Ist unser derzeitiger Stundenplan bereits überholt? Oder sollten wir das mit den spezifischen Fächern überhaupt weniger ernst nehmen?

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Die Schule sollte kein Ort sein, an dem Lehrer und Lehrerinnen mit alten Büchern altes Wissen vor teilnahmslosen Schülern und Schülerinnen rezitieren. Sie sollte immer auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Entwicklungen eingehen und diese im Unterricht behandeln – das sagen nicht wenige Bildungsexperten. Dafür brauchen wir mehr Zeit, Personal und Ressourcen, entgegnen Lehrkräfte.

Das Klassenzimmer befand sich schon immer im Spannungsfeld von Expertenmeinungen, Alltagserfahrungen von Lehrern und Lehrerinnen, Vorstellungen der Eltern, mehr oder weniger reformgetriebenen Bildungsministern kurzum: von grundsätzlich fast allen.

Kein Wunder: Immerhin sehen die meisten in den Schulen den Schlüssel für ein gelungenes Bildungssystem. Es ist der Ort, an dem Freundschaften, Karrieren und Persönlichkeiten geschmiedet, Reflexion, Mitgefühl und Wissen für die Zukunft und über die Welt gelernt werden sollen.

Alle wollen mitreden

Aber was bringt die Zukunft? Und was zählt in der Welt? Reichen Mathe, Physik, Deutsch, Geschichte und Geografie noch aus, um Kinder auf ihr späteres Leben vorzubereiten? Brauchen wir mehr Sportunterricht, ein Fach zum Klimawandel, zu Glück oder über das Programmieren? Sollten Schüler und Schülerinnen am Morgen länger schlafen, damit sie im Unterricht fitter sind?

Beim Thema Schule wollen jedenfalls alle mitreden: Der Bauernbund forderte schon Ernährung als Schulfach, Ökonomen Ökonomie und die Arbeiterkammer Konsumentenschutz. Steigt in der Gesellschaft die Zahl der übergewichtigen Menschen, werden Fächer wie Sport und Ernährung angepriesen, gibt es zu viele Burn-outs, boomt der Glücksunterricht, kommt es zu einer Finanzkrise, soll der Wirtschaftsunterricht ausgebaut werden. Hätten Schüler und Schülerinnen bei all den Fächern noch Freizeit? Oder müssten wir dann andere Fächer kürzen?

Vielleicht ist das Konzept des strikten Stundenplans an sich schon überholt, wie es das finnische System vorschlägt, und wir sollten die Trennung einzelner Fächer künftig nicht mehr so ernst nehmen? Im phänomenbasierten Lernen hätten auch Themen wie Klimawandel, Glück und Gerechtigkeit Platz. Und die Kinder hätten abseits der Schule auch noch ein wenig Freizeit übrig.

Die ewige Forderung nach mehr Bewegung

Brauchen wir mehr Sportunterricht in den Schulen?
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Sportlehrerinnen und Sportlehrer blicken meist mit großer Sorge in die Zukunft. Schon heute klagen viele dar über, dass sich Kinder in ihrer Freizeit trotz steigenden Angebots immer seltener bewegen und dann oft schon an den einfachsten sportmotorischen Tests scheitern. Die Gesundheitssysteme vieler Länder hoffen deshalb, mit sportlicher Frühprägung einige der teuren und gefährlichen Folgen des Bewegungsmangels abzufedern. Alleine schon deswegen fordern so gut wie alle Expertinnen und Experten, die Zahl der Sportunterrichtsstunden hochzuschrauben. Die Diskussion über die tägliche Turnstunde ist dabei ungefähr gleich alt wie viele der in die Jahre gekommenen Sportgeräte.

Der technische Fortschritt brächte in Zukunft dabei auch Möglichkeiten, die Körper der jungen Lernenden in anderen Unterrichtsfächern in Bewegung zu bekommen. Rechenaufgaben könnten auf interaktiven Lernwänden mit körperlicher Betätigung kombiniert werden. Während Virtual-Reality-Brillen eher zum Hin hocken oder Stehenbleiben animieren, könnten mit Erweiterte-Realität-Brillen neue Anreize geschaffen werden. Dabei will man die Kids ja eigentlich weg von den Bildschirmen bringen – eine verzwickte Situation.

