Im Wurstelprater lernte am 28. August ein 17-jähriger Angeklagter zwei Mädchen kennen. Man betrank sich gemeinsam – als eine 13-Jährige bewusstlos wurde, missbrauchte er sie.

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Wien – Es gibt Gerichtsverfahren, die einen beinahe rat- und hilflos zurücklassen. Der unter dem Vorsitz von Katharina Adegbite-Lewy von einem Schöffengericht geführte Prozess gegen den 17 Jahre alten H. um sexuellen Missbrauch einer Wehrlosen sowie sexuelle Belästigung von sechs Frauen ist einer davon. Der Teenager scheint auf einem schlechten Weg zu sein und zeigt wenig Bereitschaft, sich helfen zu lassen.

In welche Richtung die Verhandlung geht, lässt sich schon vor deren offiziellem Beginn erahnen. Die Vorsitzende fragt Verteidigerin Anita Schattner, ob die erziehungsberechtigte Mutter des Angeklagten auch hier ist. "Ich will nicht, dass sie reinkommt", mault der großgewachsene H., der zunächst seine Haube und seine Daunenjacke nicht ablegt. Die Dolmetscherin übersetzt der Mutter, die Tränen in den Augen hat, die Sachlage, sie wartet schlussendlich vor dem Saal, ihre Rechte werden von Schattner übernommen.

Beeinträchtigt wirkender Angeklagter

Der Angeklagte selbst macht einen beeinträchtigten Eindruck – er antwortet einsilbig, mit Verzögerung, ist unaufmerksam; als er vor seiner Verteidigerin sitzt, bemerkt man, dass seine Pupillen gelegentlich nach oben drehen. Auf Frage der Vorsitzenden beteuert er aber, keine Rauschmittel konsumiert zu haben.

Das war am 21. August entlang des Donaukanals und eine Woche später im Prater offenbar anders. Wie auch schon in den Jahren davor, wie aus den Jugenderhebungen hervorgeht. Geboren wurde der Österreicher in Ägypten, als er sechs Monate alt war, kam er mit seiner Mutter nach Österreich. Hier kamen zwei Halbgeschwister dazu, zu viert lebte man in Wien-Brigittenau auf 42 Quadratmetern.

Die Mittelschule brach er ab, seitdem macht er – in eigenem Wort – "nix". H. schläft bis Mittag, spielt dann drei Stunden auf der Playstation "Grand Theft Auto", dann telefoniert er mit Freunden und sieht fern. Zweimal war er bereits in einem Krisenzentrum untergebracht, einmal mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus, auch Cannabiskonsum gibt es. Rund 1.500 Euro offene Verwaltungsstrafen wegen Übertretung der Covid-Maßnahmen-Verordnung hat er in zehn Monaten gesammelt. Zwei Beziehungen hatte er bisher, sie dauerten jeweils rund zwei Wochen, an die erste könne er sich gar nicht mehr erinnern, sagte er zur Jugendgerichtshilfe.

Sechs Passantinnen betatscht

Zur Vorsitzenden sagt er, wie erwähnt, weniger. Adegbite-Lewy schlägt ihm irgendwann vor, seine Aussagen bei der Polizei zu verlesen. So erfährt man, dass er am 21. August mit einem Freund betrunken am Donaukanal war, wo er sechs Mädchen und Frauen am Gesäß und den Brüsten betatschte. "Stimmt das, oder stimmt das nicht?", fragt die Vorsitzende. "Ja", lautet die Antwort. "Das ist eine Oder-Frage, die kann man nicht mit Ja beantworten." – "Ja, es stimmt."

Er konnte vor Ort von der Polizei erwischt werden, derselbe Beamte bekam es sieben Tage später wieder mit H. zu tun. Am 28. August war der 17-Jährige mit einem anderen Freund zwischen 22 und 23 Uhr im Prater unterwegs, beim Tagada sprach er ein Mädchen an. Die war mit einer Freundin dort, die sich nach H.s Darstellung als 15-Jährige ausgab, in Wahrheit aber erst 13 Jahre alt war. "Was haben Sie gesagt zu den Mädchen?", will die Vorsitzende wissen. "Spazieren. Ob sie spazieren gehen wollen." – "Bei der Polizei haben Sie gesagt, Sie haben die beiden auf Alkohol eingeladen." – "Ja, die wollten das."

Opfer trank erstmals Alkohol

Die 13-Jährige hatte allerdings zuvor noch nie Alkohol getrunken. Das von den Burschen organisierte Fanta-Wodka-Gemisch hatte daher zur Folge, dass die Unmündige bewusstlos wurde. Getrunken hatte man im Innenhof eines nahen Hotels, H. versuchte das Mädchen zunächst aufzuwecken, legte es dann auf eine Bank und betatschte die Ohnmächtige über der Kleidung. Zeugen verständigten die Einsatzkräfte, einer der Polizisten erkannte eben H. wieder. In seiner Vernehmung sagte der Teenager damals als Motiv: "Ich war notgeil." Er habe die Chance genutzt, ein Mädchen zu berühren, da er sich schwer tue, welche kennenzulernen.

"Wie soll es denn jetzt weitergehen in Zukunft?", fragt daher die Staatsanwältin. "Wie soll das denn funktionieren mit den Frauen?" – "Ich weiß nicht", lautet die knappe Antwort des Angeklagten. Monika Ohmann, Privatbeteiligtenvertreterin der 13-Jährigen, fordert 500 Euro Entschädigung für ihre Mandantin. H. ist zunächst nicht ganz klar, was damit gemeint ist. Beisitzer Georg Allmayer erklärt es: "Sehen Sie ein, dass Sie dem Opfer was zahlen müssen?" – "Nein", sieht der Angeklagte keinen Grund dafür.

Schlussworte als Versprechen

Die – von den fast obligaten technischen Schwierigkeiten begleitete – per Video übertragene Vernehmung der Opfer im Nebenraum verfolgt H. kaum. Meistens sieht er nur kurz hin, äußerliche Reaktion zeigt er keine. Als Verteidigerin Schattner den Angeklagten fragt, ob er mit Bewährungshilfe und einer Sexualtherapie einverstanden wäre, wird er bockig: "Muss ich?", stellt er als Gegenfrage. Im Vorfeld war er noch einverstanden, dass ein Mitarbeiter des Vereins Limes den Prozess beobachtet. H.s Schlussworte sind ein Versprechen: "Dass es nicht mehr vorkommt."

Das Gericht verurteilt ihn zu sechs Monaten bedingt, zusätzlich muss er Bewährungshilfe in Anspruch nehmen und innerhalb eines Monats eine Therapie bei Limes beginnen. Die 13-Jährige bekommt 500 Euro zugesprochen. H.s Mutter, die bei der Urteilsverkündung im Saal ist, fragt via Dolmetscherin, wie ihr Sohn das Geld zahlen solle, da er keinen Job habe und sie von Sozialhilfe lebe. "Das wird der Bewährungshelfer mit ihm besprechen", erwidert die Vorsitzende. (Michael Möseneder, 23.2.2020)