Ein Geheimnis des Erfolgs von Spitzensportlern ist ihre Fähigkeit, sich auf die eigentliche Aufgabe zu konzentrieren, die Fähigkeit, äußere Umstände, die ohnehin nicht zu beeinflussen sind, bestmöglich auszublenden. Diesbezüglich werden die Sportlerinnen und Sportler bei den am Mittwochabend zu eröffnenden 53. Nordischen Weltmeisterschaften für Skisprung, Nordische Kombination und Langlauf in Oberstdorf besonders gefordert sein.

Mario Stecher war ein Nordischer Kombinierer, der diese Fähigkeit hatte. Der Eisenerzer, der bei Weltmeisterschaften sechs und bei Olympischen Spielen vier Medaillen gewann, davon jeweils zweimal Gold in Teambewerben, ist auch als sportlicher Leiter für Skisprung und Kombination im Österreichischen Skiverband (ÖSV) noch auf das Wesentliche konzentriert – den größtmöglichen Erfolg.

Mario Stecher hofft als sportlicher Leiter auf Medaillen in Oberstdorf.
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Die Pandemie, die diese WM im schwer leidenden touristischen Zentrum des Oberallgäu fest im Griff hat, kann aber der 43-Jährige auch nicht ausblenden. Die unmittelbare Vorbereitung auf die WM erforderte doppelten Aufwand, nachdem Tirol durch die Reisebeschränkungen für Trainingskurse zum letzten Feinschliff ausfiel. Die Kombinierer wichen nach Eisenerz aus, die Elite der Springer, die nicht beim Weltcup in Rasnov über die rumänische Kleinschanze ging, übte unter anderem in Planica. "Und die WM selbst absolvieren wir als Pendler aus Vorarlberg", sagt Stecher.

Ein Hin und ein Her

Das ÖSV-Aufgebot, zwölf Frauen und 16 Männer, logiert samt Stab im Kleinwalsertal, das neun Monate nach dem epochalen Besuch von Kanzler Sebastian Kurz erneut vom äußersten Rand in den Mittelpunkt des nationalen Interesses rückt. Für Trainingseinheiten und Wettkämpfe geht es in Kleinbussen von Riezlern nach Oberstdorf – tour-retour 40 Kilometer. Zahllose Tests erspart sich der ÖSV so nicht, für die Erteilung und den Erhalt der Akkreditierung aller WM-Teilnehmer sind in Bayern absolvierte, natürlich negative PCR-Tests vorgeschrieben, doch die folgenden Antigentests alle zwei Tage können im Teamquartier genommen werden. Dort logiert und diniert das Aufgebot in kleinstmöglichen Gruppen.

Unter diesen Umständen sind Leistungen auch in absoluter Hochform nicht leicht abzurufen, allein, nur wenige im Aufgebot des ÖSV pendeln gemäß den im Weltcup gezeigten Leistungen als ausgesprochene Medaillenfavoritinnen und -favoriten nach Oberstdorf ein.

Stecher vermeinte, bei den Springern einen Aufwärtstrend wahrgenommen zu haben, die nackten Fakten raten zur Bescheidenheit. In der bisherigen Saison gab es in Einzelspringen gerade drei Podestplätze ohne Sieg. Dazu kamen zwei Mannschaftserfolge, zum Saisonauftakt in Wisla und Mitte Jänner in Zakopane. Die Tatsache, dass nahezu die gesamte Einsergarnitur der Springer samt Chefcoach Andreas Widhölzl bald nach Saisonbeginn an Corona erkrankte, "kann keine Ausrede sein", sagt Stecher.