Anleitung zum Glücklichsein

Sollen die Schulen unterrichten, wie man glücklich sein kann?
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Viele Schülerinnen und Schüler würden die Schule wohl nicht sofort mit Glück und Freude in Verbindung bringen. Laut der Studie "Health Behaviour in School-aged Children (HBSC)" von 2018 zeigen zumindest 24 Prozent der Mädchen und zwölf Prozent der Burschen in Österreich Anzeichen für eine depressive Verstimmung.

Auch deshalb fordern Befürworterinnen und Befürworter seit Jahren, das Unterrichtsfach "Glück" an den Schulen einzuführen. Laut dem deutschen Therapeuten Ernst Fritz-Schubert soll das Fach Lebensfreude und Lösungsorientierung vermitteln und die Persönlichkeit von Lehrkräften und Schülern und Schülerinnen stärken. In Vorarlberg unterrichtet eine Schule das Unterrichtsfach seit Ende 2019, in Wien und der Steiermark wird das Schulfach schon seit ein paar Jahren in verschiedenen Formen angeboten. Für Befürworter soll das Fach die Schüler mit sozialen Kompetenzen auch für das Berufsleben vorbereiten. Trotzdem bleibt die Frage: Kann man Glücklichsein wirklich lernen?

Neues Fach: Ausschlafen

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Sollten die Schulen später beginnen, damit die Kinder aufmerksamer sind?
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Die positive Auswirkung der extra halben Stunde Schlaf, die so manch Schülerin oder Schüler durch das Homeschooling bekommt, verpufft schnell. Zu ermüdend ist es, der Lehrperson auf den kleinen Bildschirmen zu folgen, zu groß die Ablenkung durch Geschwister, Eltern oder anderes. Schade. Denn etliche Studien belegen eigentlich die Vorteile eines späteren Schulstarts. Eine 2019 in Science Advances publizierte Studie aus Seattle brachte deutliche Ergebnisse:

Schulkinder trugen vor und nach der Umstellung auf einen späteren Schulstart eine Art Fitness-Uhr, die Schlafzeiten und die Umgebungshelligkeit maß. Der um 55 Minuten spätere Beginn um 8.45 Uhr resultierte in durchschnittlich 34 Minuten mehr Schlaf für die Kinder. Dieser brachte bessere Noten, eine bessere Aufnahme des Lernstoffs und vor allem weniger Fehlstunden bei Studierenden aus ökonomisch schwächeren Schichten. Für die Kids ist es also besser, die Umsetzung scheitert aber oft am Widerstand der Eltern. Dabei sollte uns Corona doch Flexibilität gelehrt haben.

Der Klimawandel im Klassenzimmer

Mit der Umweltbewegung Fridays for Future ist der Klimawandel bereits jetzt zum zentralen Thema für viele Schülerinnen und Schüler geworden. Brauchen wir auch ein eigenes Fach in der Schule?
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Welchen Anteil haben Treibhausgase am Klimawandel? Wie gehen verschiedene Kulturen mit der Umwelt um? Was steht in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen? Solche Fragen soll das Unterrichtsfach "Klimawandel" beantworten. Seit vergangenem Jahr wird das Fach an Schulen in Italien unterrichtet, auch Neuseeland schreibt landesweit ein Curriculum für das Thema vor.

Aber warum ein neues Fach einführen, wenn das Klima ja schon im Geografieunterricht vorkommt, könnte man fragen? Tatsächlich inkludiert Geografie bereits heute vielfach Themen wie Globalisierung, Umweltverschmutzung und Gletscherschmelze. Befürworter und Befürworterinnen des Fachs Klimawandel halten dagegen, dass das Thema im Geografieunterricht allerdings häufig zu kurz komme und zudem auch viele andere Bereiche wie Politik, Geschichte und Kultur in den Bereich Klimawandel fielen. Aber für viele Experten ist auch klar: Im Kampf gegen den Klimawandel sollten wir nicht erst auf die Ausbildung unserer Kinder warten.

