Das Museum in Schieflage: 2006 hievte der Künstler Erwin Wurm ein gestürztes Haus aufs Dach des Mumok.

Foto: mumok/lisa Rastl, Lena Beinhardstein

Die Schlangen täuschen: Während die Besucher vor den Museen geduldig auf Einlass warten, haben sie drinnen die Ausstellungen für sich. Ganze 20 Quadratmeter sind für jeden einzelnen reserviert, eine Zahl, die den Museumsdirektoren Schweißperlen auf die Stirn treibt. Wenige Besucher bedeuten wenig Einnahmen, und noch ist kein Ende der Abstandsregeln in Sicht. Genau so wenig wie die Rückkehr der Touristen, die die Museumstanker mit ihren hohen Eigendeckungsraten wie die Luft zum Atmen brauchen.

Als "dramatisch" bezeichnen professionelle Beobachter die Situation und unterfüttern ihre Aussage mit Zahlen: Besucherrückgänge von bis zu 80 Prozent, Sondersubventionen allein für die Bundesmuseen im vergangenen Jahr von über 20 Millionen Euro. Und dazu die Prognose, dass sich das Kulturleben erst in drei bis vier Jahren normalisieren werde. Aber ob bis dann auch die Touristen wiederkehren werden und der Leihverkehr zwischen den Museen so richtig anlaufen wird, das bezweifeln viele. Und schieben eine Forderung hinterher: Es sei an der Zeit, die Museen neu zu denken.

Einer ihrer Wortführer ist Michael Wimmer. Der Kulturwissenschafter beschäftigt sich seit Jahren mit der heimischen Museumspolitik und wurde auch in der Vergangenheit nicht müde, Kultureinrichtungen als verlängerten Arm der Tourismusindustrie anzuprangern. "Jetzt rächt sich die Vernachlässigung der lokalen Bevölkerung auf katastrophale Weise", sagt er. Jahrelang war man darauf bedacht, noch größere, noch spektakuläre, noch teurere Sonderausstellungen nach Wien zu holen und habe dabei auf das Museum als sozialen, öffentlichen Ort vergessen.

Ort der Begegnung

Wimmers Forderung: Aus einem Ort der Artefakte müsse ein Ort der Begegnung werden. Und zwar auch von Menschen, die bisher nur schwer den Weg in Kultureinrichtungen fanden. Was Wimmer meint, illustriert er im Kleinen am Beispiel des Volkskundemuseums, das vor einiger Zeit eine Gesprächsreihe über "Junge Muslime und Musliminnen in Wien" ausrichtete: Muslime und Nichtmuslime sprachen in den Räumen des Museums über das Zusammenleben in der Stadt. Das Publikum hatte einen aktiven Part inne, gesellschaftliche Realitäten wurden verhandelt. Das Museum sieht Wimmer als Ort, in dem "die sozialen Herausforderungen", mit denen wir in den kommenden Jahren konfrontiert würden, ausgetragen werden müssten. Statt Repräsentation Konfrontation. Oder anders gesagt: "Es ist Zeit, das 19. Jahrhundert auch in den Museen zu begraben."

Mit seiner Haltung ist Wimmer wohl nicht mehrheitsfähig, er trifft aber einige wunde Punkte. Die Pandemie hat in der heimischen Kunstlandschaft wie durch ein Brennglas Schwächen und Versäumnisse kenntlich gemacht. Die Abhängigkeit vom Overtourismus gehört ebenso dazu wie die Einseitigkeit, mit der der Erfolg der einzelnen Häuser gemessen wird.

Statt Programme aufeinander abzustimmen, Synergien zu suchen und Lücken zu füllen, dominierte ein kleinliches Gerangel, wer mit welchem Blockbuster aufwarten kann oder wer wie viele Besucher zählt. Die eigenen Sammlungen wurden oft vernachlässigt, die Forschung gekürzt, Digitalisierungs-, Fair-Pay- und Nachhaltigkeitsprojekte auf die lange Bank geschoben. "Wann, wenn nicht jetzt, besteht die Gelegenheit, diese Fehlentwicklungen anzugehen?", fragt Wolfgang Muchitsch, der dem österreichischen Museumsbund vorsteht.

Sammlungen entdecken

Ein neues Verhältnis zum Publikum aufzubauen ist auch für ihn zentral. Als Chef des Grazer Universalmuseums Joanneum konnte er schon in der Vergangenheit auf relativ wenige Touristen hoffen. "Das lokale Publikum an ein Haus zu binden ist ein langwieriger Prozess und verlangt viel Beziehungsarbeit." Statt mit einem Einmalbesuch werde man aber mit einem Publikum belohnt, das wiederkehre. Muchitschs zweiter zentraler Punkt: "Wir müssen unsere eigenen Sammlungen neu entdecken."

Mit denen braucht sich Österreich in der Tat nicht zu verstecken. Ob imperiale Kunst- und Schatzkammern oder das reiche Erbe der Wiener Moderne: Sie sind der Grund, warum Touristen genauso wie Einheimische die Museen stürmten. "Sonderausstellungen sind austauschbar geworden", ist denn auch Anja Grebe überzeugt: "Die nähere Zukunft gehört den permanenten Ausstellungen." Diese könnten jetzt in anderen Zusammenhängen entdeckt und neue Narrative geflochten werden.

Digitalisierungsschub

Die deutsche Museumswissenschafterin lehrt an der Donau Uni Krems und hat einen erfrischend optimistischen Blick auf die derzeitige Situation. "Mittel- bis langfristig werden Museen nicht an Attraktivität verlieren", ist Grebe überzeugt und nennt als zentralen Grund neben der Stärke der heimischen Sammlungen den Innovations- und Digitalisierungsschub der vergangenen Monate: "Auch wenn der Livecharakter eines Museumsbesuchs nicht ersetzt werden kann: Besucher bekommen durch die digitale Aufbereitung von Kunst ganz neue Möglichkeiten, sich mit Werken auseinanderzusetzen." Das Rijksmuseum in Amsterdam sei ein Beispiel, wie es gehen kann, bei den heimischen Museen mahnt Grebe eine "gut durchdachte Digitalisierungsstrategie" ein.

Aus analogen Museen werden schon bald hybride Wesen, darin sind sich die Kenner der Materie einig. Langsam löst sich die Schockstarre, in denen die Museen ob der Pandemie gefangen waren. So wie es war, wird es wohl nicht mehr werden. Die Diskussion darüber, was stattdessen kommen soll, hat aber erst begonnen.

Noch befindet sich die Kultur großteils im erzwungenen Winterschlaf. Irgendwann wird aber auch sie neu durchstarten können. Die Frage ist nur: In welcher Form und unter welchen Rahmenbedingungen? Vieles hat sich im vergangenen Jahr geändert, vieles wird sich noch ändern. In unserer neuen Serie fragen wir, wie die Kultur in Zukunft aussehen könnte.

(Stephan Hilpold, 20.2.2021)