Franz Allerberger, in der Ages für öffentliche Gesundheit zuständig, befürchtet einen weiteren Gipfel an Erkrankungen in etwa vier Wochen, der das Gesundheitssystem an seine Kapazitätsgrenzen bringen könnte. Öffnungen seien dennoch nicht ausgeschlossen.

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Das sieht auch Herwig Kollaritsch, Facharzt für spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin und wie Allerberger Berater der Corona-Taskforce, so: Mit Eingangstests könne man auch eine Öffnung von Kultur-, Gastronomie- und Sporteinrichtungen andenken. Allerdings müsse man die epidemiologische Entwicklung noch zwei Wochen genau beobachten.

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Wie weitermachen? Mit dieser Frage beschäftigte sich am Montagabend der Gesundheitsausschuss des Parlaments.

Was sicher ist: Die Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in den abgelaufenen sieben Tagen je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner, ist in den vergangenen beiden Wochen leicht gestiegen: Mit Stand Montag lag sie laut der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) bei 132 (exakt 131,9), am 7. Februar noch bei 104,7. Am höchsten ist die Zahl in Niederösterreich (159,7), es folgen Kärnten (149,7), das Burgenland (144,3) und die Steiermark (143,9). Am niedrigsten ist der Wert in Vorarlberg (56,9) und Tirol (80,5).

Vor diesem Hintergrund werden am Mittwoch sowohl die gesetzlichen Regelungen zum Homeoffice als auch jene für die Gratis-Corona-Tests in den Apotheken vom Nationalrat beschlossen. In Form von Abänderungsanträgen zu bereits eingebrachten "Trägerraketen" haben der Gesundheits- und der Finanzausschuss am Montag eine Reihe neuer Detailbestimmungen rund um die Pandemiemaßnahmen auf den Weg gebracht.

Für die Opposition war das Anlass zur Kritik: Man sei erst kurz vor dem Wochenende über die tatsächlichen Neuerungen informiert worden, kritisierten SPÖ, FPÖ und Neos einmal mehr die türkis-grüne Arbeitsweise.

Welche Gesetze geändert werden

Vom Gesundheitsausschuss auf den Weg geschickt wurde eine Novellierung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, die die kostenlose Abgabe von Antigentests durch Apotheken ermöglicht. Jeder Versicherte, der vor dem 1. Jänner 2006 geboren ist, bekommt künftig pro Monat eine Packung mit fünf "Nasenbohrtests" für daheim. Die Apotheken erhalten dafür eine Pauschale von jeweils zehn Euro. Außerdem wird jetzt auch gesetzlich die seit 8. Jänner praktizierte Möglichkeit von Corona-Tests in den Apotheken (die dafür 25 Euro bekommen) fixiert.

Geändert werden einmal mehr das Epidemie- und das Covid-19-Maßnahmengesetz. Diesmal wird damit die Ausstellung von Impfnachweisen und Genesungsbescheinigungen ermöglicht. Sie kann künftig jeder (selbst oder über einen Bevollmächtigen) elektronisch über das Gesundheitsportal anfordern oder ausdrucken oder sich von der Bezirksverwaltungsbehörde ausdrucken lassen.

Mehr Berufsgruppen dürfen Abstriche nehmen

Im Sinn der Teststrategie wird der Kreis jener erweitert, die im Rahmen von Screenings Tests abnehmen. So können künftig auch der gehobene Dienst der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe, Hebammen und Kardiotechniker ohne ärztliche Anordnung Abstriche aus Nase und Rachen machen. Pflegeassistenten, Masseure und in Sozialberufen Tätige dürfen nur auf Anordnung und unter Aufsicht testen, ebenso Sanitäter in Zusammenarbeit etwa mit Betriebsärzten.

Die Kostenzuschüsse für die Corona-Tests in Betrieben – zehn Euro pro Test – machte der Finanzausschuss plenarreif. Das bekannte Vorhaben wurde durch eine Abänderung erweitert: Betriebe werden auch Angehörige, Kunden und Personen aus der Umgebung testen dürfen. Ebenfalls vom Ausschuss einstimmig beschlossen wurde der steuerrechtliche Teil des Homeoffice-Pakets – mit einem Anrechnungsbetrag von bis zu 300 Euro jährlich für ergonomische Einrichtung und der Möglichkeit einer Homeoffice-Pauschale. Einige Corona-Sonderregelungen werden verlängert, so jene zur Pendlerpauschale oder die Steuerbefreiung von Ethanol zur Herstellung von Desinfektionsmitteln.

Peak in vier Wochen möglich

Im Gesundheitssausschuss fanden nicht nur Beratungen der Parteien, sondern auch ein Expertenhearing zu den seit Pandemiebeginn gesetzten Maßnahmen und zur aktuelle Lage statt. Der Ages-Abteilungsleiter Franz Allerberger, der Tropenmediziner Herwig Kollaritsch, die Allgemeinmedizinerin und Angehörige des Beraterstabs des Gesundheitsministeriums, Susanne Rabady, der Public-Health-Experte Martin Sprenger und der Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres standen den Abgeordneten Rede und Antwort.

