Autor Gerhard Roth.

Foto: Lillian Birnbaum

Klemens, Lilli Kucks Mann, ist in Venedig von einer Brücke gestürzt und dabei verstorben. Das war vor zwei Wochen, inzwischen kommt zum Schmerz aber viel Rätselhaftes. Denn anders als er behauptet hatte, war Klemens nicht im Hotel Diana abgestiegen. Zudem wurde Lilli das Notizbuch zugeschickt, in dem der Comiczeichner Klemens in Venedig seine Skizzen festhielt. Nach dem Begräbnis setzt Lilli sich also ins Auto und fährt los, um auf eigene Faust zu ermitteln.

Man braucht sich Gerhard Roths heute erscheinenden Roman Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe nicht als ein Hauptwerk des Autors vorstellen, eher ist es ein Liebesbeweis des 78-Jährigen an die Stadt. Diese starke Bindung haben auch Lilli und Klemens: Sie ruft die Kellner im Caffè Florian beim Namen, und der Portier ihres Lieblingshotels erkennt sie auf den ersten Blick. Es ist eine Mischung aus Nachforschungen und Zerstreuung, der Lilli nun nachgeht. Sie markiert Klemens Wege auf einem Stadtplan, trinkt aber erst Campari und kauft Konfekt, schlendert durch Gassen.

Gerhard Roth liebt Venedig, bei Brandstätter erschien jüngst ein Fotoband über die Lagunenstadt. Hier der Markusplatz.
Foto: Gerhard Roth

Dabei wird Lilli Zeugin eines Mordes. In den letzten Wochen gab es neben Klemens drei getötete Polizisten. Doch Lilli teilt nicht alle ihre Informationen mit dem Commissario.

Kenner unterwegs

Man merkt dem Buch Roths Kennerschaft der Lagunenstadt an. Literarisch hat der Autor sie in Die Irrfahrt des Michael Aldrian (2017) und Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier (2019) schon zweimal kartiert. Deren Hauptfiguren Michael Aldrian, ein Ex-Souffleur der Wiener Staatsoper, und der Übersetzer Emil Lanz tummeln sich auch in Lillis Venedig. Aldrian hält im Auftrag des rätselhaften Milliardärs Blanc Zaubershows für kranke Kinder ab, Lanz lädt Lilli in Blancs Anwesen auf der Insel Sant’Erasmo ein. Beide sind freundlich, aber nicht geheuer.

Ein weiterer Blick Gerhard Roths auf Venedig.

Die Kriminalgeschichte treibt das Geschehen an, dient Roth letztlich allerdings eher dazu, pittoreske Szenerien in großer Zahl anzusteuern: den Friedhof von Pellestrina, Peggy Guggenheims Garten, ein Samuraimuseum und Kirchen. Das Kloster Lazzaro degli Armeni beschreibt Roth als Wunderkammer. Es hagelt die Namen von Vaporettostationen.

Betörende Kulissen

Man darf sich vor den betörenden Kulissen aber keine großen Einsichten in das menschliche Wesen erwarten. Dass auch andere Schmerz erdulden müssen, weiß Lilli schon vorher, und das verhilft ihr wohl auch zu ihrer überraschenden Gefasstheit. Ein Obdachloser und ein Mädchen mit Downsyndrom werden zu tragischen oder herzlichen Beobachtungen und Begegnungen.

Hier von Roth in "Venedig" festgehalten: Das Caffè Florian.
Foto: Gerhard Roth

Unerwartete familiäre Offenbarungen geben dem Buch spät noch mehr menschliche Wärme. "Vielleicht war dies das größte Erlebnis, das der Dom ihr vermittelte: die Entstehung eines Ereignisses aus winzigsten Einzelheiten", denkt die Kunsthistorikerin Lilli sich angesichts der Mosaike dort. Selbiges gilt auch für diese Fingerübung. Schwerere Kost steht mit dem Ziegel Die Imker, an dem Roth seit einigen Jahren arbeitet, aber in Aussicht. (Michael Wurmitzer, 24.2.2021)