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Bis gestern mussten Frauen das Arbeitsjahr 2020 verlängern, um auf das gleiche Einkommen wie Männer zu kommen. Diesen Punkt markiert der Equal Pay Day, der laut Berechnung des Frauennetzwerks Business and Professional Women (BPW) auf Sonntag den 21. Februar fiel. Demnach verdienen Frauen durchschnittlich um 14,3 Prozent weniger als Männer. Umgerechnet sind das 52 Arbeitstage. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Equal Pay Day vier Tage nach vorne gerückt. "Ein kleiner, aber wichtiger Schritt am Weg zu mehr Einkommensgerechtigkeit", schreibt das Netzwerk auf seiner Website.

Als Grundlage für den Vergleich dienen die Jahreseinkommen aller Vollzeitbeschäftigten in Österreich. Je nachdem, ob man bei der Kalkulation der Lohnlücke auch Einkommen aus Teilzeit, die Branche oder etwa Karenzpausen einberechnet, schrumpft oder wächst sie. Die jeweilige Methode ist somit ein Politikum.

So stellt das BPW auf seiner Website der Berechnung des diesjährigen Equal Pay Days unmittelbar die rhetorische Frage voran: "Stell dir vor, du machst genau den gleichen Job wie dein männlicher Kollege, bekommst dafür aber weniger bezahlt?" Das suggeriert, die errechnete Lohnlücke von gut 14 Prozent würde eine Schneise durch ein und denselben Arbeitsplatz ziehen. Das lässt der Vergleich von Vollzeiteinkommen aber nicht zu. Schließlich spielen viele Faktoren zusammen, um Teile des Gender-Pay-Gaps zu verursachen (siehe unten).

Vermessen statt rechtfertigen

Die Lohnlücke mithilfe diverser Statistiken zu erklären heißt natürlich nicht, sie zu rechtfertigen. Dafür zeigt die Analyse, dass die Ursachen für geringere Einkommen von Frauen fast alle beim Thema Rollenbild in der Familie zusammenlaufen. Das Ausmaß der Arbeitszeit oder die Entscheidung, nach der Geburt eines Kindes überhaupt arbeiten zu gehen, die Wahl des Jobs, für den man überqualifiziert ist, der aber fixe Arbeitszeiten erlaubt, damit man pünktlich beim Kindergarten sein kann – all das betrifft auch die Organisation des Alltags mit Nachwuchs.

Wie sich das Angebot der Kinderbetreuung beim Lohnunterschied niederschlägt, zeigt etwa der Bundesländervergleich gepaart mit den jeweiligen Öffnungszeiten der Kindergärten, den das Momentum-Institut (ein linker Thinktank) anstellte:

Demnach liegt Wien mit einem Gender-Pay-Gap von knapp 19 Prozent – bei Voll- und Teilzeitbeschäftigten – an der Landesspitze, abgeschlagen gefolgt von Niederösterreich (36). Schlusslichter sind Vorarlberg (48) und Tirol (42). Das Gefälle bei der Lohnlücke folgt im Großen und Ganzen dem Anteil der Kindergärten, die mehr als sieben bzw. zehn Stunden geöffnet haben.

Das passt zum Befund einer Studie des Ökonomen Josef Zweimüller von der Universität Zürich, wonach der jahrzehntelange Ausbau von Kindergärten in Österreich fast nichts an der Einkommenssituation von Frauen geändert habe. Knackpunkt ist, dass die Zahl der ganztagsbetreuten Kinder im Wesentlichen nicht zunahm.

Anlässlich des Equal Pay Days werden Forderungen nach mehr Lohntransparenz laut. Das ist, wie Erfahrungen aus Island oder Skandinavien zeigen, ein probates Mittel gegen direkte Diskriminierung. Blickt man auf die Datenlage, lässt sich ohne bessere Vereinbarung von Beruf und Familie die Lohnlücke nicht schließen.

Fünf Gründe für den Pay-Gap

1. Mehr Frauen in der Arbeitswelt

Dass Frauen eine zunehmende Rolle im Erwerbsleben spielen, ist eine positive Entwicklung, was die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern betrifft. Doch die Erwerbsquote von Frauen liegt immer noch unter jener von Männern. Gemeint ist der Anteil der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64, der am Arbeitsmarkt aktiv ist. Bei Frauen waren es 69 Prozent im Jahr 2019, bei Männern 78 Prozent. Zwei Jahrzehnte davor war die Lücke fast dreimal so groß.

Statistisch betrachtet hat diese historische Entwicklung eine Kehrseite: Je mehr Frauen arbeiten, desto deutlicher wird sichtbar, dass sie weniger verdienen als Männer. Wenn eine Jungmutter heutzutage in Elternteilzeit ins Berufsleben zurückkehrt, sinkt ihr Gehalt. Hätte sie ihren Beruf gänzlich an den Nagel gehängt, um die Kinder zu betreuen, würde der komplette Lohnausfall jedoch nicht in die Einkommensvergleiche eingehen und der Gender-Pay-Gap sogar sinken.

