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Joe Biden sprach vergangenen Woche als erster US-Präsident überhaupt bei der Münchner Sicherheitskonferenz – virtuell.

Foto: Reuters/KEVIN LAMARQUE

Seit vielen Jahren beobachtet der US-Politologe Daniel Hamilton die Beziehungen zwischen den USA und Europa. Nach der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) analysiert er im Gespräch mit dem STANDARD, vor welchen Herausforderungen die transatlantischen Beziehungen nach der Trump-Ära stehen. Als einer der angesehensten Kenner dieser Beziehungen appelliert er an die Europäer, das Misstrauen abzulegen.

STANDARD: Wie schätzen Sie das erste große Zusammentreffen europäischer Staatschefs mit dem neuen US-Präsidenten Joe Biden ein?

Hamilton: Es war ein guter Beginn, der Ton wurde festgesetzt. Joe Biden gab eine sehr starke Botschaft ab. Er sprach davon, dass Europa der "Grundstein" jedes globalen Themas sei. Das sind starke Worte von einem US-Präsidenten. Er hat das Bekenntnis genannt, für Impfstoffverteilung Geld auf den Tisch zu legen. Dass John Kerry da war, unterstrich, dass die USA genauso ambitionierte Klimaziele haben wie die EU – vielleicht sogar höhere.

STANDARD: Es gibt viel Kooperationspotenzial. Die USA haben in Aussicht gestellt, dem Atom-Deal mit dem Iran wieder beizutreten.

Hamilton: Das Problem der vergangenen Jahre beim Iran-Deal war nicht der Iran, sondern die Probleme auf beiden Seiten des Atlantiks. Jetzt gibt es diese nicht mehr, das Problem ist nun wieder der Iran. In Zukunft werden wir ein sehr kohärentes transatlantisches Vorgehen sehen. Denn alle Personen, die im ursprünglichen Atomdeal involviert waren, sind nun in der Regierung. Sie kennen die Probleme in- und auswendig. Die Frage ist nun: Wie kann man einen transatlantisches Vorgehen zum Iran errichten, das sich nicht nur um den Atom-Deal dreht, sondern darüber hinausgeht?

STANDARD: Die EU ist oft viel China-freundlicher, als Biden es wohl gerne hätte. Welches Entgegenkommen kann sich Biden erwarten?

Hamilton: Es gibt einen überparteilichen Konsens in den USA, dass China ein fast gleichrangiger Konkurrent ist. Der Unterschied ist, dass die Trump-Regierung probiert hat, nicht bloß China fertigzumachen, sondern auch die Europäer. Der Zugang der Biden-Regierung wird sein, sich mit den Europäern zu beraten und die kollektive Stärke zu nutzen, um mit China umzugehen.

Ich denke, die Biden-Regierung wird die Art und Weise, wie die EU China sieht, akzeptieren. Darauf basierend wird sie eine transatlantische Konversation führen: Wo könnte China möglichweise ein Partner sein – etwa im Klimawandel oder bei der Energiewende. Und wo ist China ein Konkurrent? Hier gib es viele Überschneidungen zwischen den USA und der EU.

Die USA sind weiter der größte Handelspartner der EU, auch wenn darüber in jüngster Zeit andere Informationen kursierten. Die waren aber falsch. Denn nimmt man nicht nur die Zahlen zu Gütern, sondern auch die Dienstleistungen, sind die USA ein viel wichtigerer Handelspartner für Österreich als China.

STANDARD: Was bedeutet der Brexit für die neue US-Regierung?

Hamilton: Wirtschaftlich ist das ein schwieriger Übergang. Es gibt keinen "Exit vom Brexit". Die Briten sind vielleicht draußen, aber weil so viele Details nicht finalisiert sind, werden Verhandlungen ewig weitergehen. In der Außenpolitik haben die EU und Großbritannien aktuell keine Mechanismen zur Zusammenarbeit. Sie behandeln sich sogar unter dem diplomatischen Status eines kleinen afrikanischen Landes.

Die Herausforderung für die USA ist es, wieder das zu werden, was sie immer waren: eine Quelle der Bestätigung in Europa. Europa war nach zwei Weltkriegen viel gewillter, das europäische Experiment aufzubauen, weil die USA einen Schirm der Zusicherung geboten haben, unter dem sich die Europäer wieder ins Gesicht blicken konnten. In den vergangenen vier Jahren sind die USA jedoch eine Quelle der Besorgnis geworden. Die Herausforderung für Biden ist nun, die USA wieder zur Quelle der Bestätigung zu machen. Wenn sie eine diplomatische Rolle spielen können, dann die, Großbritannien und die EU wieder in eine funktionierende Arbeitsgemeinschaft zusammenzubringen.

STANDARD: Die Machtverhältnisse in den USA können sich schnell verändern. Wie können die USA wieder Europas Vertrauen zurückgewinnen?

Hamilton: Das echte Defizit, das wir aktuell transatlantisch haben, ist nicht etwa ein Handelsdefizit. Sondern in den letzten Jahren hat sich ein Vertrauensdefizit aufgebaut. Der Ton, der nun aus Europa kommt, ist enorm wichtig. Wolfgang Ischinger (MSC-Vorsitzender, Anm.) hat das sehr gut auf den Punkt gebracht, als er John F. Kennedy zitierte: "Fragt nicht, was Biden für euch machen kann, sondern fragt, was ihr für Biden machen könnt." In einer Pandemie und einer massiven Rezession wäre es kindisch zu verlangen, dass die USA sich erst beweisen müssten.

STANDARD: In Washington hat man den Ton der Europäer also begrüßt?

Hamilton: Den Ton ja. Es gibt aber ein Misstrauen der Kommentatoren, das nicht angebracht ist. Begriffe wie "strategische Autonomie" oder "digitale Souveränität" sind Begriffe, die Trump verwendet hat. Die EU hat sie erfunden, um auf Trumps Amerika zu reagieren. Doch wenn die EU oder ihre Kommentatoren weiter diese Begriffe verwenden, dann riskieren sie, die letzten Trumpisten in der Biden-Ära zu werden.

STANDARD: Sie meinen, die USA hätten ihre Schritte gesetzt, und nun ist Europa an der Reihe?

Hamilton: Europa hat jeden Anreiz, Biden zu helfen, erfolgreich zu sein. Sonst bekommt man die andere Seite der USA. Die, die man nicht will. (Interview: Anna Sawerthal, 21.2.2021)