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Bodo Ramelow (65), Deutschlands einziger linker Ministerpräsident, nämlich jener von Thüringen, hat ein tägliches Morgenritual: Um sieben Uhr telefoniert er mit seiner "Chefin". Corona-Politik, Verkehrsprobleme, Wirtschaftshilfen – im Gespräch mit der thüringischen Linken-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow (43) kommt alles auf den Tisch. Dabei gehe es manchmal hoch her, sagt Ramelow. Doch letztendlich ziehen beide am gleichen Strang.

Hennig-Wellsow gilt als Architektin des rot-rot-grünen Bündnisses in Thüringen. Bundesweit bekannt wurde sie am 5. Februar 2020: Aus Zorn darüber, dass sich FDP-Mann Wolfgang Kemmerich mit den AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten hatte wählen lassen, warf sie ihm im Landtag ihren eigentlich für Ramelow bestimmten Blumenstrauß vor die Füße.

Hennig-Wellsow (rechts im Bild) kommt aus Thüringen.
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Nun aber muss sich Ramelow vermutlich auf einen neuen Gesprächspartner oder eine neue Gesprächspartnerin für das früh morgendliche Telefonat einstellen. Denn Hennig-Wellsow kandidiert als Bundeschefin der deutschen Linken. Im Falle ihrer sehr wahrscheinlichen Wahl will sie ihre Ämter in Thüringen abgeben und sich ganz auf das Amt in Berlin konzentrieren.

"Echt Bock drauf"

Dort führen seit acht Jahren Katja Kipping (43) und Bernd Riexinger (65) die Linkspartei. Jetzt sind ihre letzten Tage im Amt angebrochen, und hinter vorgehaltener Hand ist zu hören: Gut, dass es vorbei ist. In Umfragen liegt die Linke nur bei sieben bis acht Prozent. Frischen Wind soll im Bundestagswahljahr ein neues Führungsduo bringen: eben Hennig-Wellsow und Janine Wissler (39). Hennig-Wellsow ist in Thüringen nicht nur Partei-, sondern auch Fraktionschefin. "Ich hab da echt Bock drauf", sagt sie über ihre Kandidatur für die Bundesspitze. Und in den Bundestag möchte sie auch.

Und vielleicht wartet in Berlin ja noch ein ganz anderer Job, einer in der nächsten Bundesregierung. Ein grün-rot-rotes Bündnis im Bund haben viele noch nicht abgeschrieben. Vielmehr finden sie, die Zeit dafür sei jetzt reif.

Eine weitere große Koalition nach der Bundestagswahl am 26. September gilt als eher unwahrscheinlich. Sollte Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz nicht zustande kommen, wäre ein Bündnis aus Grünen, Sozialdemokraten und Linken im Spiel – vorausgesetzt natürlich, es reicht rechnerisch für eine solche linke Mehrheit. Die Erfahrungen der Pragmatikerin Hennig-Wellsow wären dann gefragt.

Doch einem Regierungsprojekt könnte ausgerechnet ihre künftige Partnerin entgegenstehen. Janine Wissler ist die Hoffnungsträgerin vom linken Flügel, der sein Heil keinesfalls in einer Regierung, sondern in harter Oppositionspolitik sieht.

Wissler hat zwar kurz vor ihrer Kandidatur ihre Mitgliedschaft im vom Verfassungsschutz beobachteten Netzwerk Marx21 und bei der Sozialistischen Linken niedergelegt, formuliert aber, in Anlehnung an die Internationale, Folgendes: "Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser und auch kein linker Minister."

Gegen "ein bisschen Krieg"

Sie lehnt auch Auslandseinsätze der Bundeswehr strikt ab und erklärt in einem Interview mit dem Tagesspiegel: "Ich sehe bei Bundeswehreinsätzen, anders als bei anderen Fragen, gar keine Möglichkeit für Kompromisse. Ein bisschen Krieg gibt es nicht." Die Linke werde keiner Regierung beitreten, die Auslandseinsätze beschließe. Hennig-Wellsow hingegen kann sich zumindest UN-Einsätze vorstellen.

Im Gleichklang führen die beiden allerdings den Kampf gegen die AfD. Da sorgte Wissler im hessischen Landtag einmal für große Heiterkeit. In einer aktuellen Stunde zum Thema Meinungsfreiheit nahm sie auf einen fehlerhaften AfD-Antrag Bezug, in dem es um "Fürsorge" ging und erklärte: "Fürsorge schreibt man nicht mit 'h'. Mit Sorge um den Führer hat das nämlich nichts zu tun." (Birgit Baumann aus Berlin, 23.2.2021)