Das Handyjahr ist noch recht jung und nach Samsung hat nun auch Xiaomi sein Frühjahrflaggschiff auf den internationalen Markt gebracht: Das Mi 11. Es ist gleichzeitig das erste Gerät mit Qualcomms neuem Snapdragon 888, mit Ausnahme der US-Version von Samsungs Galaxy S21.

Auch in Österreich wird das Smartphone bald verfügbar werden. Offizieller Starttermin ist der 18. März. Preislich ist Xiaomi weiter in die Nähe der schon länger höherpreisigen Konkurrenten gerückt. Zumindest 799 Euro werden sich Interessenten das Gerät kosten lassen müssen. DER STANDARD hatte bereits die Gelegenheit, es zu testen.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Darf's mit Ladegerät sein?

Im Vorfeld des Releases des Mi 11 gab es eine kleine Posse rund um die Beilage von Zubehör. Eigentlich wollte Xiaomi mit Apple gleichziehen und das Ladegerät nicht mehr in den Lieferumfang integrieren. Die Ankündigung sorgte allerdings für derart viele verärgerte Reaktionen, das man von diesem Schritt nun doch Abstand genommen hat. Nur in China wird das Telefon in einer kleineren Schachtel und standardmäßig ohne Ladegerät verkauft. Wer das Handy dort bestellt, kann sich den Charger aber kostenlos mitliefern lassen.

Die internationale Ausgabe kommt in einer Box üblichen Formats. Mit dabei sind neben dem 55W-Ladeteil ein 6A-taugliches USB-C-Kabel, eine transparente Silikonhülle und außerdem ein 3,5mm-auf-USB-C-Adapter, um Kopfhörer mit Klinkenstecker verwenden zu können.

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Display und Ergonomie

Die Vorderseite wird fast vollständig bedeckt mit einem 6,8-Zoll AMOLED-Display (3200 x 1440 Pixel). Dieses unterstützt eine Bildwiederholrate von 120 Hz, HDR und verspricht einen sehr großen Farbraum (10 Bit) abzudecken und hohe Helligkeit von bis zu 1500 nits bei HDR-Wiedergabe. Geschützt wird er vom neuen Gorilla Glass Victus.

Das münzt sich in der Praxis auch in ausgezeichnete Darstellungsqualität um. Farben sind satt, aber nicht überzeichnet, die Helligkeit exzellent. In Summe bietet das Mi 11 sicher eines der besten Displays, die man aktuell am Smartphonemarkt findet. Die große Schwäche des Bildschirms liegt allerdings in seiner Ergonomie.

Um dem Handy eine möglichst moderne und schlanke Erscheinung zu geben, biegt sich der das Glas des Bildschirms seitlich etwas über den Rand, wie es auch bei einigen anderen Geräten – meist aus der Highend-Liga – der Fall ist. Wenngleich die Krümmung nicht sehr weit reicht, sorgte dies während des Tests für allerlei versehentliche Eingaben. Normalerweise sollten diese per Software automatisch erkannt und "abgefangen" werden, leider funktioniert das aber nicht immer zuverlässig.

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Selbiges gilt auch für den Fingerabdruckscanner unter dem Display. Hier zeigt sich ein erstaunlicher Rückschritt zum Vorjahresmodell. Das Mi 10 erwies sich bei der Entsperrung per Finger recht unproblematisch. Das aktuelle Modell hingegen verweigert immer wieder einmal die Erkennung, teils auch mehrere Male hintereinander, sodass man erst recht wieder den PIN eingeben muss. In Zukunft soll der Scanner per Firmwareupdate auch um Pulserkennung nachgerüstet werden. Man kann nur hoffen, dass dies dann besser klappt und vielleicht auch noch bei der Fingerabdruckerkennung per "Softwaremagie" nachgebessert werden kann.

Den "Phantomeingaben" kann man etwas entgegen wirken, in dem man die beigelegte Silikonhülle verwendet. Diese geht zwar nicht über den Randbereich, stellt aber ein bisschen Abstand zwischen Hand und Display her. Sie zu verwenden empfiehlt sich aber auch, weil die verglaste Rückseite des Mi 11 nicht übermäßig viel Haftung bietet. Ebenfalls problematisch ist das an seiner "höchsten" Stelle drei Millimeter aus dem Gehäuse ragende Kameramodul auf der Rückseite. Eingaben am liegenden Handy zu machen, wird damit zur Geduldsprobe.

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Der Vollständigkeit halber: Das Telefon misst 164,3 x 74,6 x 8,1 Millimeter und wiegt knapp 200 Gramm. An einhändige Bedienung ist nicht zu denken und die Hostentasche sollte schon etwas geräumiger sein, will man es darin transportieren. Offiziell wasserdicht ist das Handy nicht, in Teardowns wurden aber Dichtungsmaßnahmen entdeckt, weswegen davon auszugehen ist, dass es zumindest Spritzwasser standhalten sollte.