Die Schanzen harren zunächst der Springerinnen. Am Donnerstag steigt der erste Damenbewerb.
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Eine mögliche Erklärung für die Inkonstanz von Stefan Kraft und Kollegen ist der gestörte Saisonverlauf aber sicher. "Die Beeinträchtigung des vegetativen Nervensystems kann schon eine Rolle spielen", konzediert Stecher. Die Balance zwischen Athletik und Flugfähigkeit ist schnell einmal schwer beeinträchtigt. Das Selbstvertrauen ist aber auch eher beim weiblichen österreichischen Skisprung daheim. Da sind Chefcoach Harald Rodlauer und Sportchef Stecher allerdings eher bemüht, der dreifachen Saisonsiegerin Marita Kramer und deren Kolleginnen Druck zu nehmen. "Es ist nicht abzustreiten, dass die Konkurrenz im Verlauf der Saison aufgeholt hat. Da stehen jetzt schon einige auf einer Stufe mit uns", sagt Stecher. Dass Kramer zuletzt durch eine Disqualifikation in Hinzenbach und einen mutmaßlich falsch positiven Corona-Test in Rasnov dreimal im Weltcup nicht punkten konnte, hat die Stimmung auch nicht gerade gehoben. Immerhin ist Kramers Back-up, angeführt von Daniela Iraschko-Stolz, stark.

Intime Sachkenntnisse

Den tiefsten Einblick hat Stecher naturgemäß bei den Kombinierern. Aber auch ohne intime Sachkenntnis ist klar, dass die Mannschaft von Chefcoach Christoph Eugen durch gesundheitliche Probleme (Bernhard Gruber) und schwere Verletzungen (Franz-Josef Rehrl) beeinträchtigt ist. "Bei optimalen Wettkämpfen ist aber auch in der Kombination etwas drinnen", sagt Stecher. Solch optimale Wettkämpfe bescherten Johannes Lamparter in der bisherigen Saison einen zweiten und Lukas Greiderer einen dritten Platz. Zusammen standen sie auch nach einem Teamsprint einmal als Zweitbeste auf dem Podest.

Der einzige Wettkampf der Kombiniererinnen vor deren WM-Premiere ließ übrigens nur den Schluss zu, dass Sigrun Kleinrath und Lisa Hirner nicht weiter weg von der Musik sind, als es die Plätze fünf und sechs nahelegen.

Gerade aus eigener Erfahrung weiß Stecher, dass Teamleistungen Österreichs Bilanz bei nordischen Weltmeisterschaften erheblich schönen können. Allein die Springerinnen und Springer haben drei Teambewerbe, die Kombinierer zwei. Auch diesbezüglich chancenlos ist das Langlauf-Aufgebot, das nicht Stecher, sondern Christian Schwarz als sportlicher Leiter schwer geprüft verantwortet. Eine Damenstaffel ist schon deshalb nicht möglich, weil nur drei Athletinnen nominiert sind, von denen Teresa Stadlober als Solitär in der erweiterten Weltspitze läuft. In dieser Saison war für die 28-Jährige das Podest aber erst einmal, im Verlauf der Tour de Ski, in Sichtweite. Allerdings fehlten bei dieser Gelegenheit die Norwegerinnen.

Ein Auf und ein Ab

Österreichs männlicher Langlauf unterzog sich nach dem Dopingdesaster bei der Heim-WM in Seefeld ("Operation Aderlass") notgedrungen einer Verjüngungskur. Das für Oberstdorf nominierte Quartett ist im Schnitt 22 Jahre alt, der ehemalige Kombinierer Mika Vermeulen (21) hat zumindest schon solo zart im Weltcup gepunktet.

In der Loipe liegt, wenn nicht davor gesprungen wird, jedenfalls keine Medaille für Österreich. "Fünf bis sechs sollten möglich sein", sagt Mario Stecher. In Seefeld vor zwei Jahren waren es deren neun ohne Gold, davon fünf in Teambewerben.

Das österreichische Ergebnis bei der dritten WM in Oberstdorf, das weiß Stecher, könnte näher an den ebenda erzielten Resultaten als am besten der Geschichte liegen. 1987 gab es in Oberstdorf einmal Gold und zweimal Bronze, 2005 je zweimal Gold und Bronze.

2011 in Oslo schauten neben einmal Bronze und zweimal Silber gleich sieben Goldene heraus. Zwei davon besorgte Stecher als Schlussläufer der Kombinierer-Teams. Zweimal sprintete der Steirer damals den Deutschen Tino Edelmann auf den letzten Metern nieder – unter Ausblendung äußerer Umstände wie, man vermag es sich aktuell gar nicht mehr vorzustellen, zigtausender enthusiasmierter Zuseher am Holmenkollen. Und eben völlig auf die eigentliche Aufgabe konzentriert. (Sigi Lützow, 23.2.2021)