NGOs, Unternehmensberatungen und Managern beruht. An der Spitze: Dänemark und Neuseeland. Die Schlusslichter: der Südsudan und Somalia. Österreich liegt auf Platz 15 von 180 untersuchten Ländern.

Damit könne man sich nicht zufriedengeben, "für Europa ist das nicht rühmlich", sagt Eva Geiblinger, Vorstandsvorsitzende von Transparency International Österreich. Die Causen Ibiza und Grasser hätten das Bild von Österreich international zuletzt entscheidend mitgeprägt.

Kultur der Korruption

Man muss aber schon festhalten: Routinemäßige Bestechung ist in Österreich nicht verbreitet. Verkehrspolizisten kann man üblicherweise kaum mit einer kleinen Zuwendung vom Ausstellen eines Strafzettels abhalten, und auch die Baubehörde funktioniert in den meisten Fällen ungeschmiert.

"Flächendeckende Korruption – dass zum Beispiel behördliche Entscheidungen nur durch illegale Bezahlung zu erreichen ist – gibt es in Österreich nicht", sagt Walter Geyer. Er war Abgeordneter für die Grünen und leitete ab 2009 die damals neu gegründete Korruptionsstaatsanwaltschaft.

Aber es gebe eine Formel, sagt Geyer: Je wichtiger die Entscheidung für die Betroffenen, desto größer die Gefahr, dass getrickst wird. Oft würden sich korrupte Praktiken über Jahre einschleifen, bis sie plötzlich ans Tageslicht treten. "Der Krug geht so lang zum Brunnen, bis er bricht", sagt Geyer.

Und: "Jedes Land hat die Korruption, die es verdient", glaubt der pensionierte Staatsanwalt. In Österreich gebe es etwa "ein etwas unterentwickeltes Empfinden dafür, was vereinbar ist und was nicht". Viele, vor allem kleinere Amtsträger hätten gar kein Unrechtsbewusstsein, wenn sie einen geringfügigen Vorteil für ein Geschäft erhalten.

Jene Mitarbeiter der Wiener Müllabfuhr etwa, die vor einigen Jahren zusätzlichen Müll mitgenommen haben und dafür hin und wieder auf einen Kaffee eingeladen wurden, hatten wohl nicht damit gerechnet, deswegen später wegen Amtsmissbrauchs angeklagt zu werden. Passiert ist es dennoch, auch wenn die Strafen extrem gering ausfielen.

Strafen sind notwendig

Aber auch eindeutigere Fälle würden oft als nicht so tragisch wahrgenommen, glaubt Transparency-Chefin Geiblinger: "Die Korruption ist noch immer eine Art Kavaliersdelikt." Es herrsche "ein Klima, wo keiner Angst hat", sagt die langjährige Managerin und Unternehmensberaterin. "Es ist traurig, aber wahr, dass man immer die Bestrafung im Hinterkopf haben muss", sagt Geiblinger. Wer zur Korruption willig sei, müsse durch Strafen davon abgehalten werden.

Da spiele aber auch der fehlende Mut unbeteiligter Mitwisser eine Rolle: "Die fehlende Zivilcourage anderer bereitet den Boden, dass man, wenn man die Macht hat, ungestörter und unkontrollierter Macheloikes machen kann", glaubt die Expertin. Transparency International fordert deshalb einen wirksamen Schutz für Whistleblower: Wer illegale Machenschaften in Unternehmen aufzeigt, soll von der Firma dafür nicht einfach in die Wüste geschickt werden können.

Die Gesetze im Korruptionsstrafrecht, da sind Experten weitgehend einig, sind in Österreich gut definiert. Das Problem ist eher, dass sie selten zur Anwendung kommen. Das ist auch eine kulturelle Frage: Politiker haben Vorbildwirkung, in der Fachwelt spricht man vom "Tone from the Top", im Volksmund heißt das: Der Fisch fängt am Kopf zu stinken an.

Moralische Korruption

"Wenn ein Bürgermeister eine Impfung kriegt, ist das schon auch moralische Korruption", sagt Geiblinger. Einer dieser Fälle dürfte nun Konsequenzen haben – allerdings für eine Ärztin, die das Vordrängeln eines Bürgermeisters publik gemacht hat. Gegen sie wurde Beschwerde bei der Ärztekammer wegen Verletzung der Schweigepflicht eingebracht.

Hierarchien spielen da eine große Rolle, sagt Geiblinger: "Wenn man oben angekommen ist, hat man auch nicht mehr mit viel Widerspruch zu rechnen." Die plötzlich erlangte Macht korrumpiere dann oft.

Vielleicht erklärt das, warum Korruption besonders oft bei stramm hierarchisch organisierten Parteien zu beobachten ist. Wer sich in seiner Gesinnungsgemeinschaft hocharbeiten muss, auf das Wohlwollen der übergeordneten Ebene angewiesen ist, um selbst aufzusteigen – der wird sich zweimal überlegen, den Star an der Spitze zu kritisieren oder inkorrektes Verhalten aufzuzeigen. Ganz oben entwickelt sich dafür Hybris: Das Gespür für richtig und falsch geht verloren.

Und dann gibt es noch einen strukturellen Faktor, der Österreich anfällig für Korruption macht. Als letztes Land der europäischen Union steht hierzulande das Amtsgeheimnis im Verfassungsrang. Wer also Vorgänge in der Verwaltung verheimlichen möchte, dem wird es relativ leicht gemacht: Die Ausnahmen sind schwammig formuliert, und auch berechtigte Auskünfte müssen oft jahrelang vor Gericht erkämpft werden. Dazu kommt der kulturelle Aspekt des Amtsgeheimnisses. Die Heimlichtuerei ist eine sorgsam gepflegte Fertigkeit in Österreichs Amtsstuben.

Träge Informationsfreiheit

Perfekte Bedingungen für Korruption also: Sie gedeiht im Dunkeln, wo niemand hinschaut, wo niemand Fragen stellt. Ein Informationsfreiheitsgesetz würde dem zum Teil vorbeugen: Die Angst, erwischt zu werden, ist im transparenten Staat größer.

Seit Jahren versprechen Regierungen deshalb, ein solches Recht auf Information für alle einzuführen. Doch die Verhandlungen waren stets träge, dann endete die Legislaturperiode, und man fing wieder von vorne an. Die türkis-grüne Bundesregierung hatte einen Entwurf schon für den Sommer 2020 angekündigt. Auch er hat sich verzögert – am Freitagnachmittag wurde eine Einigung verkündet.

Taugt das Gesetz etwas, wäre es ein großer Schritt in der Verhinderung von Korruption. In der Causa Blümel muss die Justiz nun rückblickend klären, was geschehen ist. (Sebastian Fellner, 20.2.2021)