Basics und Performance

Unter der Haube entspricht die Ausstattung dem State-of-the-Art. Dem Snapdragon 888 sind 8 GB RAM beigestellt, dazu gibt es 128 oder 256 GB Onboardspeicher. Eine weitere Version kombiniert 12 GB RAM mit 256 GB Speicherplatz. Konnektivitätsseitig gibt es natürlich 5G-Support, dazu WLAN 6 (802.11ax), Bluetooth 5.2, NFC und auch eine Infrarot-Schnittstelle, dank der sich das Handy auch als Universalfernbedienung verwenden lässt. Als kabelgebundener Daten- und Ladeanschluss gibt es eine USB-C-Schnittstelle (USB 2.0).

Auf Benchmarkebene sorgen Prozessor und RAM für einen Vorsprung von 20 bis 30 Prozent in den Punktwertungen im Vergleich zu den Vorjahres-Topmodellen. GSM Arena berichtet in einer wenigen Tage alten Rezension von starker Erhitzung im Grafikstresstest mit 3DMark (Szenario "Wild Life"), nebst Abbrüchen mehrerer Durchläufe. Die deutliche Erwärmung kann bestätigt werden, beim gleichen Stresstest kam es beim STANDARD-Testgerät allerdings nur zu Leistungseinbußen, nicht zu Totalabbrüchen. Dazwischen erschien allerdings auch ein Firmwareupdate (MIUI 12.0.3), das damit zusammenhängen könnte.

Was auch bestätigt werden kann: In realen Testsituationen – etwa dem ausgiebigen Spielen grafisch anspruchsvoller Games wie Asphalt 9 – zeigte das Handy keine Performanceprobleme und auch viel schwächere Wärmeentwicklung. Dass man in realen Anwendungssituationen in Leistungsbedrängnis gerät, dürfte für fast alle Nutzer auszuschließen sein.

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Kamera

Zeit für einen Blick auf die Kamera. Im Prinzip übernimmt Xiaomi hier weitgehend das Setup seines Vorgängers. Die optisch stabilisierte Hauptkamera arbeitet mit Weitwinkel und liefert eine Auflösung von stolzen 108 MP. Dazu gibt es eine Ultraweitwinkelkamera (13 MP) und einen Tiefensensor (2 MP). Die Makrokamera wurde von 2 auf 5 MP aufgerüstet. Die Frontkamera bietet 20 MP auf.

Unter Tageslicht gelingen mit der Hauptkamera sehr gutes Fotos mit hoher Farbtreue und vielen Details. Auch bei gemischten Lichtsituationen (Tageslicht + Kunstlicht) gibt es wenig Grund zur Beschwerde. Selbst in den Randbereichen ist die Bildschärfe hoch und das Bildrauschen angenehm gering. Unter reinem Kunstlicht allerdings tut sich die Kamera mitunter schwer, was gelegentlich zu zu "weichen" Aufnahmen führt.

Man sollte davon absehen, die KI-Optimierung einzuschalten, da diese immer noch recht unberechenbar ist. Meist erhöht sie nur dezent den Kontrast bestimmter Farben. Hin und wieder jedoch schraubt sie diesen übertrieben hoch. Insbesondere bei Grüntönen, egal ob in Landschaften oder Essen, erzeugt die "Nachbesserung" gern nukleares Glühen.

Gemischte Ergebnisse gibt es bei Nachtaufnahmen. Teils hält das Mi 11 hier mit Huaweis Spitzengeräten mit, teils killt das Postprocessing beim Bemühen, Licht ins Dunkel zu bringen und Rauschen zu entfernen, großflächig Details – wie etwa die Asphaltoberfläche von Straßen. Insgesamt darf man mit Nachtfotos aber zufrieden sein.

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Manchen Konkurrenten unterlegen ist das Mi 11 in Sachen Zoom-Fotografie. Die Kamera-App bietet Nahaufnahmen bis zu hundertfachem Vergrößerungsfaktor. Jedoch leiden bereits Fotos im 2x-Zoom unter deutlichen Spuren digitaler Vergrößerungsmechanismen. Darüber hinaus sind Aufnahmen maximal zu Dokumentationszwecken geeignet. Vergrößerung über den 10x-Zoom hinaus können getrost als sinnlos bezeichnet werden. Xiaomi hat sich hier offenbar Anleihen bei Samsung genommen, das letztes Jahr ebenfalls mit hohen Zoomfaktoren geworben hat und damit nicht begeistern konnte. Positiv zu erwähnen ist, dass die Farbwiedergabe über die verschiedenen Zoomstufen hinweg konsistent ist.

Die Makrokamera ist ein spürbares Upgrade zum Vorjahr. Es ist praktisch, mit dem Handy Aufnahmen aus nächster Nähe machen zu können. Allerdings lässt die Detaltiefe immer noch zu wünschen übrig.

Die Selfiecam operiert passabel, die Unterscheidung zwischen Vorder- und Hintergrund im Porträtmodus klappt zuverlässig, wenngleich sie bei sehr feinen Details manchmal ins Trudeln gerät. Standardmäßig ist eine leichte automatische Hautglättung eingeschalten, die sich abdrehen lässt. Das dafür ausgeschaltene Auto-HDR sollte man hingegen aktivieren.

