Leistet sich die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) "Verfehlungen", wie das der Kanzler sagt? Werner Pleischl, einst Generalprokurator und Chef des Weisungsrats, findet nicht. Sie mache ihre Arbeit gut. Das Vorhaben der ÖVP, die Weisungskette abzuschaffen und nun doch einen Bundesstaatsanwalt zu installieren, begrüßt er – dieser solle aber nicht vom Parlament kontrolliert werden, sondern von einem Expertengremium. Allerdings fürchtet der Jurist, dass ein Bundesstaatsanwalt so oder so von allen Seiten angegriffen werden wird. Sollte er vom Parlament kontrolliert werden, dann werde man ihn "prügeln wie einen Watschenmann".


STANDARD: Bundeskanzler Sebastian Kurz und viele andere aus der ÖVP kritisieren die WKStA scharf, jüngster Anlass war die Hausdurchsuchung bei Finanzminister Gernot Blümel. Ein unberechtigter Angriff auf die Justiz?

Pleischl: Man kann die Justiz schon kritisieren. Jeder macht Fehler, man muss nur daraus lernen. Bei der Kritik an Hausdurchsuchungen wird aber außer Acht gelassen, dass die richterlich genehmigt waren.

STANDARD: Die Hausdurchsuchung beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) wurde vom Oberlandesgericht Wien als rechtswidrig erkannt.

Werner Pleischl attestiert den Kurruptionsstaatsanwälten gute Arbeit.
Foto: Matthias Cremer

Pleischl: Auch sie war vom Richter genehmigt. Man sagt, er stand unter Zeitdruck, aber niemand muss in der Nacht eine Hausdurchsuchung bewilligen, der Richter kann jederzeit weitere Informationen einfordern. Richter sind ja keine Laikaien. Und das übergeordnete Gericht hat die Hausdurchsuchung nur deswegen für rechtswidrig erklärt, weil unter Behörden Amtshilfe geleistet werden müsse. Aber wie soll man das machen? Zum BVT gehen und sagen: Bitte, der Innenminister sieht ein Problem hier und wir ermitteln, gebt uns eure Unterlagen? Da wird man sich was überlegen müssen.

STANDARD: Warum werden nicht die Richter kritisiert?

Pleischl: Das ist ein sonderbares Phänomen: Kritisiert wird immer die Staatsanwaltschaft, selten das Gericht. Vielleicht ist das aus der Geschichte heraus zu erklären und aus der Rolle der Staatsanwaltschaft: Sie spielt den bösen Buben, sie muss ermitteln und anklagen, wenn die Verurteilungswahrscheinlichkeit über 50 Prozent liegt. Und dann kommt das Gericht im Talar und sagt: richtig oder falsch, schuldig oder unschuldig. Die Staatsanwaltschaft, die über weniger Erkenntnisse verfügt als das Gericht nach einem Verfahren, muss mit Wahrscheinlichkeiten rechnen und hat deswegen bei ihren Entscheidungen einen Ermessensspielraum. Und der wird von Politikern politisch interpretiert, die können nur so denken: Das sind wir, das sind die anderen und wer gegen einen von uns ermittelt, gehört zu den anderen.

STANDARD: So erklären Sie auch die Kritik des Kanzlers, der von Verfehlungen der WKStA sprach?

Pleischl: Der Zusammenhang ist der: Ein Vertrauter des Kanzlers wird in Untersuchung gezogen, der Kanzler greift sehr massiv die WKStA an, obwohl die Hausdurchsuchung richterlich genehmigt wurde. Ich sehe überhaupt keine Verfehlungen, im Gegenteil. Es gibt rund um die Causa Ibiza Hinweise auf Spenden im sechsstelligen Bereich, das erregt den Verdacht, dass sie Gegenleistungen bezweckten. In der konkreten Mail (der damalige Novomatic-Chef Neumann an den damaligen ÖVP-Wien-Chef Blümel; Anm.) ist das durch enge grammatikalische Verbindung sogar verknüpft – und daher muss die Staatsanwaltschaft dem Verdacht nachgehen.

STANDARD: Wurden Berichtspflichten verletzt? Die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) wurde sehr spät von der Hausdurchsuchung informiert.

