Der überragende Sieg von Albin Kurtis linksnationalistischer Partei "Selbstbestimmung" (Vetëvendosje) bei der Parlamentswahl mit 48 Prozent der Stimmen bedeutet zweifellos einen Wendepunkt in der turbulenten Geschichte des aus einer umkämpften serbischen Provinz im Jahr 2008 zu einem unabhängigen Staat gewordenen Kosovos. Der als absolut unbestechlich geltende, in Serbien einst eingesperrte Studentenführer (45) wird vor allem von der jungen Generation und von den Auslandskosovaren als ein charismatischer Hoffnungsträger und als Symbol des Bruches mit den seit fast zwei Jahrzehnten dominierenden Netzwerken der Kommandanten aus der UÇK, der Befreiungsarmee gegen Serbien, betrachtet.

Kurtis Triumph schafft auch für die EU und die USA eine neue Ausgangslage, da diese, wie in den anderen Ländern der Balkanregion so auch im Kosovo, die korrupten politischen Eliten (mangels Alternativen) als Partner akzeptiert haben.

Die Vetëvendosje-Partei des Linksnationalisten Albin Kurti hat die Parlamentswahl gewonnen.
Foto: AFP/ARMEND NIMANI

Für den radikalen albanischen Nationalisten ist der von der EU geforderte Kompromiss mit Serbien ohne Anerkennung der Republik Kosovo unvorstellbar. Vorrang habe für ihn nicht der Dialog mit Serbien, sondern Gerechtigkeit, Arbeitsplätze und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, stellte er schon in der Wahlnacht klar.

Dass trotz Versprechungen aus Brüssel die Kosovo-Albaner noch immer keinen freien Zugang zu den Schengen-Ländern haben, trägt ebenso zum Misstrauen gegenüber der Europäischen Union bei wie die Ablehnung der Anerkennung des Kosovos durch fünf EU-Staaten (Griechenland, Rumänien, Spanien, die Slowakei und Zypern).

Vermittler der EU

Die Tatsache, dass der Kosovo-Vermittler der EU der Slowake Miroslav Lajčák und der EU-Außenbeauftragte der Spanier Josep Borrell ist, wirkt nicht gerade vertrauenserweckend für die Kosovaren. Bisher haben übrigens 117 Staaten (zuletzt Israel) Kosovo anerkannt.

Die innenpolitischen Aufgaben in dem Armenhaus Europas sind immens. Das Scheitern der nur mit einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit möglichen Neuwahl des Staatspräsidenten im Mai würde die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen bedeuten. Ein möglicher Freispruch für den in Den Haag wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen der UÇK angeklagten früheren Staatspräsidenten Hashim Thaçi könnte den Rivalen Kurtis neuen Auftrieb geben. Die Kernfrage für die Zukunft bleibt, ob der als entschlossener Erneuerer aufgetretene Kurti bereit und fähig sein könnte, Kompromisse zu schließen.

In der Vergangenheit hat Kurti wiederholt ein Referendum für die Vereinigung Kosovos und Albaniens in einem Staat gefordert. Man darf auch die Stellungnahmen des Ministerpräsidenten Albaniens, Edi Rama, zugunsten engster Beziehungen zwischen den beiden albanischen Staaten nicht übersehen. Es gibt historische Beispiele für die Gefährlichkeit der Nostalgie nach einem möglicherweise mit einem von überwiegend Albanern bewohnten Ostmazedonien abgerundeten "Großalbanien".

Die Sprengkraft des albanischen Nationalismus bleibt mit der Wende im Kosovo ein Unsicherheitsfaktor ersten Ranges für die Nachbarstaaten und in der Balkanpolitik des Westens. (Paul Lendvai, 22.2.2021)