Auch eine überparteiliche Frauengruppe wirbt in der Schweiz für ein Ja zum Vollschleierverbot.

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Einmal mehr steht in Europa ein Verbot von Vollschleier zur Debatte. Wie in Frankreich, Belgien, Dänemark und seit 2017 auch in Österreich könnte nun auch in der Schweiz ein Verbot von Burka oder Nikab kommen. Am 7. März können die Schweizer*innen darüber abstimmen, ob man Gesichtsverhüllungen im öffentlichen Raum verbieten soll. Hinter der Initiative für die Volksabstimmung steht das rechtskonservative "Egerkinger Komitee", das laut Selbstbeschreibung "Widerstand gegen die Machtansprüche des politischen Islam in der Schweiz" leisten will. Und wie schon 2009 das Bauverbot von Minaretten, dessen Volksentscheid auch auf eine Initiative des "Egerkinger Komitees" zurückgeht, könnte nun auch das Verhülluntsverbot umgesetzt werden. In zwei Kantonen gilt ein solches schon: im Tessin seit 2013 und im ostschweizerischen St. Gallen seit 2018. Eine wichtige Ausnahme vom angestrebten Verhüllungsverbot in Zeiten einer Pandemie gibt es allerdings: die Verhüllung aus gesundheitlichen Gründen mit Masken.

Der Schweizer Bundesrat empfiehlt die Ablehnung der Initiative, es gebe zu wenige Trägerinnen des Vollschleier in der Schweiz, und wenn, seien es meist Touristinnen. Eine aktuelle Umfrage ergab jedoch, dass viele Schweizer*innen den Vollschleier dennoch als ein Problem sehen. Laut einer ersten repräsentativen Umfrage würden 63 Prozent der Stimmberechtigten für das sogenannte Burkaverbot stimmen und nur 35 Prozent dagegen.

Viele Motive, wenig Religion

Doch welche Erfahrungen haben andere Länder, die bereits ein Verbot von Vollschleiern haben? Eine Langzeitstudie dazu kommt aus Frankreich, die vergangenes Jahr veröffentlich wurde. Die Soziologen Agnès de Féo hat für ihre Untersuchung, die sie unter dem Titel "Derrière le Niqab" (Hinter dem Nikab) als Buch veröffentlich hat, über zehn Jahre die Motive von 200 Frauen untersucht, die eine Vollverschleierung tragen oder getragen haben. Die Soziologin kam zu dem Schluss, dass das seit 2010 geltende Verbot in Frankreich kontraproduktiv war und sogar einen verstärkenden Effekt auf die Radikalisierung von Frauen hatte. In Richtung extreme Islamismus-Szene wurden allerdings nur zwei der befragten 200 Frauen radikalisiert. Außerdem hätten sich beide erst nach Einführung des Vollschleierverbots für den Nikab entschieden. Das Gros der Frauen hätte sich eher "reflexhaft" für einen Vollschleier entschieden. Und: Ausnahmslos alle von Agnès de Féo befragten Frauen wurden in Frankreich geboren und sie kamen zum großen Teil aus Familien mit Migrationsgeschichte, die ihren muslimischen Glauben kaum oder gar nicht praktizieren.

Verbot als "Anreizeffekt"

Bei der Mehrheit der Frauen mit Vollschleier hatte die Motivation wenig mit Religion zu tun. Stattdessen beobachtete de Féo Rebellion gegen die Familie als Motiv, gegen die Gesellschaft oder konkret auch gegen das Verbot von Vollschleier. Der Schweizer "Republik" sagte de Féo kürzlich, dass Vollverschleierung erst als Reaktion auf das Verbot ein Thema wurde, das Verbot habe somit einen "Anreizeffekt" geschaffen. Diese "Widerstandsgeste führte dann auch zur definitiven Identifikation mit dem Salafismus". Viele Frauen würden sich auch ganz offen dazu bekennen, dass die Vollverschleierung eine Reaktion auf das Verbot war.

Erstaunlich groß ist die Zahl an Konvertitinnen, stellte de Féo fest. Die Hälfte der Nikab-Trägerinnen in Frankreich sind Konvertitinnen, obwohl insgesamt nur ein Prozent der muslimischen Bevölkerung in Frankreich Konvertiten und Konvertitinnen sind.

Rückzug oder Aufgabe

Die jahrelange Begleitung der Vollschleier-Trägerinnen zeigte auch ein diverses Bild über die Entwicklung des Verhältnisses der Frauen zu ihrem Vollschleier: Ein Teil trägt nun wegen der Pandemie die gebotenen medizinischen Masken statt des verbotenen Gesichtsschleiers, andere haben den Schleier wegen ständiger Anfeindungen abgelegt, wieder andere haben sich deshalb verstärkt in ihr Zuhause zurückgezogen. Ebenso habe ein Teil der befragten Frauen inzwischen den Vollschleier wie auch den Islam aufgegeben. Es ergibt sich also kein einheitliches Bild von Trägerinnen eines Vollschleiers.

Das rechte "Egerkinger Komitee" formuliert dennoch ein klares Ziel, das das Verbot von Vollschleier bringen sollte, nämlich den Schutz vor Extremismus und nichts Geringeres als die Bewahrung von "Werten wie Freiheit, Gleichberechtigung". (beaha, 22.2.2021)