Pleischl: Offenbar wollte man den Kreis der Wissenden klein halten. Justizminister Kogler hat gesagt, dass alles seine Richtigkeit hatte.

STANDARD: Die ÖVP stellt die WKStA als rote Partie dar. Wie sieht das der rote Exchef der OStA Wien und Ex-Generalprokurator Pleischl?

Pleischl: Absurd, einfach absurd. Die Staatsanwaltschaft ist nicht politisiert, sie wird politisiert. Die WKStA wird von Politikern als politisch motiviert dargestellt, weil die in Lagern denken: "Einer von uns wird in Untersuchung gezogen und daher sind die Staatsanwälte von der anderen Seite."

STANDARD: Sie waren ab 1975 in der Justiz, waren Richter, leiteten die OStA Wien, waren Generalprokurator, Chef des Weisungsrats. Gab es dieses Lagerdenken nicht früher auch?

Pleischl: Hier gehts nicht um Kritik, sondern um Anschuldigungen. Das habe ich in dieser pauschalen und massiven Art nie erlebt. Dabei war es die ÖVP, die eine WKStA wollte. Und so eine Antikorruptionsbehörde gewinnt halt im Lauf der Zeit glücklicherweise an Eigenständigkeit. Jetzt ist das offenbar manchen zu viel geworden.

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Kanzler Sebastian Kurz (rechts) wirft der WKStA "Verfehlungen" zu. Laut Justizminister Werner Kogler hatte beim internen Informationsfluss rund um die Hausdurchsuchung bei Gernot Blümel alles seine Richtigkeit.
Foto: Reuters/Föger

STANDARD: Ist die WKStA zu selbstbewusst geworden?

Pleischl: Sie macht zu sehr das, wofür sie da ist, denn sie muss jedem Anfangsverdacht nachgehen. Das heißt aber noch lange nicht, dass es eine Anklage oder gar eine Verurteilung geben wird. Sie kann nicht sagen: "Oh, das ist der Finanzminister, da machen wir nichts." Wir sind in einem Rechtsstaat. Dazu kommt, dass die Politik die Justiz als Kampfmittel instrumentalisiert: Man macht ein furchtbares Theater, wenn jemand von einer anderen Partei in Verdacht gerät, dabei kann das jedem passieren. Eine Hausdurchsuchung hat nur den Zweck, dass die Ermittler bestimmte Informationen finden, die sie anders nicht bekommen. Das läuft meist völlig ruhig, da werden nicht Schubladen durchwühlt und Kästen umgeworfen.

STANDARD: Ex-WKStA-Staatsanwältin Christina Jilek sieht die Behörde in einem politischen Korsett. Können Sie das nachvollziehen?

Pleischl: Sie kritisierte vor allem die vielen Berichte, die die WKStA schreiben muss; Weisungen gibt‘s ja nicht so viele. Berichte zu schreiben ist sehr aufwendig. Und wenn man den siebenten Bericht schreiben muss statt untersuchen zu können, muss man annehmen, dass die Oberbehörde an der Untersuchung nicht viel Freude hat. Da kann man sich schon unter Druck gesetzt fühlen.

STANDARD: In der Justiz sind zuletzt unglaubliche Dinge geschehen, auf offener Bühne wurde ein Streit zwischen WKStA, OStA und dem damaligen Strafsektionschef Christian Pilnacek ausgetragen, der in gegenseitigen Anzeigen gipfelte. So was je erlebt?

Pleischl: Ich habe so etwas in mehr als 40 Jahren nicht erlebt. Es gab mehr Respekt, heute ist man lockerer und offener im Umgang und das ist auch gut so. Aber wenn der gegeseitige Respekt ganz fehlt, schlägt sich das auch bei Diskussionen über Fachliches nieder. Das sieht man ja auch in der Politik. So etwas schaukelt sich dann hoch, denn Mitarbeiter lassen sich nicht mehr alles gefallen.

STANDARD: Pilnaceks ist nicht mehr Strafsektionschef; WKStA und Oberstaatsanwaltschaft sind aber immer noch nicht beste Freunde.

