Der Oberste Gerichtshof sieht das Prinzip der Gewaltenteilung verletzt und wendet sich an den Verfassungsgerichtshof

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Wer schon einmal einen Quarantänebescheid bekommen hat, kennt den Verweis: Laut Epidemiegesetz hat jede betroffene Person die Möglichkeit, beim ansässigen Bezirksgericht eine Überprüfung der Freiheitsbeschränkung zu beantragen. Der Oberste Gerichtshof (OGH) stellte beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) nun einen Antrag auf Aufhebung der Bestimmung: Sie verstoße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung zwischen Verwaltung und Justiz. Eine Entscheidung könnte bereits im März fallen.

Quarantänebescheide im Zusammenhang mit Covid-19 werden auf Grundlage des Epidemiegesetzes erlassen. Zuständig für die Ausstellung ist grundsätzlich der Magistrat oder die Bezirkshauptmannschaft. Das Gesetz sieht allerdings vor, dass Personen, die in Quarantäne geschickt werden, die Bescheide bei einem Bezirksgericht anfechten können. Das zuständige Gericht ist verpflichtet, die Zulässigkeit der Absonderung zu überprüfen und die Freiheitsbeschränkung gegebenenfalls aufzuheben. Das gilt aber nur dann, wenn die Quarantäne noch aufrecht ist. Nach Ende der Anhaltung bleibt die Prüfung den Verwaltungsgerichten vorbehalten.

Verfassungsrechtliche Bedenken

Der Oberste Gerichtshof, das Landesgericht Korneuburg sowie das Bezirksgericht Zell am Ziller stellten Ende des vergangenen Jahres den Antrag, die Bestimmungen über die Zuständigkeit der Justiz im Epidemiegesetz aufzuheben. Die Gerichte hegten "Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Bestimmung mit dem Grundsatz der Trennung von Rechtsprechung und Verwaltung".

Zwar sei eine sogenannte "sukzessive Kompetenz", also ein Instanzenzug von einer Verwaltungsbehörde zu einem Gericht, verfassungsrechtlich grundsätzlich möglich. Allerdings habe der Gesetzgeber im Fall der Quarantänebescheide einen solchen Instanzenzug nicht wirksam eingerichtet. Laut OGH sehe das Epidemiegesetz nämlich nur einen Antrag vor und kein echtes Rechtsmittel. Dieser Antrag richte sich zudem nicht an ein üblicherweise mit Rechtsmittelsachen befasstes Gericht höherer Instanz, sondern an ein Bezirksgericht.

Darüber hinaus bemängelt der OGH, dass das Gesetz nicht ausreichend bestimmt sei und daher gegen das Legalitätsprinzip verstoße. Das Epidemiegesetz enthalte keine genauen Regelungen der Behördenzuständigkeit. Es sei unklar, unter welchen Voraussetzungen das Gericht angerufen werden könne, kritisiert der Gerichtshof.

Großer Verwaltungsaufwand an den Bezirksgerichten

Auch wenn gegen eine Quarantäne keine Beschwerde erhoben wird, sind die Bezirksgerichte nach aktueller Rechtslage dazu verpflichtet, sich mit den Bescheiden zu befassen: Alle drei Monate muss von Amts wegen die Zulässigkeit der Anhaltung überprüft werden – eine Zeitspanne, die im Fall von Covid-19 wohl nie überschritten wird. Denn die Bescheide treten wegen Zeitablaufs schon viel früher außer Kraft oder werden von den Verwaltungsbehörden aufgehoben. Dennoch führt die formale Vorgabe zu großem Verwaltungsaufwand an den Bezirksgerichten: Die Dokumente müssen vom Magistrat oder der Bezirkshauptmannschaft an die Gerichte übermittelt werden. Dort werden sie – zu Hochzeiten der Pandemie teilweise hunderte täglich – in Akten einsortiert und nach Ende der Quarantäne wieder abgelegt.

Für Entlastung sorgte eine Novelle vergangenen Herbst, wonach Bescheide nur noch dann an die Gerichte übermittelt werden müssen, wenn die Anhaltung einer Person länger als zehn Tage dauert. Laut Justizministerium werde die Situation fortlaufend evaluiert. Derzeit erhebe man die konkrete Anzahl der übermittelten Quarantänebescheide. (Jakob Pflügl, 25.2.2021)