Allerberger, Leiter der Abteilung "Öffentliche Gesundheit" der Ages, befürchtet einen weiteren Gipfel an Erkrankungen in etwa vier Wochen, der das Gesundheitssystem an seine Kapazitätsgrenzen bringen könnte. Der Grund: Wegen der ansteckenderen Virusvarianten steigt die Sieben-Tage-Inzidenz leicht, die Effekte der Impfung sind gleichzeitig noch gering. Man müsse den Mut haben, ein gewisses Restrisiko bewusst in Kauf zu nehmen, sagte Allerberger. Das Wirtschaftsleben und das Bildungssystem lahmzulegen sei nicht erforderlich, auch Öffnungen der Gastronomie hält er für möglich.

"Verschlafenes" Contact-Tracing

Herwig Kollaritsch, Facharzt für spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin, sprach von einer vorbildlichen ersten Reaktion auf die Pandemie. Der erste Lockdown sei zeitgerecht und rigoros verhängt worden. Die Kommunikation und Akzeptanz in der Bevölkerung hätten anfangs gut funktioniert. Auch die nun durch die Eingangstests verstärkte Testoffensive begrüßt der Facharzt, der aber nicht voll des Lobes war. So bezeichnete er es als Versäumnis, dass anfangs nicht ausreichend Schutzausrüstung vorhanden gewesen sei. Das Contact-Tracing habe man "verschlafen". Österreich hole hier zwar auf, sei aber nach wie vor nicht an der internationalen Spitze. Der zweite Lockdown im November sei außerdem zwei Wochen zu spät verhängt worden. Auch dass die Corona-Ampel keine Kompetenzen zur Umsetzung regionaler Maßnahmen erhielt, kritisierte Kollaritsch.

Auch der Facharzt steht weiteren Öffnungen nicht negativ gegenüber. Mit Eingangstests könne man auch eine Öffnung von Kultur-, Gastronomie- und Sporteinrichtungen andenken. Allerdings müsse man die epidemiologische Entwicklung noch zwei Wochen genau beobachten.

Niedergelassene Ärzte kommen an Grenzen

Susanne Rabady, Landärztin und Mitglied des Beraterstabs der Corona-Taskforce im Gesundheitsministerium, brachte die Langzeitfolgen zur Sprache, die immer sichtbarer würden: Nach den zehn Tagen vorgeschriebener Quarantäne seien etwa 60 Prozent der Patientinnen und Patienten noch nicht beschwerdefrei. Langzeitfolgen hätten außerdem nichts mit dem Alter oder Vorerkrankungen zu tun und nur wenig mit der Schwere des Verlaufs. Insgesamt helfe nur eine Prävention der Infektion. Die Erfahrung mit Covid-Patienten zeige, dass es vielen auch bei milden Verläufen ziemlich schlecht gehe. Ihre Betreuung durch niedergelassene Ärzte sei schwierig, aber machbar. Ab einer gewissen Anzahl an Erkrankten sei eine ausreichende ambulante Versorgung allerdings nicht mehr möglich. Radaby bedauerte zudem, dass sich noch immer viele Menschen bei anderen Krankheiten nicht in die Praxen trauen würden. "Kranke Menschen gehören zum Arzt."

Zu wenig Forschung für Medikamente

Die Ärztekammer habe bereits nach dem ersten Lockdown in Inseraten zu Vorsorgeuntersuchungen aufgerufen, sagte deren Präsident Szekeres. Die Spitäler und Ordinationen seien für die Patientinnen und Patienten sicher. Szekeres sprach dann über die Behandlung jener Menschen, die schwere Verläufe von Covid-19 durchmachen. Österreich habe im vergangenen Jahr viel gelernt. Nicht jedoch, wie man diese schweren Verläufe verhindern könne. Szekeres plädierte deswegen für mehr internationale Zusammenarbeit und Forschung zu Medikamenten. Er nutzte seinen Auftritt auch für einen Appell an die Politik, alles zu versuchen, um mehr Impfstoff zu beschaffen. Wie auch andere Experten geht er davon aus, dass die Impfung jährlich wiederholt werden muss.

Kritik an "Message-Control"

Die soziale Seite der Pandemie thematisierte der Public-Health-Experte Sprenger: Das Infektionsrisiko sei bei Menschen in prekären Wohn- oder Arbeitsverhältnissen höher, zudem seien diese mehr von Arbeitslosigkeit, Delogierung und Armut bedroht. Ebenso sei Bildung eine der wichtigsten Gesundheitsdeterminanten. Sprenger kritisierte, dass keine ausreichende Datenbasis geschaffen worden sei und dass viele Vorschläge aus der Wissenschaft ungehört blieben. Zudem schwäche "Message-Control" ein gemeinsames Lernen im Umgang mit der Pandemie und das Vertrauen der Bevölkerung. Sprenger forderte vor den Politikerinnen und Politikern mehr Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen: Die Wirkung müsse höher sein als die Nebenwirkung. (APA, lhag, 23.2.2021)