2. Teilzeit bleibt Frauensache

Den größten Einfluss auf den Gender-Pay-Gap hat das Ausmaß der Beschäftigung: Betrachtet man statt nur der Vollzeitbeschäftigten alle berufstätigen Personen, liegt der Gender-Pay-Gap in Österreich bei über 36 Prozent. Insgesamt war 2019 die Hälfte der Frauen im Alter von 25 bis 49 Jahren teilzeitbeschäftigt, unter Männern waren es lediglich acht Prozent.

Das dämpft in mehrfacher Hinsicht die Einkommen der Betroffenen: Wer seinem Arbeitgeber nicht voll zur Verfügung steht, macht schon gar nicht lukrative Überstunden. Außerdem klettert auf der Karriereleiter eher empor, wer sich voll in den Job knien kann. Dabei geht es nicht nur um die Aufstiegschancen innerhalb der Firma, sondern auch um die Art der Tätigkeit. Besser bezahlte Berufsfelder erfordern mehr Arbeitseinsatz. Wer weiß, dass Betreuungspflichten nicht ins Berufsschema passen, geht in einen Sektor, der planbare Zeiten zulässt, auch wenn die Bezahlung schlechter ist.

3. Größere Lücke bei Besserverdienern

Die Lohnlücke hängt auch von der Berufswahl ab. Geringere Unterschiede gibt es etwa in der öffentlichen Verwaltung oder im Gesundheits- und Sozialwesen, wie das BPW vorrechnet. Über 25 Prozent mehr als Frauen verdienen Männer hingegen in der Finanz, bei Freiberuflern oder in der Industrie. Diese Branchen zahlen generell besser, wodurch der Gender-Pay-Gap insgesamt größer wird.

Im Schnitt werden Mathe- und IT-Skills im Berufsleben besser entlohnt als soziale- oder Textverarbeitungskompetenzen. Dass es einen Männerüberhang bei den Absolventen der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) gibt, prägt die Berufslandschaft. Darüber hinaus arbeiten Frauen häufiger in Jobs, für die sie überqualifiziert sind, wie die Agenda Austria festhält. Auch haben Männer häufiger Stellen mit flexiblen Arbeitszeiten – man denke Monteur statt Verkäuferin –, die mit Aufschlägen zusammenhängen.

4. Zeit bei den Kindern

Kinderkriegen kostet Geld. Wenn es um das Arbeitseinkommen geht, stimmt diese Aussage aber nur für Frauen. Wie eine Studie der Uni Zürich vor zwei Jahren für Österreich feststellte, liegt das Einkommen von Frauen selbst zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes um 51 Prozent unter dem Wert ein Jahr vor der Geburt. Bei Männern schlägt sich die Vaterschaft de facto nicht nieder. Unmittelbar drückt natürlich die Karenzzeit den Verdienst.

Biologisch bedingt bleiben Frauen unmittelbar vor und nach der Geburt zu Hause. Doch auch nach dieser Zeit sind es überwiegend Mütter, die in Karenz gehen. Weniger als ein Fünftel der Väter gehen länger als zwei Monate in Karenz – genaue Daten dazu werden in Österreich nicht erfasst, wie eine Studie des liberalen Thinktanks Agenda Austria bemängelt. Dafür zeigt sich, dass karenzierte Männer im Schnitt älter sind und besser verdienen als Frauen. Männer erleiden ähnlich starke Einkommenseinbußen durch die Karenz, wenn auch auf höherem Niveau. Wie sich die Kinderbetreuung verfestigt, zeigt auch, dass nur 30 Prozent der Mütter älterer Teenager Vollzeit arbeiten.

5. Langlebige Diskriminierung

Forscher, Politiker und Aktivisten streiten beim Gender-Pay-Gap über den sogenannten unerklärten Rest. Damit ist gemeint, was vom Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen übrigbleibt, wenn Faktoren von Arbeitszeit bis Berufswahl herausgerechnet werden. Die im Zuge der Recherchen gefundenen Angaben rangieren zwischen unter sechs Prozent bis etwa 13 Prozent.

Klar ist, es gibt eine direkte Diskriminierung, bei der Frauen für die gleiche Tätigkeit weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Ideologisch scheiden sich die Geister, ob das an Vorurteilen von Arbeitgebern gegenüber Frauen und an Seilschaften liegt, oder Männer sich dank intensiverer Lohnverhandlung über ihre weiblichen Kollegen hieven. So oder so, Effekte einer direkten Diskriminierung verschwinden nicht sofort aus den Lohnstatistiken, selbst wenn ein Wandel in den Köpfen stattfand. Denn auch zu Unrecht vor Jahren Beförderte sitzen heute weiter oben auf der Karriereleiter. (Leopold. Stefan, 22.2.2021)