"Mich muss man nicht überzeugen, dass wir uns auf eine neue Ära nichtfossiler Energieträger vorbereiten müssen.," sagt OMV-Generaldirektor Rainer Seele.

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Normalerweise herrscht in der Konzernzentrale der OMV ein ständiges Kommen und Gehen. Corona hat alles verändert. Viele der 2000 Mitarbeiter (von global rund 26.000, Borealis inklusive), die ihren Arbeitsplatz im OMV-Tower haben, arbeiten von zu Hause. Generaldirektor Rainer Seele nicht. Er empfängt Besucher im 21. Stockwerk.

STANDARD: Was hat ein Jahr Corona mit Ihnen gemacht?

Seele: Zum einen hat mich das Virus auf Trab gehalten. Schließlich mussten wir als OMV eine Antwort darauf finden. Und ich hatte unangenehme Entscheidungen zu treffen, insbesondere Kostensenkungen. Die sind nie angenehm.

STANDARD: Waren es retrospektiv die richtigen Entscheidungen?

Seele: Eindeutig. Wir mussten in der OMV weder Mitarbeiter entlassen noch Kurzarbeit einführen.

STANDARD: Und weiter?

Seele: Corona hat gezeigt, dass viele Reisen, die früher notwendig schienen, dank der digitalen Medien nicht so notwendig sind. Was Homeoffice betrifft, hatte ich Vorurteile, ob das funktioniert. Und siehe da, es geht. Was mich persönlich betroffen macht, ist, dass ich meine Neigung zur Kultur nicht mehr so ausleben kann, wie ich das möchte.

STANDARD: Im März 2018 haben Sie neue Produktionsziele für die OMV definiert – 600.000 Fass Öläquivalent am Tag bis 2025. Kürzlich haben Sie das umgestoßen. Warum?

Die Nachfrage nach Rohöl und folglich auch nach Diesel und Benzin wird in den kommenden Jahren zurückgehen. Grund sei die Elektromoblität, sagt OMV-Chef Rainer Seele.
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Seele: Die Welt hat sich gedreht. Die Nachfrage nach Rohöl geht unserer Einschätzung nach auf längere Sicht zurück, weil die Elektromobilität wesentlich stärker Fuß fasst. Auch andere Antriebsformen, insbesondere die Wasserstofftechnologie, stoßen auf Akzeptanz. Deshalb haben wir die Entscheidung getroffen, das Wachstum in der Öl- und Gassparte nicht mehr zu priorisieren.

STANDARD: Heißt das, schrittweiser Rückzug aus der Öl- und Gasproduktion, sollte sich ein Käufer finden?

Seele: Das heißt, im Wesentlichen auf dem Niveau bleiben, wo wir sind, und bei Akquisitionen im Upstream-Bereich (Öl- und Gasförderung, Anm.) eher zurückhaltend sein. Wir wollen die Reserven, die wir haben, in Produktion bringen – sprich zu Geld machen. Wir werden 2025 auf 450.000 und 500.000 Fass (je 159 Liter, Anm.) Öläquivalent aus eigener Produktion kommen statt der vorher angepeilten 600.000 am Tag.

STANDARD: Ihre Produktion in Libyen – 35.000 Fass am Tag in guten Zeiten – ist umstritten. Sie schienen mit Herzblut daran zu hängen. Und jetzt?

Seele: Wir sind wieder bei den 35.000 Fass am Tag angelangt. Trotz schwieriger Rahmenbedingungen können wir eine stabile Produktion darstellen. Weil wir dort zu unglaublich niedrigen Kosten produzieren, halten wir daran fest.

STANDARD: Ist Chemie die neue, bestimmende Duftnote der OMV?

STANDARD:(lacht) Ja. Das ist doch gutes Parfum.

STANDARD: Sie bleiben mit OMV in der Welt der Kohlenwasserstoffe?

Seele: Wir wollen die Wertschöpfung in der Chemie weiter vorantreiben. Mit der Mehrheitsübernahme von Borealis haben wir neben Exploration und Produktion sowie Raffinerie und Tankstellengeschäft ein drittes starkes Standbein, die Chemie. Das trägt signifikant zur Stabilisierung der OMV bei.

STANDARD: Wollen Sie Österreichs größten Industriekonzern zur IBM der Mineralölwirtschaft machen, indem Sie das Unternehmen neu erfinden?

Seele: Wir wollen die OMV weiterentwickeln, nicht neu erfinden. Und dabei wird die Chemie eine größere Rolle spielen. Das ist das Konzept.

STANDARD: IBM ist mit Riesenrechnern groß geworden. Jetzt hat der Konzern weder Großrechner noch Kleincomputer, sondern macht das Geld u.a. mit Servern und Cloudlösungen.

Seele: Wir verdienen in allen Geschäftsbereichen viel Geld. Das traditionelle Geschäft der OMV ist noch immer doppelt so groß wie das Chemiegeschäft.

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Das traditionelle Geschäft der OMV, zu dem auch die Raffinerie in Schwechat gehört, ist noch immer doppelt so groß wie das Chemiegeschäft, wird in Zukunft aber kleiner werden.
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STANDARD: Ist die Metamorphose der OMV dem Druck geschuldet, der von der Klimafront kommt?

