Diana Kashlan und Johnny Mhanna als zwei junge Menschen ohne Zukunft in Damaskus.

Foto: Alex Gotter

Syrische Flüchtlinge sind gerade nicht mehr das Thema. Wie ein Weckruf wirkt deshalb die Premiere von Olga Grjasnowas Gott ist nicht schüchtern, einer im Herbst am Berliner Ensemble uraufgeführten Bühnenfassung des gleichnamigen, 2017 erschienenen Romans über eine Generation, die einen Systemwandel fordert und dabei regelrecht zermalmt wird. Grjasnowa (sie wurde 2012 für ihren Debütroman Der Russe ist einer, der Birken liebt gefeiert) schildert in filmrealistischen Erzählsträngen die Geschichte von Amal, Youssef und Hammoudi im Kontext der Revolution von 2011 in Damaskus.

Es sind dies drei Persönlichkeiten, die auf unterschiedliche Weise die Häscher des Regimes zu spüren bekommen. Es passiert viel, der Roman ist das akribische Protokoll einer brutalen Revolutionsniederschlagung. Dem Erzählfaden (oft in 3. Person) schließt sich auch die Inszenierung Susanne Draxlers im Werk X Petersplatz ohne Umschweife an. Erzähltheater der konventionellen Form, das seine Zugkraft aus zwei sympathischen Schauspielern gewinnt sowie einem steten, jedem pathetischen Innehalten widerstrebenden Tempo.

Gehobene Mittelschicht

Auf schlichten Holzpanelen, die wechselweise als Küchenmöbel, Bett oder Operationstisch dienen, steuern Diana Kashlan als Telenovela-Schauspielerin Amal und Johnny Mhanna in wechselnden Rollen als Studienkollege Youssef sowie als Chirurg Hammoudi durch die Monate des Bürgerkriegs. Sie werden auf Demonstrationen ausgeforscht und vom Geheimdienst drangsaliert, bedroht und gefoltert.

Grjasnowa wählt die gehobene Mittelschicht (Hammoudi zum Beispiel hat in Paris studiert), wohl um den Identifikationsgrad der Leserschaft bzw. des Theaterpublikums zu erhöhen und auch um sich dem diffamierenden Flüchtlings-Framing zu widersetzen (sie werden später fliehen). Zuweilen wirkt das Geschehen zwischen orientalischen Partys, Hausdurchsuchungen und Folterkammern aber ebenfalls wie eine Telenovela, die man sich angenehm auf Distanz hält. Das ist vermutlich die größte Falle, die dieser Text birgt, dass die "gezeigten" Ereignisse den Privatraum nicht verlassen und sie so irrtümlich zu persönlichen Schicksalen gerinnen, plausibel und leichthändig erzählt.

"Neutrale" Figuren

Der Fokus auf die Figuren und ihre nicht direkt spürbare geopolitische Verortung schlägt aber anderweitig zu Buche: Weit entfernt von vorgefertigten Orientbildern und der medial abgenützten Kriegsatmosphäre zeigen zwei "neutrale", vollständig in weiß gekleidete Menschen, wie sich ein Leben in Verfolgung anbahnt, anfühlt – und wo es hinführen kann. (Margarete Affenzeller, 22.2. 2021)