In der weltweiten Chipkrise finden sich die Einkäufer der großen Autobauer in einer ungewohnten Situation wieder. Sie gelten bei vielen Halbleiterherstellern nicht mehr als die wichtigsten Kunden, sondern sind in der Hackordnung nach hinten gerutscht. Ihnen bleibt eine schwierige Wahl: Zahlen sie keine höheren Preise und füllen sie ihre Lagerbestände nicht stärker auf, riskieren sie weitere Produktionsausfälle.

Die Coronakrise verdeutlicht die Kluft zwischen der Autobranche, die von ihren Teile-Herstellern seit Jahrzehnten mit Just-In-Time-Lieferungen verwöhnt wird, und den Halbleiterkonzernen, die sich diesem Diktat nicht unterwerfen wollen. "Die Automobil-Branche ist gewohnt, dass die Wertschöpfungskette automotive-zentrisch ist", sagt der deutsche McKinsey-Partner Ondrej Burkacky. "Was man dabei übersehen hat ist, dass Halbleiterhersteller durchaus eine Alternative haben."

Elektronikkonzerne haben Vorrang

Die Chip-Knappheit in der Autobranche hat ihren Ursprung im März 2020: Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise standen weltweit Werke still, Verkaufshäuser waren geschlossen, der Absatz brach ein. Viele Autobauer stornierten deshalb Bestellungen bei ihren Zulieferern. Der Chipmarkt wurde in dieser Zeit aber sowieso von Herstellern von Smartphones und Unterhaltungselektronik leergekauft, deren Produkte boomten.

Diese Erfahrung wirkt nach: Für die Chipfabriken ist das Geschäft mit Elektronikkonzernen lukrativ, denn diese nehmen modernere, teurere Bauteile ab als Autohersteller. Die müssen sich nun, nachdem sie ihre Produktion wieder hochgefahren haben und sich die Nachfrage erholt hat, hinten anstellen. Mehrere große Autobauer mussten ihre Bänder zeitweise stilllegen, weil sie nicht genügend Teile für die Neuwagen haben. Allein bei Renault betrifft das wohl die Produktion von 100.000 Autos in diesem Jahr.

Politik soll helfen

Autobauer rufen in dem Konflikt die Politik zu Hilfe. So sprach sich Audi-Chef Markus Duesmann für eine stärkere Förderung der Halbleiterindustrie und anderer Schlüsseltechnologien in Europa aus. Bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier rennt er damit offene Türen ein: Der CDU-Politiker rechnet mit Investitionen von 50 Milliarden Euro und kündigte an, der Staat werde in etwa 20 bis 40 Prozent des Investitionsvolumens tragen. Volkswagen machte die Zulieferer für die Verwerfungen verantwortlich – schließlich habe der Hersteller die Chipfirmen bereits im April darauf hingewiesen, dass im zweiten Halbjahr eine starke Erholung bevorstehe.

Doch mit diesem Einwand stößt der Autoriese bei den Chipherstellern auf wenig Verständnis: "Vergangenes Jahr mussten wir unsere Belegschaft in Zwangsurlaub schicken und die Kosten für die Überkapazitäten tragen", sagt ein Insider eines europäischen Halbleiterherstellers, der nicht genannt werden wollte. "Wenn uns nun die Autohersteller auffordern, in neue Kapazitäten zu investieren, können sie uns dann bitte auch sagen, wer für diese Überkapazitäten beim nächsten Abschwung zahlt?"

In jedem Elektroauto stecken Halbleiter im Wert von mehreren Hundert Euro. Insgesamt kauft die Autobranche zwar Chips für etwa 40 Milliarden Dollar pro Jahr – das ist jedoch nur ungefähr ein Zehntel des weltweiten Marktes. Allein Apple gebe mehr für die Chips in seinen iPhones aus, rechnet Neil Campling vor, Analyst beim Vermögensverwalter Mirabaud. Dazu kommt, dass die Halbleiter, die in die Autos kommen, vergleichsweise einfach gebaut sind und nur niedrige Margen abwerfen.

Die Chiphersteller investieren deshalb lieber in die ausgefeilteren und teureren Produkte etwa für Smartphones. "Die Zulieferer sagen: Wenn wir das Auto-Zeug weiterhin produzieren, kann es nirgendwo anders hingeliefert werden. Sony oder Apple können es nicht für die Playstation 5 oder das neueste iPhone nutzen", sagt Asif Anwar, Experte bei Strategy Analytics.

Zugleich beklagen sich die Chipkonzerne über mangelndes Verständnis bei den Autofirmen für ihre Betriebsabläufe. "Wir haben einen Anruf von einem Autohersteller erhalten, der verzweifelt nach Teilen gesucht hat", erzählt ein Insider eines anderen europäischen Chipherstellers. "Sie haben gesagt: Warum schiebt ihr keine Nachtschicht ein, um die Produktion zu erhöhen? Was sie nicht verstanden haben ist, dass wir längst mit Nachtschichten arbeiten."

Mehr Kapazitäten

Um den Mangel zu beheben, haben der größte europäische Auto-Chiphersteller Infineon sowie der Zulieferer Bosch bereits Pläne für neue Fabriken ausgearbeitet. Doch eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. Hochspezialisierte Halbleiterhersteller wie Infineon lagern einen Teil ihrer Produktion an die großen Chipfabriken in Taiwan aus. Die asiatischen Werke laufen zwar auf vollen Touren, haben ihre Prioritäten jedoch auf die Unterhaltungselektronik verlagert. Selbst wenn sie ihre Produktion wieder umstellen würden, würde das geraume Zeit dauern.

Die Experten von IHS Markit gehen davon aus, das sich die Lieferzeiten auf 26 Wochen verdoppelt haben und der Tiefpunkt bei den Liefermengen im März erreicht werden wird. Damit sei allein im ersten Quartal die Produktion von einer Million Autos gefährdet. Der Chef des französisch-italienischen Chipherstellers STMicroelectronics, Jean-Marc Chery, geht davon aus, dass die Engpässe bis zur Jahresmitte andauern. Kurzfristig macht er den einstigen Premium-Kunden wenig Hoffnung: "Bis dahin muss die Autobranche mit knappen Beständen arbeiten." (APA, 21.2.2021)