Ob die Abschaffung des Amtsgeheimnisses Transparenz bei Österreichs Behörden einkehren lassen wird, ist unklar – noch liegt kein Gesetzestext vor.

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Jörg Leichtfried (SPÖ) will parallel zur Informationsfreiheit auch die Abgeordnetenrechte stärken.

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Nikolaus Scherak (Neos) gibt sich angesichts der Euphorie der Regierungsparteien "irritiert" – immerhin braucht es für den Beschluss eine Zweidrittelmehrheit im Parlament.

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Wien – Die türkis-grüne Koalition hat am Freitag eine inhaltliche Einigung für die Abschaffung des Amtsgeheimnisses verkündet, ein Gesetzesentwurf liegt aber noch nicht vor. Weil die Regierung für den Beschluss eine Zweidrittelmehrheit benötigt, wird sie mit den beiden größeren Koalitionsparteien SPÖ und FPÖ in Verhandlung treten müssen.

SPÖ-Verfassungssprecher Jörg Leichtfried begrüßt die Einigung grundsätzlich: "Es ist gut, dass sich jetzt etwas zu bewegen scheint", sagt er zum STANDARD. Er will aber für eine abschließende Beurteilung des Koalitionsvorschlags den Gesetzesentwurf abwarten, "da gibt es viele Details, die immens wichtig sind." Und in der Vergangenheit habe es oft große Unterschiede gegeben zwischen dem, was von der Regierung angekündigt wurde und dem, was dann tatsächlich im Gesetz stand.

SPÖ bringt Forderungen ein

In die Verhandlungen wird die SPÖ allerdings mit einigen Vorschlägen abseits des Amtsgeheimnisses gehen: Erstens soll das Parlament die Vergabe der Corona-Hilfsgelder für Unternehmen kontrollieren können. Und: "Parallel zur Informationsfreiheit für Bürger müssen die Abgeordnetenrechte in diesem Bereich gestärkt werden", sagt Leichtfried. Er fordert eine Verkürzung der Antwortfrist für Ministerien auf Anfragen von Mandataren von acht auf vier Wochen.

Darüber hinaus sollen Regierungsmitglieder bei Fragen zu staatsnahen Unternehmen nicht nur Informationen aus ihrer Funktion im Aufsichtsrat übermitteln müssen, sondern auch solche, die direkt aus dem Unternehmen stammen. Und: Bei Nichtbeantwortung von parlamentarischen Anfragen soll der Verfassungsgerichtshof angerufen werden können.

FPÖ begrüßt Einigung

FPÖ-Verfassungssprecherin Susanne Fürst findet die Einigung "grundsätzlich positiv – das geht ja schon jahrelang dahin", sagt sie zum STANDARD. Eine detaillierte Beurteilung des Vorhabens will auch sie nicht abgeben, solange noch kein Gesetzesentwurf da ist. Aber "wenn das dann auch eine lebbare Version wird und nicht zusätzliche bürokratische Hürden geschaffen werden", stehe einer Zustimmung der Freiheitlichen nichts im Weg. Man müsse allerdings, sagt Fürst, auch darauf achten, dass der Datenschutz bei der Informationsfreiheit gewahrt bleibe.

Scherak will kürzere Fristen

Auch Neos-Verfassungssprecher Nikolaus Scherak gibt sich auf STANDARD-Anfrage zurückhaltend mit einer Einschätzung, solange noch kein Gesetz vorliegt. Er findet es aber "irritierend", dass stolz eine Einigung verkündet wird, wo doch eine Zweidrittelmehrheit im Parlament notwendig ist (zu der die Neos mangels Mandaten nicht beitragen können). "Ich wäre noch nicht so euphorisch wie die Regierungsparteien", sagt Scherak.

Kritisch sieht Scherak die vereinbarte Frist für Antworten von Behörden von vier Wochen: "Ich persönlich würde mir immer wünschen, dass es schneller geht", eine Antwortfrist von zwei Wochen müsse etwa möglich sein. "Das ist nicht der Idealzustand, den die Regierungsparteien hier ausgemacht haben", sagt der Abgeordnete.

Umgehungsmöglichkeiten bei der Veröffentlichung

Eine mögliche Umgehungsmöglichkeit sieht Scherak auch bei der Grenze für die automatische Veröffentlichungen von Verträgen: Diese sollen erst ab einem Wert von 100.000 Euro sofort veröffentlicht werden müssen.

Die Begrenzung sei einerseits nachvollziehbar, weil sie jener für Direktvergaben entspreche. "Aber es besteht die Gefahr, dass das insgesamt dazu führt, dass vieles im Dunkeln bleibt." Man kenne das ja aus dem Vergaberecht, wo Aufträge oft bewusst knapp unter 100.000 Euro ausmachen.

Forum Informationsfreiheit sieht Punktuation kritisch

Der Gesetzesentwurf liegt wie gesagt noch nicht vor – er könne aber noch einige Tücken aufweisen, wie Mathias Huter vom Forum Informationsfreiheit dem STANDARD erklärt. Die NGO setzt sich seit Jahren für ein Informationsfreiheitsgesetz und das Ende des Amtsgeheimnisses ein.

