Jan Marsalek, weltweit gesucht. Ermittler hätten viele Fragen an ihn.

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Die deutsche Finanzaufsicht Bafin ist im Zuge der Wirecard-Pleite in die Kritik gekommen. Die Prüfagenden und -ergebnisse der Bafin wurden weitreichend kritisiert. Die Bafin argumentierte oft, dass sie nur berechtigt war, die Wirecard-Bank zu prüfen, nicht aber den Finanzdienstleister.

Ein Bericht über eine Innenrevision in der Wirecard-Bank lässt nun aber neue Zweifel an der Wachsamkeit der Bafin aufkommen. Der Bericht datiert vom 28. September 2020 und wurde als geheim eingestuft. Journalisten von Capital und dem Stern konnten in dieses Papier Einsicht nehmen.

Zurufe von Marsalek

Demnach hat die Bank seit 2015 bei einem "strategischen Kreditportfolio" immer wieder Darlehen an Unternehmen vergeben, deren Kreditwürdigkeit nicht ausreichend geprüft wurde. Das geschah immer wieder auf Wunsch von Jan Marsalek, dem Ex-Wirecard-Vorstand auf der Flucht, der bei der Banktochter formal keine Rolle gespielt hat.

Experten der in den Bericht involvierten Anwaltskanzlei Dunn Gibson hielten fest, dass die Untersuchungen eine Vielzahl von Indizien ergeben haben, die auf gezielte Täuschungen und damit einen großangelegten (Kredit-)Betrug zulasten von Wirecard hindeuten. Das "Erschleichen der Darlehen" habe wohl stattgefunden, um in Wirklichkeit nicht oder nicht in dieser Höhe bestehende "Umsätze und Erträge bei der Wirecard-Gruppe vorspiegeln zu können". Die Wirecard-Bank, so der Verdacht, sei dazu missbraucht worden, diese Umsätze und Erträge vorzuspiegeln. So berichten es Capital und Stern. Empfohlen haben die Rechtsexperten, Strafantrag gegen die Verantwortlichen zu stellen.

Grobe Fehler und Schwächen

Es geht hierbei um Darlehen in der Höhe von rund 70 Millionen Euro. Diese Darlehen, so heißt es weiter, hätten der Bafin auffallen müssen. In Summe sei es zu groben Fehlern gekommen, und Schwächen bei der Kreditvergabe wurden offengelegt.

In den Monaten vor der Pleite des Zahlungsabwicklers gab es nach Angaben der FDP jedenfalls noch viele verdächtige Geldabflüsse. "Das Unternehmen ist systematisch geplündert worden", sagte der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar am Mittwoch. Der Insolvenzverwalter Michael Jaffe habe im parlamentarischen Wirecard-U-Ausschuss sehr offen Rede und Antwort gestanden. Er habe zwar niemanden persönlich beschuldigt. Dem damaligen Vorstand des Ex-Dax-Konzerns sei demnach klar gewesen, dass es dem Ende entgegengehe, so Toncar.

Vollgesogen und ausgelaugt

Wirecard habe sich vor der Insolvenz mit Kapital vollgesogen, über drei Milliarden Euro an Fremdkapital. Als der Bilanzbetrug im Juni 2020 aufflog, sei aber nichts mehr übrig gewesen. Jaffe hat dem U-Ausschuss Toncar zufolge eine genaue Auflistung der Abflüsse versprochen. Ende März 2020 habe es eine besonders auffällige Überweisung in der Höhe von 100 Millionen Euro an ein Unternehmen in Singapur gegeben, das einem Freund von Marsalek zugeordnet werde. Die wirtschaftliche Notwendigkeit dieser Überweisung müsse angezweifelt werden.

Hallo Boss, dein Lord

Marsalek, so belegen es diverse E-Mails, die dem STANDARD vorliegen, jettete permanent in der Weltgeschichte herum, immer auf der Suche nach neuen Beteiligungen oder auch relevanten Zukäufen für Wirecard. Vor allem mit Don M., der in Australien für den Bereich Sales zuständig war, hat sich Marsalek intensiv ausgetauscht.

Wie amikal – weil lukrativ? – das Verhältnis zwischen Marsalek und M. im Laufe der Zeit geworden ist, zeigt die Anrede in den E-Mails, die immer den Betreff "Privat" oder "Vertraulich" hatten. Marsalek wurde im Laufe der Zeit in diesen E-Mails, in denen M. Firmen vorstellte oder um Handlungsanweisungen bat, als "Boss" oder "Pope" angesprochen. Seine Mails zeichnete M. dann gern als "Lord M." (Bettina Pfluger, 24.2.2021)