Pro Woche werden in den Schulen 1,3 Millionen Schnelltests durchgeführt. Auch wenn nicht alle Infizierten gefunden werden, bildet das Screening doch die Dynamik der Pandemie ab.

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Dass Daten im digitalen Zeitalter buchstäblich das neue Gold sind, wussten Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und Co schon sehr früh. Dass Daten auch in pandemischen Zeiten eine wertvolle Ressource im Kampf gegen das Coronavirus sind, kann man wiederum in unterschiedlich regierten Ländern im asiatischen Raum beobachten, wo zum Beispiel die Kontaktverfolgung oder auch die Quarantäne von Infizierten mittels Handy-Apps und digitaler Bewegungsprofile deutlich einfacher und effizienter organisiert und kontrolliert wird als beispielsweise in Ländern wie Österreich oder Deutschland, wo das Verhältnis zwischen Daten- und Gesundheitsschutz traditionell – kulturell und gesellschaftspolitisch bedingt – anders ausgelotet wird.

Es gibt aber auch hierzulande Expertinnen und Experten, die nach dem digitalen Gold schürfen und mit den verfügbaren Daten hochkomplexe Simulationen und Modelle berechnen, die für die Bewältigung der Corona-Pandemie wertvolle Hinweise und Informationen liefern. Durch die Kombination aus Impfdaten, verschiedenen Teststrategien, Sequenzierungen des Virus, aber auch beispielsweise Abwasseranalysen aus Kläranlagen entsteht nun ein neuer, riesiger "Datenberg".

Da stellt sich die Frage: Was wird mit diesen Daten gemacht? Werden sie systematisch aufgearbeitet? Was können die vielen Tests über die Momentaufnahme hinaus leisten? Zum Beispiel die wöchentlich 1,3 Millionen Antigen-Schnelltests in den Schulen. Wie lässt sich aus ihnen ablesen, welchen Beitrag die offenen Schulen zum Infektionsgeschehen beitragen? Sind 536 positive Tests wie in der ersten Woche akzeptabel? Was wäre gewesen, wenn auf 700 Testkits zwei rote Striche aufgetaucht wären, oder auf 2000?

Wie gut messen wir?

Nachfrage bei Simulationsforscher Nikolas Popper von der TU Wien. Die Antworten auf diese Fragen sind, das hat die Pandemie uns gelehrt, komplex. Die wichtigste jedoch lautet: "Es geht nicht um die Absolutzahlen. Die sind sehr schwer einzuordnen. Wir schauen interagierenden Systemen zu. Ein Teilsystem ist das Messsystem. Da müssen wir uns fragen: Wie gut oder schlecht messen wir gerade?", sagt Popper im STANDARD-Gespräch.

Für ihn stehen wir "jetzt an einem Knackpunkt, weil wir geöffnet und dafür im Gegenzug ein breites Testscreening etabliert haben. Nach zwei Wochen wird es jetzt spannend." Warum? "Weil sich jetzt zeigen muss, ob die Tests nicht nur als Messinstrument, sondern auch als Maßnahme funktionieren. Wir müssten in dieser Woche sehen, ob das Screenen die Zahlen in Zaum hält." Das heißt: "Wenn wir nicht sehr schnell einen Abfall oder zumindest eine Stabilisierung bei den Infektionszahlen sehen, haben wir den Beweis, dass es an einer Stelle im Screeningprozess noch hakt", erklärt Popper.

Der Sinn der Tests ist ja, dass Infizierte und deren direkte Kontakte buchstäblich aus dem Verkehr gezogen und in Quarantäne geschickt werden. Damit müssten automatisch die Ansteckungszahlen sinken. Tun sie das nicht, "hat das Screening durch die Tests zu wenig Effekt. Wenn jetzt also die Zahlen weiter ansteigen, müssen wir sehr genau hinschauen", warnt Popper: "Dann gibt es drei mögliche Ursachen: Wir testen zu ungenau, die Tests passen nicht, oder die Isolation funktioniert nicht effektiv genug." Denn, so sagt der Simulationsexperte: "Screenen und isolieren kann funktionieren."

Beschleunigen die Schulen, bremsen sie – oder ist es wie draußen?

Jana Lasser ist ebenfalls damit beschäftigt, basierend auf Datennuggets Maßnahmenmodelle zu berechnen. Auf die Frage nach einem möglichen Richtwert aus den Schultests, aus dem man ableiten könnte, dass man jetzt gegensteuern müsste, sagt die Komplexitätsforscherin der Med-Uni Wien, die am Complexity Science Hub Vienna forscht: "Schlussendlich geht es darum abzuschätzen, ob Schulen das Infektionsgeschehen beschleunigen, einfach nur das allgemeine Geschehen in der Bevölkerung widerspiegeln oder es vielleicht sogar verlangsamen. Wenn Schulen das Geschehen in der gesamten Bevölkerung widerspiegeln und aktuell zwei Prozent der Bevölkerung infiziert sind, werden auch in Schulen zwei Prozent der Personen infiziert sein."

Die Positivrate nach der ersten Woche, in der nach den letzten Semesterferien wieder alle Schülerinnen und Schüler zurückgekehrt sind (in Volksschulen voll, in den anderen Schulformen im Schichtbetrieb), lag bei 0,04 Prozent. Betroffen waren 364 Schulkinder und 172 Lehrkräfte.

