An der Grenze zu Groß-Enzersdorf soll die Trasse der Wiener Nordost-Umfahrung verlaufen.

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Der Lobautunnel sei ein Milliardengrab, Autobahnen die Quelle Nummer eins für Verkehrsunfälle, die Klimaziele mit einem solchen Projekt nicht vereinbar. In Zukunft werde man die neue Schnellstraße, sollte sie tatsächlich umgesetzt werden, als "Umweltverbrechen" einstufen: Seit Jahren legen Umwelt- und Klimaschützer Protest gegen den Bau des Lobautunnels ein, nun legen sie, mit teils heftigen Prognosen, ein Schäuferl drauf. Namhafte Experten haben sich zu einer Initiative unter Schirmherrschaft des Forums Wissenschaft & Umwelt zusammengeschlossen, um Argumente gegen den Bau des Tunnels durch das Naturschutzgebiet zu präsentieren.

Mehr Autos, nicht weniger

Prominentester Vertreter ist Hermann Knoflacher, emeritierter Professor der Technischen Universität Wien, der mit provokanten Thesen zur Verkehrsplanung Bekanntheit erlangt hat. "Wir investieren in einen Erzeuger von Unfällen", mit Fahrrad, Öffis oder zu Fuß würde weit weniger passieren, sagt er. Die Nordost-Umfahrung (S1) koste zudem ein Vermögen – konkret nennt er 4,5 Milliarden Euro, die die Neos im Wien-Wahlkampf von ein paar Monate aufgezeigt hätten. Offiziell budgetiert sind 1,9 Milliarden Euro. Außerdem zitiert er aus seiner Studie, die besagt, dass die zusätzliche Straße keine Entlastung für Wohngebiete bringe – im Gegenteil: Neue Straßen ziehen mehr Autos an, ist er überzeugt.

Geld in Ausbau der Öffis investieren

Knoflacher appelliert an die Politik, das Projekt zu stoppen. Der Lobautunnel sei eine "Hypothek für die nächsten drei Generationen". Die Verlängerung der S1 zu genehmigen sei "ein Schuss ins Knie", weil man das Geld viel mehr für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs in den Bezirken Donaustadt und Floridsdorf brauche, wo man auch den Fuß- und Radverkehr fördern müsse.

Die Absage an dieses Projekt ist zwingend notwendig, pflichtet ihm Bernd Lötsch, Biologe und ehemaliger Direktor des Naturhistorischen Museums in Wien, bei. Angesichts einer durch die Corona-Krise "schuldengschüttelten Republik" dürfe man nicht so viel Geld für den Bau einer Schnellstraße in die Hand nehmen. Lötsch ist auch überzeugt, dass der Beschäftigungseffekt während des Baus minimal wäre, weil das meiste mit Maschinen passiere. Es handle sich beim Autofahren um eine Verkehrsform, "die wir keinesfalls mehr fördern dürfen". Das widerspreche allen Klimazielen.

"Ganz anders fortbewegen"

Herbert Formayer von der Universität für Bodenkultur erinnert daran, dass sich Österreich verpflichtet habe, bis 2040 klimaneutral zu sein. "Diese Art von Infrastruktur wird kein Mensch mehr brauchen", wenn die Klimaziele erreicht werden sollen, sagt er. Man werde sich "ganz anders fortbewegen müssen" und brauche das Geld für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs.

Die geplante Streckenführung.
Grafik: APA

Doch was ist eigentlich der Status des Projekts? Die staatliche Autobahnholding Asfinag muss alle Genehmigungen für das Projekt einholen. Es geht etwa um Wasser- und Naturschutzrechte, die in der Kompetenz der Bundesländer Wien und Niederösterreich liegen. Umweltschützer haben schon zahlreiche Bescheide beeinsprucht, weshalb auch Gerichte mit der Causa befasst sind und der Projektstart vorerst auf Eis liegt. Eine Sprecherin der Asfinag sagte am Mittwoch, man müsse alle gerichtlichen Entscheidungen abwarten und könne erst dann "notwendige Schritte in Richtung Baubeginn setzen".

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) bezeichnete die Nordost-Umfahrung stets als wichtig für die Stadt. Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) nannte den Tunnel hingegen "ökologisch und ökonomisch nicht sinnvoll". Beide verweisen auf Bund und Asfinag und deren Zuständigkeiten.

Vorreiterrolle einnehmen

Ganz so einfach aus der Verantwortung stehlen könne man sich aber nicht, sagt Knoflacher. "Wo sind wir denn? Entweder es beherrscht Wien sein Gebiet oder nicht." Dass man sehr wohl Einspruch erheben könne, zeige die Vergangenheit. Die Stadt habe in den 70er-Jahren alle Autobahnerrichtungen in Wien gestoppt – mit Ausnahme der A23. "Wir hätten am Gürtel statt heute der U-Bahn eine Hochstraße als Autobahn. Sie können sich vorstellen, wo Wien heute international wäre", sagt Knoflacher. Wien habe damals vorausschauend agiert. Wenn die Stadt das jetzt nicht wieder tue, "ist es für mich absolut nicht nachvollziehbar".

Vor allem die Neos nimmt er in die Pflicht. "Wenn Pink das hält, was es vor der Wahl versprochen hat, dann darf der Lobautunnel schon gar nicht kommen." Die Neos seien massiv gegen den Lobautunnel vorgegangen, "ich hoffe, sie stehen dazu".

Argumente für den Bau

Projektbefürworter beziehen sich auf eine Studie im Auftrag der ehemaligen Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne). Sie hat ergeben, dass der Tunnel "unbedingt notwendig" sei. Als Hauptargumente werden die Bevölkerungsentwicklung in Transdanubien und die Stärkung der Wirtschaftskompetenz genannt. (Rosa Winkler-Hermaden, 24.2.2021)