Firmware

Zur Firmware, Android 11 in der hauseigenen Geschmacksrichtung MIUI, gibt es aktuell nichts zu ergänzen. Das Mi 11 soll als eines der ersten Geräte das bereits im Betatest befindliche Update von Version 12 auf 12.5 erhalten. Das System insgesamt ist teilweise klar an Apples iOS angelehnt. Den Zwang, Apps auf die Homescreens verteilen zu müssen, hat man aber zum Glück schon länger abgeschafft. Bereits bei der ersten Inbetriebnahme wird gefragt, ob man einen Appdrawer verwenden und das Handy mit klassischen Navigationstasten oder via Gestensteuerung verwenden will.

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Nett: Viele vorinstallierte Apps des Herstellers lassen sich komplett deinstallieren, in Zukunft sollen es noch mehr werden. Nicht so nett: In machen Standard-Apps wird Werbung eingeblendet. Als systemweite Einstellung kann man für die Anzeigen nur die Personalisierung deaktivieren. Wer sie ganz loswerden will, muss sie in jeder einzelnen betroffenen App separat abdrehen.

Akustik

In akustischen Belangen schlägt sich das Mi 11 sehr gut. Die Lautsprecher liefern – für ein Handy – recht klaren Stereo-Sound, solange man nicht über circa 80 Prozent Lautstärke aufdreht, wo sich leichtes Scheppern einstellt. Der Klang ist Mitten- und Höhenlastig und, wenig überraschend, bassarm. Die Sprachqualität beim Telefonieren ist bei beiden Gesprächsteilnehmern hoch.

Das Gegenüber klingt etwas dumpf, aber dennoch laut und gut verständlich. Man selbst wird ebenso klar und problemlos verstanden. Selbst mit lauterem Hintergrundlärm macht die Rauschunterdrückung souverän kurzen Prozess.

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Akku

Die Akkukapazität ist mit 4600 mAh überdurchschnittlich. Das lässt sich auch über die Laufzeit sagen. Bis zu 1,5 Tage Nutzung sind bei regelmäßigem Gebrauch realistisch. Mit dem beigelegten Ladegerät ist der Energiespeicher auch flott wiederbefüllt. Xiaomi verspricht eine Auffüllung von 0 auf 100 binnen 45 Minuten. Im Testlauf gelang ein Sprung von 37 auf 96 Prozent in 30 Minuten. Gemäß anderen Rezensionen geht sich die Dreiviertelstunde für eine komplette Aufladung nicht ganz aus. Aber auch 50 Minuten können sich durchaus sehen lassen.

Wireless Charging gehört auch zum guten Ton. Hier sind laut Spezifikationszettel bis zu 50 Watt Ladeleistung möglich und eine volle Aufladung in 50 Minuten. Dies wurde nicht getestet, da kein Charging Pad beiliegt, aber nachdem bei verkabelter Aufladung die Laborzeit real nicht ganz hält, dürfte hier der Ladevorgang eher eine Stunde dauern. Das Mi 11 lässt sich auch nutzen, um drahtlos andere Geräte mit bis zu 10 Watt zu laden. Das funktioniert auch, jedoch sollte das Handy dafür nicht auf glattem Untergrund liegen. Denn sonst rutscht es auf seinem Display mitsamt dem aufzuladenden Telefon oder Zubehör auf einer nicht planen Oberfläche recht flott dem Abgrund entgegen.

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Fazit

Das Mi 11 erfüllt auf dem Papier alle Ansprüche, die man so an ein aktuelles Handy-Flaggschiff stellt. Die Performance ist stark, der Akku extrem flott aufladbar, die Kamera ordentlich und der Bildschirm traumhaft gut. Doch ein paar Dinge trüben den Eindruck. Die abgerundeten Displaykanten provozieren zu häufig ungewollte Eingaben. Der Fingerabdruckscanner verweigert zu oft die Erkennung. Die Kamera schwächelt bei Zoom-Fotografie und in manchen Nachtsituationen. Das weit herausstehende Fotografiemodul dürfte auch nicht jedem gefallen. Zumindest ein Teil dieser Probleme könnte in Zukunft durch Firmwareprobleme gemildert werden, aber das bleibt abzuwarten.

In Kombination mit dem Preissprung, muss man Xiaomis neuestem Spitzengerät den Schnäppchenstatus zumindest teilweise aberkennen, wie auch schon seinem Vorgänger. Ja, mit 799 Euro Preisempfehlung und einem "Straßenpreis", der wohl schnell 100 bis 150 Euro niedriger liegen wird, hat man das Niveau von Samsung und Co zwar noch nicht erreicht. Die Abstriche im Vergleich zu diesen Geräten in Kauf zu nehmen, fällt nach der letztjährigen Erhöhung aber doch ein Stück schwerer.

Gemessen am Angebot am Markt ist das Mi 11 immer noch ein guter Kauf, Alternativen mit dem Snapdragon 888 dürften aber nicht lange auf sich warten lassen. Ein potenzieller Kandidat dafür wäre das OnePlus 9, das laut Brancheninsidern heuer schon im März vorgestellt werden könnte. (Georg Pichler, 21.2.2021)

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