Wann Vorsicht geboten ist

Was lässt sich aus diesen Ergebnissen ableiten? "Die einfachste, grobe Abschätzung wäre, sich die Positivrate bei den Antigen-Schulscreenings im Vergleich zur Positivrate der Gesamtbevölkerung anzusehen – eventuell korrigiert um die deutlich geringere Sensitivität der in den Schulen eingesetzten Tests, sie entdecken nur etwa 40 Prozent der Fälle", sagt Komplexitätsforscherin Lasser: "Ist die 'Schulrate' größer als die Gesamtbevölkerungsrate, dann ist Vorsicht geboten. Ist sie kleiner, dann sollten Schulen eher offen bleiben. Ist sie vergleichbar mit der der Bevölkerung und ist die Positivrate insgesamt zu hoch, dann sind Maßnahmen in der gesamten Bevölkerung, nicht nur in Schulen, angesagt. Wobei die Verteilung der Maßnahmen auf die verschiedenen Sektoren eine politische Entscheidung unter Abwägung unterschiedlichster Aspekte ist."

Noch relativ im Blindflug unterwegs

Für den Mikrobiologen Michael Wagner von der Uni Wien sind die Massentests in den Schulen "ein nützliches Werkzeug, um die 'großen Fische', wie der Minister sagte, herauszuziehen, also zumindest einen Teil jener Kinder oder Lehrkräfte, die eine sehr hohe Viruslast haben, aber ohne begleitende Studie sind die Daten der Schnelltests wissenschaftlich kaum zu interpretieren. Bestenfalls kann man damit über die Zeitachse relative Aussagen über die Infektionsdynamik an den Schulen machen." Aber selbst das sei nicht immer einfach.

Der in Wien und Niederösterreich ferienbedingt in der zweiten Testwoche beobachtete Anstieg der positiven Fälle sei durch die bloße Zahl nicht erklärt: "Machen die Kinder die Nasenbohrertests besser, oder sind es tatsächlich mehr Infizierte? Es weiß keiner", sagt Wagner: "Im Moment sind wir noch relativ im Blindflug unterwegs, weil wir nicht wissen, wie viele Infizierte und Infektiöse mit den Nasenbohrertests gefunden werden oder nicht."

Da kommt allerdings die vom Bildungsministerium beauftragte, von Wagner wissenschaftlich koordinierte und von einem Konsortium der Med-Unis Graz und Innsbruck sowie der Unis Linz und Wien durchgeführte "Sars-CoV-2-Monitoringstudie" alias Gurgelstudie ins Spiel. In den ersten zwei Testrunden wurden damit im September/Oktober 0,39 Prozent Covid-positive Schüler und Lehrer gefunden, im November waren es 1,42 Prozent. Am Montag (1. März) startet Erhebungsrunde drei, und da kann die repräsentative Prävalenzstudie, die die Häufigkeit von Corona-Infektionen unter 14.800 Schülern und 1.200 Lehrkräften in 243 Pflichtschulen in ganz Österreich erhebt, zusätzlich eine Art Test der Schnelltests werden.

Schnelltests "übersehen" positive Fälle

Denn die hochsensitiven PCR-Tests können zeigen, wie viele Fälle die Schnelltests "übersehen", wenn Kinder, die vorher beim Antigentest noch negativ waren, beim Gurgeln plötzlich positiv sind: "Die Hauptfrage dabei wird sein: Wie viele Hochansteckende werden übersehen und konnten weiter in die Schule gehen? Und man sieht dann auch, wie viele Contact-Tracing-Ansatzpunkte man übersieht, weil eben weniger empfindliche Tests verwendet werden", erklärt Studienleiter Wagner.

Das ist von besonderer Bedeutung mit Blick auf die Mutationen. Aus diesem Grund wurde die Auswertung der Gurgelstudie nun auch auf die Variantenverteilung ausgeweitet, "denn es ist nicht unplausibel, dass neue Virusvarianten auftauchen, die von den Antigentests nicht entdeckt werden", sagt Wagner: "Wenn die Nasenbohrertests gut funktionieren sollten, wäre es für das Virus nämlich ein Riesenvorteil, für diese unsichtbar zu werden."

Auch der Leiter der Innsbrucker Kinderklinik I, Thomas Müller, sieht in der begleitenden Gurgelstudie die Möglichkeit, "die Schnelltests im Setting Schule zu validieren, indem wir sehen, wie viele vermeintlich negativ Getestete sich beim Gurgeln als positiv herausstellen. Wenn wir damit die Sensitivität bzw. Empfindlichkeit der Schnelltests kennen, können wir die mit den Schnelltests ermittelten Fallzahlen auf eine realistischere Zahl korrigieren", sagt Müller zum STANDARD.

Schnelltests als Alarmsignal

Als "Primärziel" in den Schulen nennt er die rasche Identifikation von Quellclustern: "Wir sehen sofort, ob es in einer Klasse oder Schule Positive oder sogar einen Cluster gibt. Der entscheidende Vorteil der Schnelltests – unabhängig von der tatsächlichen Sensitivität – ist, die wöchentliche Dynamik des Infektionsgeschehens in den Schulen zu erfassen. Sehen wir Woche für Woche massive Steigerungen der positiven Tests in den Schulen? Steigen dazu parallel auch die täglichen Neuinfektionen in der Gesamtbevölkerung? Das ist wichtig, weil es doch relativ rasch Alarm schlagen würde, wenn die dritte Welle im Anrollen wäre."

Mit den Erfahrungen vom Herbst nennt der Pädiater einen Richtwert: "Je näher wir Richtung 0,5 Prozent Prävalenz bei den Schnelltests kommen, umso mehr hätten wir wahrscheinlich ein Problem. Denn auf eine Hypothese können sich Kinderärzte und Epidemiologen einigen: Das Infektionsgeschehen in den Schulen spiegelt das Infektionsgeschehen in der Bevölkerung relativ gut wider." (Lisa Nimmervoll, 25.2.2021)