Der Brief des Bundeskanzlers an die Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ist auch in eher konservativen Medien auf (verhaltene) Kritik gestoßen. Einen solchen Brief schreibt man als Kanzler nicht.

Der Brief und die ganze türkise Kampagne gegen die Untersuchung der Justiz ist Ausdruck der Nervosität in der ÖVP darüber, was in dem ganzen Skandalkomplex Ibiza/Novomatic/etc. noch herauskommen könnte. Vor allem die Frage, was in den beschlagnahmten SMS, vor allem jenen der türkisen Schlüsselfigur Thomas Schmid (über 300.000 SMS), noch lauert, beschäftigt den Kreis um Sebastian Kurz. Wenn man überdies die Begründung der WKStA genau liest, die auch eine Chronologie der Vorgänge zwischen Blümel/Kurz/ Novomatic-Manager Harald Neumann darstellt, begreift man die Nervosität noch besser. Damit ist keineswegs gesagt, dass da auf jeden Fall genug Substanz für strafrechtlich Relevantes herauskommen wird. Eine andere Sache ist, wie die Öffentlichkeit die Vorgänge, strafrechtlich relevant oder nicht, politisch bewertet.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in Wien.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Damit sind wir bei der politischen Gesamtsituation – wie wird sich diese entwickeln, womit müssen wir im beginnenden zweiten Jahr der Pandemie rechnen? In der türkis-grünen Koalition kracht es, die Staatsräson siegt vorläufig: Wir brauchen eine Regierung, keine Wahlen.

Ob die Regierung in diesem Augenblick wirklich optimal funktioniert, darüber kann man diskutieren. Im Management der Pandemie improvisiert man nach wie vor vor sich hin bzw. versucht man den Mangel an Impfstoff durch verstärktes Testen zu kompensieren. Aber in der Bevölkerung steigt vor allem die Ungeduld mit der Impfsituation. Es klappt offenbar auch nicht optimal mit der Verteilung des vorhandenen Impfstoffes.

Beachtliche Unzufriedenheit

Die Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem Management der Krise ist stark gesunken. Wenn sich das nicht bessert und wenn noch empörende, für breite Schichten verstehbare Nachrichten aus dem Ibiza/Novomatic-Komplex dazukommen, dann gerät die Regierung ernsthaft in Gefahr. Bisher halten die Umfragewerte vor allem der Türkisen einigermaßen. Man will im reißenden Fluss nicht unbedingt die Pferde wechseln. Die SPÖ und die Neos legen leicht zu, eine theoretische Dreierkoalition Rot-Grün-Pink liegt nach einer Umfrage knapp unter 50 Prozent. Aber ein ausgesprochener Wendewille dürfte in der Bevölkerung trotz beachtlicher Unzufriedenheit derzeit nicht vorliegen.

Objektiv im Sinne des Landes und in ihrem eigenen Interesse wäre von den Regierungsparteien zweierlei zu verlangen. Kurz müsste sich darauf besinnen, dass die üblichen türkisen Tricks in einer ernsten Situation versagen. Immer die Schuld bei anderen zu suchen – bei der EU und bei der WKStA – und massive Desinformationskampagnen zu fahren ("flood the zone with shit") ist kontraproduktiv. Leider weisen die Pläne der ÖVP zur Zerschlagung der WKStA genau in die entgegengesetzte Richtung. Teil eines Neubeginns wäre, inkompetente Minister auszutauschen. Die Grünen müssen erkennen, dass gutes Zureden bei manchen Bremsern und Kleinfürsten nichts hilft und an ein paar gut gewählten Stellen exemplarisches Handeln gesetzt werden muss.

Die Regierung hält sich recht und schlecht, aber viel darf sie nicht mehr vergeigen. (Hans Rauscher, 23.2.2021)