Richard Hatchett sieht mehrere Argumente für Impfgerechtigkeit. Diese liegt für ihn letztlich auch im Interesse der reichen Länder.

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Das Covax-Programm hätte die ganze Welt mit Corona-Impfstoffen versorgen sollen. Über einen zentralen Verteilungsmechanismus sollten diese gerecht an alle Länder verteilt werden. So war der Plan, als das Programm im April vergangenen Jahres ins Leben gerufen wurde. Doch dann sicherten sich reichere Länder ihre Impfdosen in bilateralen Deals mit Pharmafirmen und verzichteten teilweise auf ihren Anteil an Covax-Impfstoffen. Trotzdem warten heute noch viele ärmere Länder auf ihre Dosen. Richard Hatchett ist CEO der Coalition of Epidemic Preparedness Innovations (Cepi), einer Forschungsallianz, die Impfstoffe erforscht und entwickelt, damit Epidemien und Pandemien schneller gestoppt werden können. Hatchett hat das Covax-Programm miterfunden, das heute gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Impfallianz Gavi betrieben wird.

STANDARD: Herr Hatchett, würden Sie sagen, dass Covax aufgrund von Impfstoffnationalismus gescheitert ist?

Hatchett: Nein. Das Programm wurde so konzipiert, dass Impfstoffe gerecht verteilt werden, auch wenn nebenbei bilaterale Geschäfte stattfinden. Covax wird in diesem Jahr Zugang zu zwei Milliarden Impfdosen haben. Ich würde also nicht sagen, dass Covax gescheitert ist. Dennoch hat sich die Zahl der bilateralen Verträge vervielfacht.

STANDARD: Welche Aufgaben übernimmt die Coalition of Epidemic Preparedness Innovations dabei, und wie wird mit Partnerländern zusammengearbeitet?

Hatchett: Cepi unterstützt die Erforschung und Entwicklung von neuen Impfstoffen, die auch über Covax verteilt werden. Wir wurden erst vor vier Jahren nach der Ebola-Epidemie ins Leben gerufen, um Impfstoffe gegen ansteckende Krankheiten zu entwickeln. Wir haben früh auf die Pandemie reagiert und bereits am 23. Jänner 2020 in die ersten Impfstoffkandidaten investiert. Heute haben wir ein Portfolio an elf Impfstoffen, in deren Entwicklung wir investiert haben, darunter auch die der Firmen Moderna, Astra Zeneca und Novavax. Mit unseren größten Partnern haben wir Zugangsverpflichtungen und vorgezogene Kaufverträge abgeschlossen, sodass Covax ein Vorkaufsrecht auf bis zu zwei Milliarden Impfdosen hat.

STANDARD: Bisher haben ärmere Länder, die sich auf Covax verlassen, jedoch keine Impfstoffe bekommen, während andere Länder bereits im Dezember anfingen zu impfen. Wann startet das Covax-Programm?

Hatchett: Wir glauben, dass noch in diesem Monat die ersten Covax-Dosen ausgeliefert werden. Die Auslieferung wird von der Impfallianz Gavi übernommen. Es gibt also eine Lücke von etwas mehr als zwei Monaten zwischen den ersten Dosen in den einkommensstarken Ländern und dem Beginn der Auslieferung an den Rest der Welt. Natürlich wünschten wir, dass diese Lücke kleiner wäre. Jedoch ist sie historisch gesehen immer noch sehr klein. Die antiretrovirale Therapie für HIV stand Ländern mit hohem Einkommen in den späten 1990er-Jahren zur Verfügung. Ein ganzes Jahrzehnt danach starben Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen weiterhin an HIV, bevor diese Medikamente weltweit verfügbar wurden.

STANDARD: Warten ärmere Länder auch auf ihre Impfstoffe, weil reichere Länder diese aufgekauft haben?

Hatchett: Nein, dafür gibt es andere Gründe. Es musste sichergestellt werden, dass Länder darauf vorbereitet sind, den Impfstoff zu erhalten und einzusetzen. Die Impfstoffe von Moderna und Pfizer nutzen eine brandneue Technologie, und die Infrastruktur für ihren Einsatz war nicht überall vorhanden. Auch gehören diese beiden Impfstoffe zu den teuersten auf dem Markt. Angesichts der uns zur Verfügung stehenden Mittel konnten wir uns nur begrenzte Mengen des Pfizer-Impfstoffs sichern. Mit Moderna sind wir noch in Verhandlungen. Ein weiterer Punkt, der oft unterschätzt wird, ist die Klärung von Haftungsfragen. Wir sind dabei, ein umfassendes System zu entwickeln, das sowohl den Ländern als auch den Impfstoffherstellern einheitlichen Schutz und Deckung bietet. Das war ein sehr komplizierter Prozess.

STANDARD: Welche Folgen hat es, dass Menschen in ärmeren Ländern keinen Zugang zu Impfstoffen erhalten?

Hatchett: Es gibt drei Argumente für Impfgerechtigkeit. Das erste ist ein ethisches: weil es richtig ist. Das zweite Argument ist ein aufgeklärtes Eigeninteresse: Wenn wir die Pandemie nicht beenden, werden mehr Menschen sterben, und der wirtschaftliche Schaden wird tiefer und langwieriger sein. Es gibt eine Reihe von Studien, die zeigen, dass ein Land selbst dann, wenn es in der Lage wäre, seine Bevölkerung vollständig zu impfen, wirtschaftlichen Schaden erleiden würde, weil der internationale Handel betroffen wäre.

Die Mutationen liefern ein drittes Argument für Impfgerechtigkeit: Je mehr das Virus zirkuliert, desto mehr Möglichkeiten hat es zu mutieren. Und wenn es in einer Weise mutiert, die unsere Impfstoffe und Gegenmaßnahmen unbrauchbar macht, wären selbst Länder, die nur auf sich selbst aufpassen, gefährdet. Der einzige Weg, dies zu verhindern, ist, die Gegenmaßnahmen, die wir haben, global und gerecht zu verteilen. (Christina zur Nedden, 23.2.2021)