Coden oder Nichtcoden? Das ist nicht die Frage

Sollte an den Schulen Programmieren unterrichtet werden?
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In einem sind sich fast alle einig: Die Schule muss digitaler werden. Bildungsexperten, Wirtschaftsverbände und Politiker jeder Couleur fordern seit Jahrzehnten eine bessere digitale Grundbildung. Als Österreich 1985 den verpflichtenden Informatikunterricht einführte, war das Land internationaler Vorreiter – aber diese Zeiten sind lange vorbei. Word und Excel zu bedienen reicht längst nicht mehr, um sich in der Welt zurechtzufinden.

Die Bandbreite der Forderungen liegt dabei zwischen "Tablets für alle" und der Idee, schon Kindergartenkindern das Programmieren beizubringen.

Auch wenn die Wirtschaft wohl vor allem auf Maturanten schielt, die möglichst sofort eine App entwickeln können: IT-Kompetenz ist weit mehr als Coden. Es geht auch um ein grundsätzliches Verständnis vom Aufbau digitaler Systeme. Etwa dass "löschen" im Internet oft nicht "vernichten" heißt, sondern nur ein Datenbankeintrag mit "gelöscht" markiert wird, aber noch vorhanden ist. Ein Grundverständnis dafür, was sich automatisieren lässt (Licht aus, wenn Mama kommt) und was eher nicht (Deutschaufsatz). Wie leicht sich Accounts auch ohne Coden hacken lassen ("Hey Lisa, wie hieß noch mal dein erstes Haustier?") oder warum Facebook und Tiktok mit Daten so viel Geld verdienen können.

Expertinnen für Hass im Netz sehen die Schule außerdem als Ort, um über Mobbing und Verschwörungserzählungen aufzuklären. Mit buntem Code auf dunklem Hintergrund muss IT-Kompetenz nicht zwingend etwas zu tun haben.

50 Minuten Kurvendiskussion, 50 Minuten Gedichtanalyse, 50 Minuten Zellteilung – die Fächer auf Stundenplänen sind in der Regel gut durchmischt. Aber während für Schülerinnen und Schüler die Unterrichtszeit oft einfach nicht vergehen will, prangern viele Bildungsexperten das Gefäß der Schulstunde als zu kurz, verdichtet und unflexibel an, um wirklich guten Unterricht zu gewährleisten.

Planlos in die Zukunft: Schule ohne Stundenplan

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Könnte uns Finnland ein Vorbild in Sachen Unterricht sein?
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Immer wieder wird daher der Appell laut, in der Schule doch fächerübergreifend große Themen wie Klimawandel, Ungleichheit oder Rassismus zu lehren, anstatt diese in den altbekannten Schulfächern zu umzäunen.

Vor einigen Jahren sorgte (wieder einmal) Finnland für Aufsehen: Das Land, so titelten Medien, wolle die Schulfächer abschaffen. Stattdessen sollen finnische Kinder in sieben Kompetenzbereichen lernen, von "Kulturen kennenlernen", "umfassende Informationsgewinnung", "Beherrschen der Informationstechnologien", "Arbeitswelt und Unternehmertum" bis hin zum "Aufbau einer nachhaltigen Zukunft".

Nachdem das finnische Schulsystem nicht zum ersten Mal international hohe Wellen schlug, hat das dortige Bildungsministerium eine englischsprachige Website mit "häufig gestellten Fragen" eingeführt. Dort wird unter anderem klargestellt: Schulfächer wurden, im Gegensatz zu den zahlreichen Medienberichten, nicht abgeschafft.

Was stimmt: Finnland verfolgt seit 2016 den Ansatz eines sogenannten phänomenbasierten Lernens. Dabei arbeiten Lehrer verschiedener Fächer zusammen, um Inhalte in ihren realen Kontext zu stellen. Themen wie "Zweiter Weltkrieg" oder "Europäische Union" werden also nicht auf unterschiedliche Fächer verstreut, sondern in geblockten Einheiten von Geschichts-, Geografie- und Sprachlehrern nähergebracht. Mindestens eines dieser Lernmodule pro Jahr sollen die Schülerinnen und Schüler zwischen sieben und 16 Jahren pro Jahr absolvieren.

Von der kompletten Abschaffung ist Finnland also noch weit entfernt – aber auch vom Fächerstakkato, das in den meisten Ländern üblich ist. (Jakob Pallinger, Philip Pramer, Fabian Sommavilla, 24.2.2021)