Auch er sieht die Grenze für die automatische Veröffentlichung von Verträgen kritisch: "100.000 Euro sind schon eine sehr hohe Schwelle. In der Slowakei etwa liegt dieser Grenzwert bei 1000 Euro", sagt Huter.

Zahnloses Gesetz droht

Es fehle aber ansonsten noch an Hintergrundwissen bei diesem Automatismus: "Betrifft das auch Förderungen, Statistiken, Entscheidungen der Verwaltung oder Weisungen, die einen weiteren Personenkreis betreffen?", fragt der Generalsekretär der NGO. Seiner Ansicht nach müsse es auch Sanktionen geben, wenn Behörden der automatischen Veröffentlichungspflicht nicht nachkommen, sonst sei das Gesetz in diesem Punkt zahnlos.

Datenschutzbehörde "schafft Ungleichgewicht"

Dass die Datenschutzbehörde als Servicestelle für Behörden bei Fragen zur Informationsfreiheit eingerichtet wird, sei "erwartbar gewesen, aber nicht zufriedenstellend. Die Datenschutzbehörde hat weder das Mandat, noch die Kultur, noch die Ressourcen um sich für Transparenz einzusetzen". Ihre Rolle "schafft ein Ungleichgewicht gegen Transparenz".

Die Grünen hatten sich ursprünglich – wie das Forum Informationsfreiheit – für die Einrichtung eines eigenen Informationsfreiheitsbeauftragten eingesetzt, der Anlaufstelle für Bürger und Behörden sein sollte. Die ÖVP war allerdings gegen eine neue Stelle. Verweigert eine öffentliche Stelle eine Auskunft, müssen sich die Fragenden also künftig wie derzeit an das Verwaltungsgericht wenden.

Undurchsetzbare Urteile

Auch darin sieht Huter einen Makel: "Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte sind unserer Erfahrung nach nicht durchsetzbar. Selbst wenn man vor dem Verwaltungsgerichtshof Recht bekommt, kann dieser einer Behörde nicht auftragen, die Informationen herauszugeben." Einen solchen Fall lieferte zuletzt die Stadt Wien – DER STANDARD berichtete.

Was ist eine Information?

Ein weiterer möglicher Fallstrick liegt in der Definition des Wortes Information: "In früheren Entwürfen war immer von 'zu veraktenden Informationen' die Rede – aber was ist dann mit den SMS am Diensthandy eines Ministers? Gibt es da Schlupflöcher?", sagt Huter. Es wäre wichtig, den Informationsbegriff zunächst möglichst weit zu definieren, um dann konkrete Ausnahmen zu schaffen.

Geheime Hubschrauber und das öffentliche Interesse

Das Forum Informationsfreiheit mache sich aber weniger Sorgen wegen umfangreicher Ausnahmen als wegen des rechtlichen Prozederes nach einer Anfrage. "Es gibt international gute Standards, was ein Ausnahmegrund ist. Aber die Abwägung der Interessen ist zentral", sagt Huter. Ein gutes Modell sei etwa ein zweistufiges Testverfahren. Zunächst müsse die Frage beantwortet werden: Würde aufgrund eines Ausnahmegrundes ein Schaden entstehen? Huter nennt den Fall eines Beschaffungsvertrags für Hubschrauber: Würde es einen Schaden für die Landesverteidigung oder die Sicherheit bedeuten, wenn der Vertrag öffenlich würde?

Ein paar Jahre ausjudizieren

Doch auch wenn diese Frage mit Ja beantwortet wird, müsse im zweiten Schritt abgewogen werden: Wie groß ist das öffentliche Interesse an dem Vertrag? Wenn es rund um den Kauf etwa den Anschein von Korruption gegeben hat, könne dieses Interesse den Geheimhaltungsinteressen im Sinne der Landesverteidigung überwiegen.

"Solche Abwägungen müssen wirklich klar verankert sein", sagt Huter. "Sie entsprechen auch der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte." Sind die Abwägungsprozesse nicht klar definiert, müsse man ein paar Jahre investieren, um sie ausjudizieren zu lassen, glaubt Huter.

Ist das Amtsgeheimnis nicht ohnehin totes Recht?

Skeptischen Zwischenrufen, dass das Amtsgeheimnis ohnehin totes Recht gewesen sei und sich Behörden gar nicht explizit darauf beriefen, glaubt Huter nicht. "Das Amtsgeheimnis versammelt Geheimhaltungsgründe aus den verschiedensten Bereichen", sagt er. "Das Problem ist derzeit, dass es keine Rechtssicherheit für die Verwaltung gibt: Was der Geheimhaltung unterliegt, ist derzeit sehr schlecht festzumachen."

Derzeit stehen Amtsgeheimnis und Auskunftspflicht parallel zueinander im Verfassungsrang. Behörden müssen zwischen den beiden Prinzipien abwägen und entscheiden sich, so Huter, oft im Zweifel für die Geheimhaltung. Das Prinzip umzukehren und von vornherein Informationsfreiheit mit klar definierten Ausnahmen festzuschreiben, würde auch einen Kulturwandel bedeuten. (Sebastian Fellner, 20.2.2021)