In Tiflis protestierten am Dienstag Anhänger der Opposition gegen die Verhaftung von Nikanor Melija.

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Spezialeinheiten der Polizei haben am Dienstagmorgen in der georgischen Hauptstadt Tiflis die Parteizentrale der "Vereinten Nationalen Bewegung" gestürmt und den Parteivorsitzenden Nikanor Melija festgenommen. Bei der Aktion setzten die Sicherheitskräfte Tränengas ein. Melija, der sich zuvor tagelang mit Anhängern im Gebäude verbarrikadiert hatte, wurde anschließend im Panzerfahrzeug fortgebracht.

Im Kern geht es um die Ausrichtung des Landes und den seit Jahren andauernden Konflikt zwischen Anhängern von Ex-Präsident Michail Saakaschwili und denen von Milliardär und Ex-Premier Bidsina Iwanischwili. Das Land droht dabei zwischen den Interessen der Großmächte USA und Russland aufgerieben zu werden.

Saakaschwili, 2003 im Zuge der sogenannten Rosenrevolution an die Macht gekommen, galt zunächst als Hoffnungsträger, der die grassierende Korruption im Land bekämpfte, eine Annäherung Georgiens an den Westen und die wirtschaftliche Modernisierung forcierte. Sein Image als Demokrat bekam wegen des harten Vorgehens gegen Demonstranten 2007 und der zeitweisen Schließung des oppositionellen TV-Senders Imedi starke Kratzer. Zu weiterer Unzufriedenheit führte die Niederlage Georgiens im Fünftagekrieg gegen Russland um die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien, die Saakaschwili mitverschuldete, weil er sich zum Angriff auf Südossetien provozieren ließ.

Verhältnis zu Moskau

Sein Gegenspieler Iwanischwili wird zuweilen wegen der Herkunft seines Kapitals, das er im russischen Stahlsektor gemacht hat, als prorussisch charakterisiert, was allerdings nur zum Teil stimmt. Grundsätzlich ist Iwanischwili auch für die Annäherung an den Westen, will aber zugleich das angespannte Verhältnis zu Russland verbessern. Iwanischwili gelang es 2012 zunächst, mit seiner Partei "Georgischer Traum" die Parlamentsmehrheit zu erringen und Regierungschef zu werden. Später löste sein Gefolgsmann Georgi Margwelaschwili Saakaschwili als Präsident ab.

Saakaschwili emigrierte anschließend und war auch eine Zeitlang in der Ukraine als Gouverneur von Odessa tätig. In Georgien liegt gegen ihn ein Haftbefehl wegen Amtsmissbrauchs vor. Trotzdem ist der Ex-Präsident mit der Gründung der Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung (VNB) weiterhin politisch einflussreich im Land.

Das zeigte sich auch 2019, als es zu dem Konflikt kam, der die Ursache für die aktuelle politische Krise ist. Ausgelöst wurde dieser damals durch einen diplomatischen Fauxpas: Sergej Gawrilow, Duma-Abgeordneter und Chef einer russischen Delegation, wurde im Sessel des georgischen Parlamentspräsidenten platziert, wo er als Vorsitzender der sogenannten "Zwischenparlamentarischen Versammlung der Orthodoxie" eine Rede auf Russisch hielt.

Politisches Erdbeben

Angesichts der russisch-georgischen Spannungen rief das Empörung hervor. Die VNB rief zu Protesten auf, die schnell in gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei umschlugen. 240 Verletzte und über 300 Festnahmen waren die Folge. Melija, einer der Anführer des versuchten Parlamentssturms, wurde daraufhin die Immunität als Abgeordneter entzogen. Zur Beruhigung der Lage gingen die Behörden allerdings zunächst nicht weiter gegen ihn vor und verordneten nur eine Kaution und das Tragen elektronischer Fußfesseln.

Bei einer Oppositionskundgebung nach der Parlamentswahl im Herbst löste Melija demonstrativ seine Fußfesseln, woraufhin die Kaution erhöht wurde. Da er sie nicht zahlte, folgte nun die Festnahme. Allerdings nicht ohne ein politisches Erdbeben: denn vor wenigen Tagen hat wegen der Affäre Premier Georgi Gacharija seinen Rücktritt erklärt.

Gacharija unterstützte zwar grundsätzlich den Festnahmebeschluss, hatte sich aber gegen dessen Durchsetzung mit Gewalt ausgesprochen, um eine weitere Spaltung der Gesellschaft zu vermeiden. Gacharijas Nachfolger Irakli Garibaschwili – von 2013 bis 2015 schon einmal Premier – zeigte sich weniger zimperlich und gab grünes Licht für den Sturm.

Stellungnahme der US-Botschaft

Damit ist eine weitere Eskalation des Konflikts wahrscheinlich, zumal Garibaschwili als einer der härtesten ideologischen Widersacher Saakaschwilis gilt. Die US-Botschaft in Tiflis nannte die Festnahme des Oppositionsführers Melija einen "Rückschritt für die Demokratie". Es sei bedauerlich, dass der Aufruf zum Dialog nicht wahrgenommen wurde, heißt es in der Erklärung der diplomatischen Vertretung. (André Ballin, 23.2.2021)