Seele: Natürlich ist das eine Antwort auf die Veränderungen zu mehr Nachhaltigkeit. Der Fokus liegt auf Chemie und Recycling, die OMV bereitet sich auf eine Kreislaufwirtschaft vor.

STANDARD:Corona hat laut Schätzungen bisher 2,5 Millionen Todesopfer gefordert. Laut einer kürzlich publizierten Studie sterben weltweit aber mehr als acht Millionen Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung, die auf das Verbrennen fossiler Energieträger wie Öl und Kohle zurückgeht.

Seele: Mich muss man nicht überzeugen, dass wir uns auf eine neue Ära nichtfossiler Energieträger vorbereiten müssen. Das tun wir auch. Wir haben die größte Photovoltaikanlage Österreichs gebaut, bauen jetzt die größte Wasserstoffanlage und spezialisieren uns auf Produkte, die den Umstieg ermöglichen. Dazu gehören Ausgangsstoffe, um Leichtbaukarosserien für Elektroautos zu bauen oder Windräder zu optimieren. Aus Öl und Gas sollte man hochwertige Produkte machen, nicht verbrennen. Gut ist, dass die USA unter Joe Biden in den Pariser Klimavertrag zurückkehren.

STANDARD: Nord Stream 2, die umstrittene Gasleitung zwischen Russland und Deutschland, halten Sie noch immer für sinnvoll?

Seele: Daran hat sich nichts geändert. Wir finanzieren diese Pipeline auch mit, um eine Diversifizierung der Importwege für Österreich zu erreichen. Das ist eine sichere Route, sicherer als durch die Ukraine.

STANDARD: Sind die 730 Millionen, die Sie zur Finanzierung der Röhre beigetragen haben, zu banküblichen Konditionen verzinst oder besser?

Nord Stream 2, die umstrittene Erdgasleitung von Russland nach Deutschland, hat OMV-Chef Rainer Seele schon viele Nerven gekostet. Er bleibt dabei: "Das ist ein sinnvolles Projekt".
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Seele: Die genauen Vertragsbestandteile kann ich Ihnen nicht nennen. Aber es ist eine attraktive Finanzierung.

STANDARD: Im Streit um den Fertigbau von Nord Stream 2, den die USA unter Donald Trump unter allen Umständen verhindern wollten, scheint unter Biden ein Kompromiss möglich. Es gibt die Idee, die Pipeline notfalls zu unterbrechen, sollte Russland Druck auf die Nachbarstaaten ausüben ...

Seele: In diese politische Diskussion mag ich mich nicht einbringen. Ich freue mich, dass der Dialog zwischen Berlin und Washington wieder aufgenommen wurde. Sollte so eine Abschalteinrichtung in Erwägung gezogen werden, hoffe ich, dass man sie nicht bei Minustemperaturen auslöst. Das wäre sehr unangenehm für die Verbraucher. Politische Probleme sollte man diplomatisch lösen und nicht europäische Unternehmen dafür bestrafen.

STANDARD: Es gibt die Idee, in Russland produzierten Wasserstoff über Nord Stream nach Europa zu bringen ...

Seele: Eine reizvolle Perspektive. Berechnungen zeigen, dass wir in Europa so viele erneuerbare Stromkapazitäten gar nicht bauen können, um den hohen Bedarf zu decken und auch noch genügend Wasserstoff damit zu erzeugen. So wie wir jetzt und wohl noch länger Erdgas importieren, werden wir auch Wasserstoff beziehen müssen. In Russland gibt es Möglichkeiten, neben blauem auch grünen Wasserstoff herzustellen. Die Infrastruktur könnte man dann nützen, um den Wasserstoff nach Europa zu bringen.

STANDARD: In Österreich geht es um die Umsetzung der Recycling-Richtlinie. Sind Sie schon gefragt worden, wie Sie es haben möchten?

Wünscht sich Technologieoffenheit bei der Umsetzung der Recycling-Richtlinie in Österreich: OMV-Chef Rainer Seele.
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Seele: Das ist kein Wunschkonzert.

STANDARD: Früher war es häufig so, dass die OMV Gesetze etwa im Energiebereich formuliert hat, weil im Ministerium teils die Expertise fehlte.

Seele: Was früher war, kann ich nicht beurteilen. Wir werden uns jedenfalls fachlich einbringen, wenn gewünscht.

STANDARD: Was wäre wichtig?

Seele: Technologieoffenheit. Mechanische und chemische Verfahren sollten gleichbehandelt werden. Das ist Voraussetzung, damit wir die geplante Großinvestition in Kunststoffrecycling in Österreich angehen können. Es wäre ein substanzieller Beitrag, die EU-Vorgabe zu erfüllen, 50 Prozent des Kunststoffaufkommens im Land wieder zu recyceln.

STANDARD: Wenn wir uns nächsten Februar treffen sollten, liegt dann die Pandemie hinter uns?

Seele: Mit der Impfung wird es besser sein, Corona wird sich aber noch lange Zeit in der Verhaltensweise der Menschen niederschlagen. Händeschütteln etwa haben wir uns schon abgewöhnt. Wirtschaftlich gehen wir davon aus, dass im zweiten Halbjahr 2021 eine Erholung einsetzt. Die Aktienmärkte als Vorboten der wirtschaftlichen Zukunft senden deutlich positive Signale aus.

(Günther Strobl, 20.2.2021)