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Harald Rodlauer ist ein prinzipiell freundlicher Mann, der, einmal in Fahrt, gerne ausführlich über den Sport spricht, zu dessen Entwicklung er einen ordentlichen Beitrag geleistet hat. In Oberstdorf, wo am Donnerstag (17 Uhr, ORF 1) auf der Normalschanze unterm Schattenberg um erste Medaillen gesprungen wird, überraschte der Trainer der österreichischen Skispringerinnen deshalb mit der Feststellung, dass über Vergangenes nicht mehr gesprochen werden solle. Dabei setzte der teilkarenzierte Polizist aus Traboch eine Miene auf, die bei einer Verkehrskontrolle Ungemach erwarten ließe.

Die Rückschläge

Freilich hat Rodlauer, der einst als Nachwuchstrainer in Eisenerz ein besonders eifriges Mädchen namens Daniela Iraschko kennengelernt und es Jahre später, 2011 in Oslo, zum Weltmeisterinnentitel im Skispringen geführt hatte, Grund für seine ziemlich bestimmt vorgetragene Bitte. Österreichs Springerinnen, die vor allem am verspäteten Saisonbeginn zu den schönsten Hoffnungen Anlass gaben, hatten just vor dem großen Saisonziel WM Rückschläge zu verkraften. Zuvorderst Marita Kramer, die im Team nur Sara gerufen wird.

Die 19-jährige Salzburgerin, die im Jänner des Vorjahres in Japan ihre ersten beiden Weltcupspringen gewann und in dieser Saison der Konkurrenz mit drei Siegen und zwei dritten Plätzen zunächst regelrecht um die Ohren flog, sah sich just beim Heimweltcup in Hinzenbach durch eine Disqualifikation eingebremst. Grund: ein nicht regelkonformer Anzug. Kramer, die seit Oktober auf ein und denselben Anzug setzt und damit Coach Rodlauer nicht unbedingt eine Freude macht, wurde die vor Weltmeisterschaften erhöhte Wachsamkeit der Materialkontrolle zum Verhängnis.

Neben der Luftdurchlässigkeit, die nicht zu gering sein darf und mit einem Gerät gemessen wird, das den schönen Namen Porosimeter trägt, ist vor allem die Menge des Stoffes für die Flugeigenschaften des Materials entscheidend. Die Vermessung der Athletinnenkörper vor der Saison liefert die Grunddaten für die erlaubten Schnitte des Spezialstoffes, der europaweit nur in ganz wenigen Firmen hergestellt wird. In den Teams wird dann möglichst hart an der Grenze der Legalität geschneidert.

Keine Toleranz

Kramer, 1,71 Meter groß und rund 53 Kilogramm schwer, war vor ihrer Disqualifikation schon wegen einer Abweichung am Hüftband verwarnt worden, ein Einnäher hat nicht gereicht, um bei der Kontrolle einer "Bequemlichkeitstoleranz" teilhaftig zu werden.

Die Disqualifikation war für sich genommen kein Drama, der japanischen Weltrekord-Weltcupsiegerin Sara Takanashi, die in Oberstdorf endlich ihr erstes WM-Einzelgold gewinnen möchte, unterlief etwa in Hinzenbach dasselbe Missgeschick. Erst kurz vor der WM kostete ein Anzugvergehen den norwegischen Weltcup-Dominator Halvor Egner Granerud in Zakopane, Polen, gar einen Sieg.

Dass Kramer aber auch noch an den zwei letzten Springen vor der WM in Rasnov, Rumänien, wegen eines offenbar falsch positiven Tests nicht teilnehmen konnte, die Weltcupführung tatenlos abgeben musste und in den drei Wochen vor dem ersten WM-Bewerb keinen Wettkampfsprung hatte, könnte das Nervenkostüm einer noch jungen Athletin schon mehr strapazieren als das Porosimeter den Anzug.

Im Training auf der Oberstdorfer Normalschanze unterstrich sie allerdings ihre Feststellung, nachdem sie bei der Familie "den Kopf geleert und gelüftet" habe, wieder "heiß aufs Springen" zu sein. In drei Durchgängen gelang ihr einmal die beste und zweimal die drittbeste Weite. Ähnlich stark präsentierte sich Daniela Iraschko-Stolz, die ihre siebente WM in Angriff nimmt. Die 37-jährige Eisenerzerin unterstützt Kramer wie schon die Springerinnen-Generation vor der neuen Vorfliegerin. Irgendeine Medaille werde in Oberstdorf schon herausschauen, sagte Iraschko-Stolz nicht nur auf sich selbst gemünzt.

Die Gejagten

Diese Bescheidenheit ist ganz im Sinn von Coach Rodlauer, der lieber die Stärke der Konkurrenz betont. Seine Springerinnen seien in den vergangenen Wochen von Gejagten zu Jägerinnen geworden. Soll heißen, Silje Opseth und Titelverteidigerin Maren Lundby aus Norwegen, Takanashi und die Weltcupführende Nika Kriznar sowie deren slowenische Kollegin Ema Klinec sind für Medaillen erst zu überflügeln.

Neben Kramer und Iraschko-Stolz kommt die Aufgabe auch "Stehaufweibchen" Eva Pinkelnig und der WM-Debütantin Sophie Sorschag zu. Chiara Hölzl, in der Vorsaison Siegerin von sechs Weltcupspringen, muss zuschauen. (Sigi Lützow aus Oberstdorf, 25.2.2021)