Das Nachtasyl in der Wiener Stumpergasse.

Foto: Christian Fischer

Wien – Die Corona-Krise hat ein weiteres Opfer gefordert: Das Wiener Kultlokal Nachtasyl sperrt zu. Das gab Besitzer Dan Lestrade via Facebook bekannt. "Da ich das Lokal erst 2020 übernommen habe, habe ich leider absolut keinen Anspruch auf einen Fixkostenzuschuss oder andere Unterstützungen. Ich musste die letzten Monate also großteils aus eigener Tasche finanzieren. Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem die Taschen leer sind", schrieb Lestrade. Feuchte Wände und eine daher notwendige Sanierung dürften auch zum Ende der Bar beigetragen haben. Das an das Nachtasyl angeschlossene Tagasyl wird ebenfalls schließen.

Was vielen, die das Lokal in den letzten Jahren noch erleben durften, vielleicht gar nicht bewusst ist: Mit dem Nachtasyl verliert Wien eines seiner geschichtsträchtigsten Beisln überhaupt. In dem düsteren, stets in Rauchschwaden und den Geruch von Becherovka gehüllten Keller schlummerte nämlich der Geist der Samtenen Revolution.

1987 gegründet

Gegründet wurde das Nachtasyl 1987 von dem tschechischen Exilanten und politischen Aktivisten Jiří Chmel, der es später mehr als 30 Jahre lang führen sollte. Er war Mitglied der tschechischen Bürgerrechtsbewegung Charta 77 und hatte sein Land aus politischen Gründen verlassen. Seine Bar in der Wiener Stumpergasse, gleich beim Westbahnhof, entwickelte sich schließlich zum weit über die Landesgrenzen bekannten Treffpunkt für die tschechische Diaspora. Am Abend der Samtenen Revolution in der Tschechoslowakei, dem 24. November 1989, feierte man den Rücktritt der kommunistischen Parteispitze.

Šárka Pufferová

Einige prominente tschechische Liedermacher wie Karel Kryl, Jaroslav Hudka und Vlastimil Třešňák traten im Nachtasyl auf. Und selbst der Václav Havel, der 1989 zum letzten Präsidenten der Tschechoslowakei und 1993 zum ersten Präsidenten der Tschechischen Republik gewählt wurde, fuhr bei seinem ersten Staatsbesuch in Österreich direkt nach der Hofburg ins Nachtasyl. "Ich selbst musste erst Präsident werden, um das Nachtasyl besuchen zu können," sagte er später in einer ZDF-Dokumentation. Bleibt zu hoffen, dass die Erinnerung an jene revolutionäre Zeit bestehen bleibt wie der Geschmack vom eingelegten Camembert in einer durchzechten Nacht. (jop, APA, 22.2.2021)