Pleischl: Man muss ja auch nicht immer einer Meinung sein. Ich war auch oft nicht einer Meinung mit Pilnacek, aber wir haben einander nie so beflegelt. Ich glaube, die WKStA fühlt sich mit ihrer schwierigen Aufgabe von allen Seiten unter Druck gesetzt und irgendwo muss der Druck raus – oder die Mitarbeiter laufen alle davon.

Christian Pilnacek, Legistik-Sektionschef im Justizministerium, beim Ibiza-U-Ausschuss im Parlament.
Foto: APA/Fohringer

STANDARD: Wie ändert man das?

Pleischl: Indem man die Arbeit der WKStA anerkennt und sie nicht nur Berichte schreiben lässt. Die Ministerin hat nun einmal Ruhe hineingebracht, mit der neuen Strafsektionsleiterin dürfte es besser laufen. Es gibt halt einen grundsätzlichen Widerspruch: Die Staatsanwälte sehen sich als unpolitisch, sind aber der Politik weisungsgebunden. Und die Politik hat bestimmte Interessen, während die Staatsanwaltschaft ausschließlich dem Gesetz und der Gerechtigkeit zu dienen hat.

STANDARD: Sie haben, mit Pilnacek und der heutigen OGH-Vizechefin Eva Marek gemeinsam, die Strafprozessreform 2008 erarbeitet. Bis dahin wurden die Ermittlungen von unabhängigen Untersuchungsrichtern geführt, seit damals machen das Staatsanwälte. Beweisaufnahmen in öffentlichkeitswirksamen Causen, wie jener rund um Blümel, müssten laut geltendem Recht aber weiterhin von Richtern durchgeführt werden, das kommt aber so gut wie nie vor. Warum nicht?

Pleischl: Diese Bestimmung kam ins Gesetz, weil Traditionalisten es so wollten. Aber sie ist systemwidrig und wird daher selten angewendet. Man soll das alte System des U-Richters auch nicht glorifizieren: Die U-Richter mussten wichtige Entscheidungen von der Ratskammer genehmigen lassen und waren weitgehend an die Anträge der Staatsanwälte gebunden.

STANDARD: Die ÖVP will nun nach 20 Jahren Ablehnung die Weisungskette abschaffen und einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt. Gut so?

Pleischl: Wenn der unabhängige Bundesstaatsanwalt der parlamentarischen Kontrolle unterliegt, wenn er sich dort für alles rechtfertigen muss, was er tut und was er nicht tut, dann tut mir diese Person schon jetzt leid. Dann ist das eine Farce, dann steht der Bundesstaatsanwalt allein auf weiter Flur da und man wird ihn prügeln wie einen Watschenmann. Das schlimmste wäre die Kontrolle laufender Verfahren durchs Parlament.

STANDARD: Was wäre besser?

Pleischl: Ich bin für einen Bundesstaatsanwalt, der unabhängig vom Parlament ist. Die Kontrolle seiner Schritte durch die Gerichte muss genügen und im Nachhinein kann es dann auch Berichte ans Parlament geben, so wie beim Rechnungshof. Wenn man eine breite Zustimmung im Parlament hat, wird sich für den Posten jemand finden, der sich auskennt. Und diese Person wird auch unabhängig agieren, so wie die Mitglieder des VfGH.

STANDARD: Wer soll den Bundesstaatsanwalt kontrollieren?

Pleischl: Ein Gremium aus Rechtsprofessoren, Anwälten und Richtern, der Entscheidungen auf rechtliche Fehler hin prüfen könnte. Wobei ich trotzdem befürchte, dass man diese Person fertig machen wird. Ein Bundesstaatsanwalt muss ständig entscheiden, nach zwei Jahren hat er oder sie halb Österreich gegen sich. Jede Entscheidung ist auch gegen jemandes Interesse – und der kann den Bundesstaatsanwalt dann uneingeschränkt angreifen. Wer hält das zwölf Jahre lang aus?

STANDARD: Eine starke Frau vielleicht. Sollte der Bundesstaatsanwalt kommen, hätte der Streit Politik-Justiz wenigstens etwas Gutes gehabt, oder?

Pleischl: Es ist traurig, dass es so weit kommen musste – aber ja, endlich wird über die Weisungsfreiheit der Staatsanwälte ernsthaft diskutiert. Das ist ein großer Fortschritt.

(Renate Graber, 20.2.2021)