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Boris Johnsons Exit-Strategie: zuerst Lockerungen bei sozialen Kontakten im Familien- und Freundeskreis und Öffnung von Schulen und Altenheimen.
Foto: Geoff Caddick/Pool via REUTERS

Nach mehr als zweimonatiger Pause sollen englische Kinder und Jugendliche vom 8. März an in ihre Schulen zurückkehren dürfen. Diesen ersten Schritt aus dem aktuellen Corona-Lockdown kündigte Boris Johnson am späten Montagnachmittag im Unterhaus an. Seine Regierung werde vorsichtig vorgehen, sagte der britische Premierminister: "Unsere Priorität war immer die Öffnung der Schulen. Dies ist entscheidend für die Bildung und das Wohlbefinden von Kindern."

Dem Parlament präsentierte der konservative Regierungschef ein 60-seitiges Dokument, das die Schritte aus dem Corona-Lockdown beschreibt. So könnten bis Ende Juni alle Beschränkungen fallen. Dieser Fahrplan war zuvor vom Kabinett abgesegnet worden. Die Londoner Zentralregierung ist für England, den weitaus größten Landesteil des Vereinigten Königreiches, zuständig. Die anderen Regionen – Nordirland, Schottland und Wales – weichen mehr oder weniger stark davon ab.

So durften jüngere schottische und walisische Kinder bereits am Montag wieder in ihre Schulen zurückkehren. Die Regionalregierungen in Cardiff und Edinburgh bevorzugen eine schrittweise Öffnung der Schulen nach Jahrgangsstufen, wie es die Lehrergewerkschaften auch für England fordern. Johnson hingegen hält am Ziel fest, in 14 Tagen auf einen Schlag sämtliche Klassenzimmer zu füllen. Dann soll Kindern auch wieder Mannschaftssport im Freien erlaubt sein.

Schrittweises Vorgehen

Vom selben Tag an, 8. März, an darf je ein namentlich benannter Angehöriger zu Besuchen in Alten- und Pflegeheimen erscheinen, die in den vergangenen Wochen wieder gänzlich abgeriegelt waren. Auch sollen sich dann alle Briten erstmals wieder mit einer Person außerhalb ihres Haushaltes im Park treffen, gemeinsam Kaffee trinken oder ein Picknick einnehmen dürfen; bisher war ausschließlich Sport oder Spaziergang zu zweit ohne Unterbrechung erlaubt.

Mit dem Beginn der Osterferien, am 29. März, fällt ein weiterer Lockerungsschritt zusammen. Dann dürfen Amateurteams wieder gemeinsam Sport machen. Bis zu sechs Menschen dürfen sich in Parks oder Privatgärten versammeln. Hingegen sollen sich Pubs und Restaurant bis Ende April gedulden, ehe sie – zunächst nur in Biergärten und Straßencafés, erst später auch in geschlossenen Räume – Kundschaft bedienen können.

Johnson betonte mehrfach, für wie wichtig er vorsichtiges, nämlich an Daten orientiertes Vorgehen hält. Dies steht in klarem Gegensatz zu dem Schlingerkurs der britischen Regierung im vergangenen Jahr, als Johnson und seine Ministerriege die Bevölkerung in rascher Abfolge mit alarmistischen Katastrophenszenarien und Aufforderungen zu größerer Gelassenheit verwirrten.

Impfungen werden weiter forciert

Man werde sich in den kommenden Wochen an vier Kernfragen orientieren, sagte der Premierminister. Dazu zählt erstens die Fortführung des bisher außergewöhnlich erfolgreichen Impfprogramms. Bis zum Wochenende hatten bereits mehr als 18 Millionen Briten, mehr als ein Viertel der Bevölkerung, mindestens eine Dosis erhalten. Zweitens müsse deutlich werden, dass die Impfung Krankenhauseinweisungen und Todeszahlen deutlich reduziert. Dies scheint eine Studie aus Glasgow zu bestätigen, die am Montag veröffentlicht wurde. Als dritten Test nannte Johnson die Funktionsfähigkeit des Nationalen Gesundheitssystems NHS. Viertens sollen die Wissenschafter die Gefährdung durch neue Mutanten im Auge behalten.

Selbst nach der vorsichtigen Zählung des Gesundheitsministeriums hat die Insel am Wochenende die traurige Zahl von 120.000 Covid-Toten überschritten; auf die Bevölkerung bezogen sind mehr Opfer zu beklagen als in vergleichbar großen Staaten. Seit dem Höchststand Mitte Jänner ist die Kurve der Todesrate ebenso stark gefallen wie die Zahl der Neuinfektionen (zuletzt täglich rund 11.000) und der Krankenhaus-Einweisungen.

Führende Wissenschafter und die Labour-Opposition warnten indes vor überhasteter Öffnung. Hingegen wandte sich der Chef des einflussreichen 1922-Komitees, dem alle konservativen Hinterbänkler angehören, in einem Zeitungsartikel gegen übergroße Zurückhaltung: "Das wäre genauso rücksichtslos gegenüber den Leben vieler Menschen, vor allem von Kindern und jungen Leuten", schrieb Graham Brady. (Sebastian Borger, 22.2.2021)